VW Typ 1 Sonderkarosserie »Eisbus«Brezel-Eis

Heiko P. Wacker

 · 20.10.2022

VW Typ 1 Sonderkarosserie »Eisbus«: Brezel-EisFoto: J.Bürgermeister, S. Repke (4)
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Wenn Raoul mit seinem Eisbus vorfährt, dann versinken selbst Supersportwagen in der Bedeutungslosigkeit. Denn auch mit bescheidenen 24,5 PS ist der Wagen der Liebling all jener, die jung – oder jung geblieben – sind. Denn dieses Auto ist nichts weniger als eine sommerliche Verheißung voll unschuldiger Kindheit.

Kein Bulli als Basis – sondern ein Brezel-Käfer? Möglicherweise wollte man sich nicht von der Außenstruktur des T1 in ein Korsett zwingen lassen, um die riesigen Fenster zu realisieren.
Foto: J.Bürgermeister, S. Repke (4)

Wenn eine Geschichte ein glückliches Ende haben soll, dann muss sie zuweilen mit einer Enttäuschung beginnen. Um direkt ins Thema einzusteigen könnte man sich einen Steppke vorstellen, der mit ein paar eilig zusammengeklaubten Münzen in der Hand zum in der Straße haltenden Eiswagen läuft – der aber just die letzte Kugel verkauft hat. So ähnlich wird sich Raoul Verbeemen gefühlt haben, als er erstmals dieses besondere Schätzchen auf Basis eines Brezel-Käfers entdeckte: »Vor 20 Jahren habe ich diesen Eiswagen zum ersten Mal auf der VW-Messe in Mol gesehen, und mich sofort verliebt. Deshalb habe ich auch direkt mit dem Besitzer über einen möglichen Verkauf gesprochen.« Doch der lehnte cool ab: Erbstück des Vaters, unverkäuflich! »Sechs Jahre später versuchte ich es erneut, man weiß ja nie!« Doch wieder war Raoul kein Erfolg beschieden.

Ende der Geschichte? »Nein: Im Februar 2012 war ich wieder auf der VW-Messe in Mol, und am Ende des Tages schon auf dem Weg zum Ausgang. Dort treffe ich ein paar gute Freunde, wir quatschen ein wenig. Und dabei meint mein Kumpel Richard, er hätte einen Eiswagen zum Verkauf gesehen, ich hätte doch mal an so was Interesse gehabt.« Tatsächlich hatte Raoul im Laufe des Tages gleich zwei Mal Eis an diesem Oldie erworben, und ihn zugleich als unerwerbbar erachtet – derweil hing die Verkaufsnotiz auf der Rückseite des Wagens. »Darauf angesprochen meinte der Besitzer, er wäre davon ausgegangen, dass ich kein Interesse mehr hätte.« Die nachgeschobene Aussage, der Wagen stände nun schon ein Jahr lang zum Verkauf, dürfte Raouls Blick noch ein weniger wilder gemacht haben. Lange Rede, kurzer Sinn: »Kurz darauf war der Kauf besiegelt.«

Doch nun begann erst die Arbeit. Raoul vermochte eine so umfassende Restaurierung, wie sie der umgebaute Brezel-Käfer inzwischen nötig hatte, auch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr stemmen. »Der größte Teil der Restaurierung wurde deshalb von meinen guten Freunden Geert und Robert José Mommen durchgeführt.« Gut eintausend Stunden mussten in das Projekt investiert werden, das unterm Blech so manche Baustelle offenbarte. Kurz: Der Eisbus erforderte viel Blechnerkönnen.

Dieses war aber bereits bei der Entstehung des sympathischen Verkaufswagens nötig. Gebaut wurde er bei der Firma »Carosserie Plaastslagerij Valkenaers« mit Sitz in Gerode in Belgien. Als Basis diente ein Brezelkäfer von 1952, wobei die Bodengruppe beidseitig um zumindest 20 Zentimeter verbreitert wurde. Das zeigte sich auch bei der Frame-Off-Restaurierung. »Auch das Armaturenbrett erinnert gewaltig an den VW Käfer«, erklärt Raoul beim Rundgang um den Wagen, der heute wieder in Bestzustand auf seinen 16-Zöllern steht. »Gebaut wurde die Karosserie 1962 von Valkenaers. Das Unternehmen besteht seit 1945. Es begann mit dem Bau von Wohnwagen und übernahm schon früh in den 1950er-Jahren Kundenaufträge für Spezialkarosserien«, erklärt Raoul die Geschichte zur bis heute existierenden Firma, bei der insgesamt vier Eiswagen entstanden. Doch nur sein Exemplar hat überlebt, »die anderen drei wurden verschrottet, und sind leider verloren.«

Interessant ist natürlich, dass 1962 auch ein VW Bulli verfügbar gewesen wäre, auch als Gebrauchtfahrzeug. Seit Mitte der 1950er Jahre gab es zudem offiziell vom Werk angebotene oder von Aufbauherstellern gefertigte Verkaufswagen, 1956 wurden diese ins VW-Programm aufgenommen. Westfalia hatte beispielsweise auch seitliche Verkaufsklappen am Start, ab 1958 gab es zudem einen Kühltransporter mit einem vom Motor betriebenen Kühlaggregat.

All dies interessierte freilich niemanden bei Valkenaers, vielleicht wollte man sich nicht von der Außenstruktur des Bulli in ein Korsett zwingen lassen? Denn der Aufbau ist ohne Frage überaus luftig und hell, die riesigen Fensterflächen erlauben den Blick ins Innere. Gleich zwei Verkaufstheken dienen dem Kundenkontakt, die überdimensionalen Seitenscheiben lassen sich nach oben klappen. »Die großen Glasscheiben und vor allem das gebogene Glas an den hinteren Ecken waren damals schwer in Mode«, erklärt Raoul mit Verweis auf »normale« Ladengeschäfte jener Zeit. Hier wie dort wurde die Arbeit durch entspannte Stehhöhe erleichtert. Auch im Eiswagen musste sich keiner den Rücken verrenken, wenn aus den Behältern, sie fassen 30 Liter Speiseeis, die süßen Kugeln verkauft wurden: Bestimmungsgemäß wurde der stark modifizierte Brezel-Käfer für den Straßenverkauf von Speiseeis der Firma Caers of Mol verwendet – er blieb auf Jahrzehnte im Einsatz.

Eis verkaufen? Das geht auch heute noch, die mit Landstrom betriebene Kühlanlage wurde revidiert. Sie funktioniert wieder einwandfrei, wie Raoul betont. Er vermochte sein Wägelchen schon oft genug auf Messen oder Treffen so einzusetzen, wie es 1962 beabsichtigt war und wie es durch die passenden Bemalungen verdeutlicht wurde. »Die Bilder sind noch original, wie auch der Lack auf dem Dach«, freut sich Raoul. Und auch die Gläser oder die Glocken über dem erhöhten Fahrersitz, mit denen die Ankunft des belgischen »Glacier Express« angekündigt wurde, sind noch original. Das fesche Geläut wurde natürlich ebenfalls saniert. An dieses erinnert sich auch so manch Zeitgenosse, Raoul kann von zahlreichen Begegnungen berichten: Selbst stramme Erwachsene bekommen beim Blick auf dieses unschuldige Vehikel, das so sehr von klebrigen Fingern und sommerlichen Kindertagen voll vanilliger oder schokoladiger Süße im Mund kündet, einen leicht feuchten Glanz in die Augen.

Einen solchen hat auch Raoul, wenn er auf seinen extravaganten Liebling blickt. In Sachen Exklusivität stellt der jeden Rometsch oder Hebmüller in den Schatten. »Nach 14 Jahren Geduld endlich diesen Eiswagen fahren zu dürfen, das ist ein wunderbares Gefühl«, meint der in der Szene für seine veritable Sammlung bekannte VW-Fan aus Alken in der belgischen Provinz Limburg.

Einzig auf die Frage, welches Detail des Fahrzeugs – er nennt es »Bellecke«, wie schon Anfang der 1960er-Jahre mit Bezug aufs verheißungsvolle Eis-Geläut auf die Dachhaube gepinselt wurde – ihm selbst am besten gefällt, kann er nicht direkt antworten. Er entert deshalb kurz den Fahrersitz, lässt den Blick schweifen: »Die schönen Armaturen vielleicht mit dem Tacho und der Uhr?« Er hält kurz inne. »Oder die Hauben?« Schlussendlich ist es jedoch eine klare Sache: »Das ganze Konzept ist es, was mich so begeistert und von Anfang an so begeistert hat.« Er grinst derweil selig und zufrieden – wie ein Steppke, der just die letzte Kugel zu ergattern vermochte, um den Faden noch einmal aufzunehmen. »In meinem Fall wäre das ordentliche Portion ›Damblache, das ist Vanille mit Schokolade und Schlagsahne, meine Lieblingssorte«, meint Raoul und lässt noch einmal die Glocken über der Fahrertür klingeln.

Echte Männer werden eben nie erwachsen. Und das ist auch gut so!


VW Typ 1 Sonderkarosserie »Eisbus«

  • Baujahr 1962
  • Karosserie Alu-Aufbau (Carosserie Plaasts-lagerij Valkenaers). Zwei Verkaufstheken, Seitenscheiben klappbar, Stehhöhe, Kühlkompressor (230 V), Behälter für 30 Liter Speiseeis.
  • Motor Typ 1, original, 1.131 ccm Hubraum, 24,5 PS.
  • Fahrwerk Typ 1 (1952), Bodenplatte stark modifiziert, Felgen 3,5x16.