Wolfgang Schaeffer
· 19.08.2022
Reichweite und Ladezeit sind die wohl entscheidenden Punkte bei der Kaufentscheidung für ein E-Auto. Beide Kriterien zu erfüllen, ist ein nicht einfacher Balanceakt. Audi arbeitet daran im eigenen Batterietechnikum in Gaimersheim bei Ingolstadt
Bernhard Rieger, Zellexperte im Audi Batterietechnikum, sieht vor allem die Reichweite als den entscheidenden Faktor für die Alltagstauglichkeit der E-Fahrzeuge. Dessen ungeachtet weiß er aber, dass die Ladefähigkeit relevanter wird, wenn das Grundbedürfnis nach Reichweite erfüllt ist. „Unsere Aufgabe ist es, das Optimum aus Verbrauch, Leistung, Ladeperformance und Reichweite zu erreichen“, so Rieger. Die Herausforderung dabei: in einem genau definierten Package so viel Energie wie möglich unterzubringen. Je größer allerdings die Energiedichte sei, desto länger dauere das Laden. Deshalb sei es Aufgabe der Entwickler, mit einem optimalen Betrieb der Lithium-Ionen-Zellen die bestmögliche Reichweite und Ladeperformance zu erreichen.
Und hier weist der Experte auf ein Phänomen hin. Denn der Ladezustand einer Batteriezelle lasse sich an den deutschen Landesfarben Schwarz, Rot, Gold ablesen. Beim Laden wandern Lithium-Ionen von der Kathode in die Anode und lagern sich dort in das Grafit ein. Dieses Material ändert je nach Ladezustand seine Farbe. Im entladenen Zustand schwarz, im halbgeladenen Zustand rot und im vollgeladenen Zustand gold.“ Damit sei es im Laborbetrieb relativ einfach, den Ladezustand zu beobachten und zu beurteilen.
Die eigentliche Kunst beim Schnellladen von Lithium-Ionen-Zellen bestehe in einer präzisen Stromregelung, um die Anode an den goldenen Stellen nicht zu überladen. Dort, wo die meisten Lithium-Ionen sind, lädt sich die Elektrode am schnellsten auf. Das heißt, im Eingangsbereich der Zelle baut sich so etwas wie eine Wand auf, die sich nach und nach weiterschiebt. Und genau das muss exakt gesteuert werden. Würde es zu einer dauerhaften Überladung an bestimmten Stellen kommen, käme es zwangsläufig zu einer schnellen Alterung, erklärt der Experte.
Deshalb stehen in Gaimersheim für jedes Fahrzeugprojekt Lebensdauer- und Schnellladetests mit mehreren hundert Zellen an. Dabei werden unterschiedliche Lade- und Lastprofile durchlaufen, welche die Techniker bei Temperaturen von minus 30 Grad Celsius bis plus 60 Grad Celsius in Klimakammern durchführen. Um Alterungseffekte der Zellen einschätzen zu können, werden sie zudem ein Jahr lang hohen Temperaturen ausgesetzt. Damit reproduziert Audi eine Lebensdauer im Fahrzeug von bis zu 15 Jahren. Mit Lebensdauerprüfständen werden in Gaimersheim darüber hinaus Laufleistungen von um die 300.000 Kilometern beschleunigt nachgestellt. Auch unterschiedliche Fahrszenarien lassen sich simulieren, um die Betriebsstrategien der Hochvoltkomponenten oder das Thermomanagement zu optimieren.
Dabei geht es ums Kühlen oder Vorwärmen der Batterie, um der ihre „Wohlfühltemperatur“ für das Laden oder den Betrieb zu bieten. „Bei der richtigen Temperatur bleibt die Ladekurve relativ konstant.“ Rieger nennt als Beispiel dafür den seit 2019 bestellbaren Audi E-Tron, der eine plateauhafte Ladekurve mit einer Leistung von bis zu 150 kW über einen weiten Bereich des Ladens habe. Ähnliches gilt für die Zellen der 93 kWh großen Hochvoltbatterie beim Audi E-Tron GT Quattro, die sich unter Idealbedingungen mit bis zu 270 kW Leistung in nur 22,5 Minuten von fünf auf 80 Prozent füllen.
Akkus benötigen Wohlfühltemperatur
Das können Audi-Fahrer geradezu ideal am Audi Charging Hub in Nürnberg nahe der Messe erleben. Der Hub sollte lediglich ein sechsmonatiges Pilotprojekt sein. Doch 3.600 Ladegäste bisher insgesamt und 24 Autos pro Tag haben dazu geführt, dass der Hub mindestens zwei weitere Jahre vor Ort bleibt. Dabei ist das Laden lediglich die eine Seite der Medaille. „Unseren Besuchern steht eine 200 Quadratmeter große, barrierefreie Lounge sowie eine 40 Quadratmeter große Terrasse über den Ladecubes zur Verfügung. Während der Ladezeit können es sich unsere Gäste dort gemütlich machen. In Automaten stehen Snacks und Getränke zur Verfügung.“ Ewald Kreml, Projektleiter Strategie für das Audi Charging Hub, spricht von einem Ladeerlebnis auf Premium-Niveau. Denn während sich Fahrer und Mitfahrer in der Lounge aufhalten, stärken oder die Pause nutzen, um zu arbeiten, wird die Batterie des Elektroautos mit hoher Leistung aufgeladen.
In der unteren Etage des elegant gestalteten Pavillons stehen insgesamt 2,45 Megawatt Speicherkapazität in Second-Life-Akkus aus 26 zerlegten Audi E-Tron-Erprobungsfahrzeugen zur Verfügung. Gespeist werden die Batterien aus Solarmodulen auf dem Dach mit bis zu 30 kW sowie mit einer auf 150 kW gedrosselten 200 kW-Leitung aus dem Netz. „Wir können insgesamt 960 kW zum gleichzeitigen Laden von sechs Fahrzeugen zur Verfügung stellen“, sagt Kreml.
Zwar ist der Hub frei zugänglich für jeden Autofahrer, der hier laden möchte. Doch Audi-Fahrer haben den Vorteil, eine Ladezeit per App reservieren zu können. Eine Sperre im Boden sichert dann den Platz. Die Ladestationen erkennen eine Vielzahl von Ladekarten, bieten zudem aber auch eine Plug-and-Charge-Funktion.
Ladezeiten per App reservieren
Bei Plug and Charge (PnC) erfolgt die Authentifizierung des E-Autos automatisch über eine verschlüsselte Kommunikation, sobald das Ladekabel mit dem Fahrzeug verbunden ist. Die Abrechnung läuft über den notwendigen und hinterlegten E-Tron-Charging-Service-Vertrag. Erste Voraussetzung hierfür ist ein Plug and Charge-fähiges Audi E-Tron-Modell. Das sind Neufahrzeuge mit Produktionsdatum ab Kalenderwoche 48/2021.
Noch in diesem Jahr wird Audi in Berlin, Zürich und Salzburg weitere Hubs einrichten. In 2023 soll es drei, in 2024 acht weitere Hubs in Deutschland geben. Benötigt wird dafür lediglich eine Grundfläche von 700 Quadratmetern und ein Anschluss an das Stromnetz. Erdbewegungen sind nicht notwendig, da die Pavillons nicht im Boden ver- ankert werden.