Arne Olerth
· 11.03.2023
Je älter ein Bulli, umso seltener und wertvoller ist er. GUTE FAHRT erzählt den Anfang der Geschichte des Raumwunders – anhand eines Transporters aus dem ersten Produktionsjahr
Der Hype um Volkswagens neuen E-Bulli ID. Buzz fußt auf den Erinnerungen an die alten VW-Bus- Generationen, insbesondere den Ur-Bulli T1. Woodstock, Hippietrail, Blumenkinder und freie Liebe – das Wirken wird durch eine Reduktion auf derartige Impressionen aber verklärt. Sein wahrer Alltag war in der Regel weit weniger glamourös, war er doch als echtes Arbeitstier konzipiert. Er mischte ein Segment auf, das in den Fünfziger Jahren noch geprägt war von motorisierten Dreirädern und ähnlichen Hilfskonstruktionen, die teilweise noch aus Vorkriegszeiten stammten. Mit riesigem Raumangebot, modernen Fahreigenschaften und erschwinglichen Kosten gleichermaßen in Anschaffung und Unterhalt eroberte er die Herzen von Unternehmern, Gewerbetreibenden und manchen Familienoberhauptes, schulterte in Folge das Wirtschaftswunder mit links. Das leichte Leben mit Gitarrenklängen, gebatikten Vorhängen und Sinnsuchenden aber gab es für ihn erst im Altenteil, Jahrzehnte danach.
Die Initialzündung zu diesem Ausnahme-Automobil hatte vor mehr als sieben Jahrzehnten der niederländische Volkswagen- Generalimporteur Ben Pon, der anlässlich einer Werksbesichtigung in Wolfsburg 1947 auf den Plattenwagen aufmerksam wurde – jener simplen Transportkonstruktion auf Käfer- Chassis mit Ladeplattform und Käfer-Motor, die im Werk für Transportzwecke genutzt wurde. Deren hinterer Führerstand verhinderte aber eine Zulassung in den Niederlanden, worauf Pon eine flotte Skizze in sein Notizbuch skribbelte – mit einem vorderen Kommandostand. Er verpasst der Konstruktion eine maximal raumeffiziente Gestalt in Quader-Form. Fertig war das Konzept für den VW Transporter, der in Folge eine einzigartige Karriere in der Automobilgeschichte antrat.
Gesicht aus dem Windkanal
Dazu bedurfte es mehrerer Umstände: Zum einen wurde 1948 Heinrich Nordhoff als Generaldirektor für Volkswagen eingesetzt, der die Geschicke des Autobauers mit Fortune lenkte. Im gleichen Jahr verlieh die Währungsreform der deutschen Wirtschaft mit der Einführung der D -Mark enormen Auftrieb, von der auch Volkswagen profitierte – kurz: Die Zeit war reif für die Einführung eines zweiten Modells neben dem Käfer. Ende 1948 fiel die Entscheidung zur Entwicklung des Transporters basierend auf Pons Idee, der intern Typ 2 genannt wurde. Neben Ben Pon gab es einen weiteren Externen, der die heute so geliebte Gestalt des T1 maßgeblich prägte: ein namentlich nicht bekannter Mitarbeiter der Technischen Hochschule Braunschweig. Die gerundete Front ging auf seine Initiative zurück, nachdem er ein von VW geliefertes Holzmodell im Maßstab 1:10 im Auftrag im institutseigenen Windk anal getestet hatte. Die austauschbaren, kantigen Fronten waren annähernd rechtwinkelig geformt und einmal mit einem zusätzlichen Dachüberstand versehen. 0,75 beziehungsweise 0,77 – der Luftwiderstandsbeiwert konnte nicht überzeugen, selbst nach Maßstäben von vor einem dreiviertel Jahrhundert. Woraufhin der gewiefte TH-ler eine abgerundete Form modellierte, die den cW-Wert auf 0,43 reduzierte. Nordhoff überzeugte die Reduktion des Luftwiderstands um mehr als 40 Prozent, konnte er den Transporter damit doch mit dem Käfer-Motor ausrüsten, musste kein stärkeres Aggregat entwickeln. Volkswagen überarbeitet in Folge die Front nach den Windkanal-Maßgaben. Und noch etwas wurde im Frühjahr 1949 geändert: die Konstruktion des Aufbaus.
Der erste Prototyp auf Käfer-Plattform erwies sich auf Erprobungsfahrten als völlig unterdimensioniert für den Einsatz im Transporter. In Folge trennten sich die Wege von Käfer und Transporter: Während ersterer auf einer Plattform mit geschraubtem Häuschen gebaut wurde, ist der spätere Typ 2 mit selbsttragendem Aufbau konzipiert, Volkswagen sprach von „Flugzeugbauweise“. So konnte vom Käfer – anders als geplant – nur der Motor übernommen werden. Und das Getriebe, das mit zusätzlichen Vorgelege- Getrieben an den Radnaben in Sachen Übersetzung einfach an die Bedingungen im Transporter angepasst wurde. Zudem sorgte die Konstruktion für eine erhöhte Bodenfreiheit – auf damaligen Straßen gewiss kein Nachteil. Im November 1949 wurde der Transporter von Volkswagen vorgestellt. Namenlos, leider. Das Patentamt nämlich schlug die Vorschläge aus Wolfsburg aus. „Bully“ etwa erinnere sehr an den „Bulldog“ der Firma Lanz. Erst Jahrzehnte später konnte sich Volkswagen hier die Namensrechte sichern.
Am Anfang ein Scheunentor
Die Serienproduktion startete im März 1950 – anfangs als Transporter, später kamen der Bus und deren Mischform, der Kombi, dazu. Heute sind Bullis der ersten Baureihe T1 (19 5 0–19 67) gleichermaßen selten wie begehrt. Besonders die ersten Jahrgänge bis Anfang 1955 stehen besonders hoch im Kurs der Fans, wurden diese doch in Wolfsburg und nicht im ab 1956 eigens für den Transporter konzipierten Volkswagenwerk in Hannover gebaut. Zudem sind die ersten Bullis mit zwei Eigenarten gesegnet: Zum einen verfügen sie noch nicht über einen vorderen Dachüberstand mit integrierter Lüftungsanlage, zum anderen verfügen sie über eine, in Anbetracht des winzigen Motörchens fast schon riesige Motorklappe. Bulli-Fans titulieren die Bullis der ersten Baujahre daher liebevoll als „Barndoor“- – zu deutsch: Scheunentor- – Busse.
Der Ur-Bulli ohne Heckstoßstange ist kaum länger als ein aktueller Polo. Als Meister der Raumausnutzung bietet er Platz für bis zu 4,5 Kubikmeter Gepäck – oder neun Passagiere
Der leidenschaftliche Volkswagen-Fan Axel Struwe hatte das große Glück, vor exakt 20 Jahren solch einen Barndoor-Bulli aufzutreiben. Noch dazu aus dem ersten Baujahr 1950, dabei wurde doch unter den drei Aufbauvarianten gerade der Transporter als Lastesel am ehesten verschlissen. Nach mehr als einem halben Jahrhundert Lebenszeit war für den Struweschen Bulli daher auch eine aufwendige Vollrestauration notwendig. Drei Jahre lang fahndete der Bielefelder Fotograf nach Ersatzteilen, sorgte für die notwendige Expertise etwa in Form von Werkstatt-Reparaturanleitungen und Ersatzteilkatalogen. „Wenn ich etwas anfange, dann möchte ich es professionell zu Ende bringen. Dafür benötige ich zunächst einen historischen Background“, erklärt Struwe. Das Ergebnis gibt ihm recht: Nach gerade einmal weiteren drei Jahren war der Bus in einen „Besser-als-neu“-Zustand verwandelt. Sogar Volkswagen Nutzfahrzeuge lieh sich den taubenblauen Transporter für eine Ausstellung aus.
Der Bulli ist eine wahre Zeitkapsel: 24,5 PS und 80 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit erzählen genauso von einem gänzlich anderen Straßenverkehr als heute wie der einzelne, kleine Außenspiegel oder der Reservehahn, zu dessen Betätigung der Fahrer im Motorraum hantieren musste. Der Urenkel von heute hingegen ist voll digitalisiert und stets online, man spricht sogar mit ihm: „Hallo I D., erzähl mir einen Witz!“ Doch ohne Ben Pons Eingebung gäbe es heute den ID. Buzz nicht.