Über drei Jahrzehnte ist es her, seit ein Sieben-Kilo-Bauteil den Polo zum Platzhirsch auf der linken Spur machte: Jener von VW entwickelte Spirallader sorgte für satte 115 PS. Das als »G-Lader« bekannte Aggregat lief nur zehn Jahre, brachte aber wesentliche Erkenntnisse für heutige aufgeladene Motoren.
Gern schwärmen Besitzer des legendären Polo GT G40 vom Sprint- und Leistungsvermögen ihres sonor brummenden VWCoupés. Wenn Fahrer größerer und vermeintlich schnellerer Wagen mit offenem Mund dem vorbeiziehenden Zwerg hinterher starrten. Und dass der knackige Fünfsitzer selbst längere Strecken klaglos und flott unter die 13er-Breitreifen nahm. Aber war da nicht etwas mit ständig defekten Ladern, Unzuverlässigkeit und hohen Kosten bei den zunächst 19.950 DM, später 25.690 DM teuren Autos? Und warum halten sich solche Vorurteile dauerhaft, auch wenn der Sachverhalt längst und nachvollziehbar aufgeklärt ist?
Tatsächlich wurden zwischen 1987 und 1994 rund 24.500 der schnellen Polo-Coupés gebaut, die heute als heiß gesuchte Liebhaberstücke gelten und im Preis unaufhörlich klettern. Insgesamt waren über die lange Bauzeit von 1981 bis 1994 etwa 1,7 Millionen Zweier-Polo entstanden, davon rund ein Viertel Coupés. Die Steilheck-Version kam nie in den Genuss des epochalen, aber verkannten Laders. Allerdings machten frühe Exemplare des sogenannten zweiten Bauloses (1988) arge Probleme, die den Ruf der G-Lader-Technik schädigten – obwohl die Wolfsburger schnell Abhilfe schufen.
Bei Volkswagen hatte man wohl geahnt, dass Schäden auftreten könnten. Und darum noch vor Markteinführung einen werbeträchtigen 24-stündigen, von der FIA überwachten Dauertest absolviert, der im September 1985 ohne Beanstandungen über die Bühne gegangen war. Als Fahrer der drei nahezu serienmäßigen Polo-Versuchsträger mit dem G40-Motor fungierten hochrangige VW-Manager, Motorjournalisten und Rennprofis. Das beste Auto, gefahren vom Team um Jochi Kleint, kam auf einen beeindruckenden Dauerschnitt von 208,34 km/h. Dennoch stand noch viel Kleinarbeit beim G40- und dem anschließend entwickelten G60-Lader an, bis schließlich um 1991 mit Beginn der Großserie alle Kinderkrankheiten ausgemerzt waren. So ausgestattete Fahrzeuge haben seitdem 100.000 Kilometer und mehr ohne Mängel zurückgelegt.
Knapp 20 Jahre früher, Anfang der 70er, hatte es bereits erste Überlegungen in puncto Leistungssteigerung für die nagelneuen Vierzylinder-Reihenmotoren gegeben. Denn deren maximale Hubräume waren angesichts ihrer Grundkonstruktion quasi für alle Zeiten fixiert: Bei der kleinen EA-801/111-Reihe mit 82 mm Stichmaß waren dies zunächst 1,3 bzw. 1,4 Liter (aktuell sind bis maximal 1,6 Liter Hubraum möglich). Der größere EA 827 mit 88 mm Zylindermittenabstand brachte es zunächst bis auf 1,6, dann auf 1,8 und schließlich – heute – final auf 2,0 Liter. Mehr Power war also über den Hubraum kaum möglich, vier statt zwei Ventile und dann die Saugrohreinspritzung befanden sich damals noch in weiter Ferne. Bester Ausweg war darum die Aufladung – nur war damals noch nicht klar, welche Technologie – Kompressor oder Turbolader – die bessere sein würde.
In der automobilen Frühzeit hatten Hersteller wie Bentley, Daimler oder BMW auf die Kompressortechnik mittels mechanischer Verdichter gesetzt: Die komprimieren die Ansaug- sprich Ladeluft und sorgen für eine bessere Füllung der Zylinder. Größtes Plus der so aufgerüsteten Triebwerke war und ist das hervorragende Drehmoment aus niedriger Drehzahl. Nachteilig jedoch, dass die Antriebsenergie für den Kompressor vom Motor aufgebracht werden muss – und so den Gesamtleistungsoutput des Motors minimiert. Turbolader, die durch die Abgasenergie angetrieben werden, müssen zwar beim Ladungswechsel ebenfalls »pumpen«, bescheren aber fast durchgängig einen höheren Wirkungsgrad. Zu Anfang, beispielsweise beim BMW 02 turbo und beim Porsche 930 Turbo mit dem legendären »Turboloch«, war es allerdings noch äußerst schwierig, einen harmonischen Drehmomentaufbau zu sichern.
Bei Volkswagen war man natürlich auch an diesem Thema dran. Dr. K.-D. Emmenthal, damals Leiter der Abteilung Gemischbildung in der VW-Forschung, hatte bereits 1973 einem Käfer dank Turbolader 90 statt serienmäßig 50 PS für den 1,6-Liter-Boxer spendiert. Die hohen Temperaturen und das Turboloch ließen ihn jedoch schier verzweifeln: »Der Motor hielt nur 100 Kilometer. Wir haben in einem halben Jahr mindestens vier Motoren getötet, nur um zu schauen, wie das System arbeitete«, entsann er sich – nicht ahnend, dass es nochmal mehr als zehn Jahre dauern würde, bis die Aufladung am Mittellandkanal in Serie gehen würde.
Die VW-Forscher aus dem Emmenthal-Team checkten nun sowohl Turbo- als auch Kompressor- aufladung – wobei Leistungsoutput, Kosten und Liefermöglichkeiten als Entscheidungskriterien galten. Die bisherigen Verdichter-Konzepte überzeugten nicht – weder der Roots-Kompressor, wie ihn Fiat Anfang der 80er einsetzte, noch der Flügelzellenlader, wie er an amerikanischen Motoren zu finden war. Auch der Comprex-Druckwellenlader, der damals kurz bei Opel und Mazda bei Dieselmotoren in kleiner Serie gebaut wurde, konnte sich nicht durchsetzen.
Aber während der Entwicklung eines frühen, neuartigen Kraftstoff-Einspritzsystems bei Volkswagen begann die Suche nach einer Pumpe, wie sie beispielsweise in Kühlschränken verwendet wird. Statt eine vibrations- und geräuschintensive Kolbenpumpe einzusetzen, griffen die Forscher nun auf einen mechanisch angetriebenen Spiralkompressor zurück. Das Patent von 1905 geht auf den Franzosen Leon Creux zurück, war aber nie genutzt worden, weil die Bearbeitungstechnik noch in den Kinderschuhen steckte und damit die notwendigen Toleranzen nicht machbar waren. Nun aber zeigte sich, dass dieser »Spirallader« sehr wohl das Zeug dafür hatte, auch für die Motorenaufladung genutzt zu werden.
VW entwickelte die Spirallader-Idee – mit einer spiralförmigen Kammer und einem gleichfalls spiralförmigen Verdränger – in Zusammenarbeit mit der Schweizer Firma Aginfor zu einem praktikablen Auflade-Aggregat.
Und so funktioniert’s: Der Verdränger kreist innerhalb der Gehäusespiralen und fördert verdichtete Luft zum Motor. Die Spalte zwischen den Bauteilen mussten indes minimal sein, was aber zunächst aufgrund der noch in den Kinderschuhen steckenden Fertigungstechnik nicht zu schaffen war. Gelöst wurde das Problem durch ein neuartiges Hochgeschwindigkeits-Frässystem, das parallel von VW entwickelt werden musste und positive Ergebnisse brachte. Daraufhin fiel die Vorentscheidung für den neuen, kleinen Kompressor. Entwicklungschef Ernst Fiala gab Grünes Licht für den neuartigen Lader. Die Bezeichnung »G-Lader« fiel dem Forschungsmitarbeiter Otto Schäfer ein, als er mit einem Stift die Spiralkontur nachzeichnete.
Prototypen mit verschiedenen Kammertiefen und unterschiedlichen inneren Verdichtungen wurden untersucht. Schließlich konzentrierte sich die Entwicklung auf den G40-Lader (40 mm Kammertiefe), der ab 1983 im Polo 1.3 getestet wurde. Der Lader wurde – über Riemen von der Kurbelwelle angetrieben – in den knappen Raum auf der Abgasseite vor dem quer installierten EA 801-Vierzylinder gequetscht, beeinträchtigte aber nicht den Crashraum.
Volkswagen leistete Pionier- und Grundlagenarbeit, ging es doch zum einen um ein völlig neues Ladegerät und zum anderen um ein leistungsstarkes Fahrzeug in der Subkompakt-Klasse. Nach den erfolgreichen Dauerläufen ging das komplette Projekt von der Forschung an die Vorentwicklung. Die Forscher widmeten sich nun einem größeren Lader – dem G60 – mit mehr Kammertiefe und überarbeiteter Spiralgeometrie.
In der Motoren-Vorentwicklung wurde derweil das Konzept auf den neuen EA-111-Motor übertragen, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger EA 801 über Tassenstößel und einen hydraulischen Ventilspielausgleich statt Schlepphebel verfügte. Der zugehörige Ladeluftkühler saß zunächst im vorderen Querträger, VW-Fahrzeuge ohne LLK sind nie realisiert worden. Bei Nennleistung rotierte der Lader übrigens zwischen 10.000 und maximal 13.000/min. 115 PS/85 kW bei 6.000/min sowie 148 Nm bei 3.600/min brachte der 1,3-Liter-Zweiventiler, während sich der nicht aufgeladene Motor mit maximal 75 PS/55 kW bei 5.900/min und 102 Nm bei 3.600/min zufriedengeben musste.
In der Aggregate-Entwicklung wurde der G-Lader schließlich so standfest gemacht, dass erste Showcars auf der IAA 1985 präsentiert werden konnten. Ab 1987 gingen besagte drei Baulose einer Sonderserie mit insgesamt 2.000 Fahrzeugen in den Verkauf. Bei dem exklusiv in Frankreich vertriebenen zweiten Baulos fielen jedoch diverse Lader aus – weil die Material- und Verarbeitungsqualität der G-Lader nicht stimmte. Vor allem fehlte Silizium, das zum Härten von Magnesium erforderlich ist. Ohne langes Hin und Her wurden die kompletten Motoren getauscht – erst dann erfolgten Schadensanalyse und aufwendige Optimierung des Herstellprozesses.
Flankiert wurde die bevorstehende Serien-
einführung mit dem von 1987 bis 1989 ausgetragenen, werksunterstützten Polo G40 Cup. Für ihn wurden zirka 50 Fahrzeuge von VW Motorsport vorbereitet, an Kunden verkauft (25.343 DM) und dann eingesetzt. Reglementsbedingt durften die 1,3-Liter-Maschinen (im Cup-Fahrzeug noch als EA 801 Schlepphebel-Motor) nicht leistungsgesteigert werden, wobei aber beispielsweise die Motorlagerung verändert und eine modifizierte Kraftübertragung zum Einsatz kam. Die abgespeckten Fahrzeuge mit einem geänderten Frontrahmen (geänderte Stabilisatoraufnahmen und Spurverlängerung) kamen auf 190 km/h. Und sie straften die Vorbehalte gegen die neue Technik Lügen. Nebenher bot VW Motorsport noch eine Breitbauversion mit Spurverbreiterung an (Aufpreis 8.167,80 DM nur für das Kit).
Der offizielle Anlauf einer größeren Serie verschob sich aber auf das Jahr 1990, als der Polo Typ 86 C durch den weiterentwickelten Typ 86C 2F – äußerlich erkennbar an den rechteckigen Scheinwerfern und dem G40-Logo auf der linken Seite des Grills – abgelöst wurde. Serienmäßig blieben die Tieferlegung der ansonsten kaum veränderten, in fünf Farben lieferbaren Karosserie, Nebelscheinwerfer, innenbelüftete Scheibenbremsen vorn, 175/60 R13-Gummis, Fünfganggetriebe und einige Kleinigkeiten im Innenraum einschließlich des sehr optimistisch bis 240 Stundenkilometer anzeigenden Tachos.
Wegen des Katalysators sank die Leistung ab Februar 1991 auf 113 PS, echte Einbußen brachte dies jedoch nicht mit sich. Wer permanent das rechte Pedal heftig malträtierte, musste naturgemäß mit hohen Verbräuchen bis zu 13 Liter je 100 Kilometer rechnen.
Mit dem G-Lader hatte Volkswagen nun ein absolut eigenständiges Aufladeaggregat, das bei allen Benzin- und Dieselmotoren eingesetzt werden sollte. In der Aggregate-Entwicklung entstanden tatsächlich Dieselmotor-Prototypen mit direkter Kraftstoffeinspritzung mit zwei und vier Zylindern, die dank der G-Lader hohe spezi-
fische Leistungen brachten. Ein populäres Beispiel dafür war die 50er-Kleinstserie des Öko-Polo (1987–1989) mit DI-Reihenzweizylinder und G40-Lader, diesmal wegen der Position der Verteilereinspritzpumpe versteckt auf der Rückseite des Motors.
Bereits ab 1988 war auch der parallel entwickelte G60-Lader zum Einsatz gekommen – zuerst für den 1,8-Liter-Vierzylinder (EA 827) im Corrado, ab 1991 dann auch im Golf II. Den 160-PS-Motor gab es auch in Volkswagens Mittel- klasse, im Passat 35i G60 GT syncro.
Als Spitzenmotorisierung des Corrado war ursprünglich der neue VR6 angedacht worden, aber der war noch nicht fertig – darum musste unter extrem hohem Zeitdruck der G-Lader einsatzbereit gemacht werden. Denn sonst hätte sich frech der Opel Kadett GSi mit seinem 2,0 Liter 16V mit 160 PS an die Spitze des Kompaktwagen-
segments geschoben …
Mit einem Corrado G60 fuhren zwei Teams im August 1988 eine bemerkenswerte Durchschnittsgeschwindigkeit von 257,11 km/h heraus. Die Spitzengeschwindigkeit lag bei über 270 km/h! Betreuer dieses Einsatzes war, wie schon beim Polo-Dauertest, das Forscherteam.
Der Powertriebling von VW befeuerte auch den zivilen Rallye Golf, der als Homologationsfahrzeug in 5.000 Exemplaren verkauft werden musste – damit konnte ein neues Rennfahrzeug an den Start gehen. Renneinsätze waren seinerzeit die glaubwürdigste Bühne für die Zuverlässigkeit der neuen Technik. Volkswagen nahm mit dem Golf G60 an der Deutschen Rallye-Meisterschaft (Meisterschaftsgewinn 1991 durch Erwin Weber) und in der Weltmeisterschaft teil. Auch bei diesen Einsätzen unterstützte die Volkswagen Forschung. Mit dem neuen Golf G60 war 1987 ebenfalls ein Dauerlauf absolviert worden – mit einem Schnitt von 240,84 km/h über 24 Stunden.
Und nur für den Golf Limited baute VW Motorsport dann eine limitierte Vierventil-Serie mit 210 PS (nur 71 Exemplare) – ein heute heiß gesuchtes Powerauto. Volkswagen stellte es damals Formel-1-Mentor Max Mosley für zwei Monate zur Verfügung: Er soll begeistert gewesen sein, erinnerte sich Emmenthal. Den starken Motor gab es aber nie offiziell beim VW-Händler, sondern ausschließlich als teure Nachrüstlösung (25.080 DM on top) durch Volkswagen Motorsport für Passat, Rallye Golf und Corrado.
Verwendung hatten G-Lader auch bereits ab 1984 bei Forschungsautos wie dem IRVW 3 (1,8-Liter vom GTI, G60-Lader und 180 PS) und dem Polo Sprint gefunden (1,9-l-Digijet-Versuchsboxer mit G60- Lader längs, 156 PS). Bei diesen Ladern handelte es sich natürlich noch um Versuchsaggregate jenseits der Serienreife. In der Forschung lief übrigens über 80.000 km ein Passat 35i mit 1,9-Liter-Wirbelkammerdiesel mit besagtem G60-Lader, eine ähnliche Lösung wurde auch für einen T4 mit 2,5-Liter-Fünfzylinderotto realisiert.
Für weitere Leistungssteigerungen hatte die Aggregateentwicklung einen noch leistungsfähigeren G50-Lader konzipiert, mit dem mehr als 220 PS möglich waren – so erklärte es Michael Willmann, damals in der Aggregateentwicklung verantwortlich für den G-Lader und aktuell Herausgeber eines neuen Sachbuches zum Thema. Zum G50 kam es allerdings nicht mehr, denn Fiala ging 1989 in den Ruhestand – und damit fehlte der Förderer der G-Technik.
Dennoch ließ Piëch als neuer Volkswagen-Chef noch 1993 prüfen, ob nicht alle Diesel des Konzerns via G-Lader befeuert werden sollten. Erst ein harter Kostenvergleich entschied zugunsten des inzwischen weiterentwickelten Turboladers für den Diesel. Im Sommer 1994, mit dem Auslauf des Polo II, endete schließlich die Herstellung des hauseigenen G-Laders.
Anschließend – und bis in die Gegenwart hinein – gab und gibt es extern entwickelte Nachrüstlösungen des G-Laders wie den Handtmann-Spirallader, die in puncto Leistungsentfaltung und Präzision neue Maßstäbe setzen. Aber eine Chance für Serienprodukte ist angesichts der Weiterentwicklung des Turboladers bis hin zur variablen Ladergeometrie – sowohl für Diesel als auch für Benziner – nicht mehr zu erwarten. Übrigens hatte sich auch Mercedes mit dem Volkswagen-Konzept beschäftigt und sich um eine Kooperation mit den Wolfsburgern bemüht, setzte aber dann Mitte der 90er für seine 2,3-Liter-Kompressor-Typen einen Eaton-Lader mit verschränkten Rotoren ein.
Bei Volkswagen erlebte der Kompressor zehn Jahre nach der Mercedes-Initiative nochmals eine kurze Renaissance – im Golf V TSI mit dem 1,4-Liter-Twincharger: Dank eines Verbunds aus Turbolader und Kompressor wurden 170 PS/125 kW erreicht. Ob er auch Kultstatus wie Polo G40, Golf G60 und Corrado G60 erlangen wird? Bleiben Sie unserem Magazin gewogen – wir werden zu gegebener Zeit das Thema wieder aufgreifen … Wer noch mehr inhaltliche Tiefe wünscht, für den empfiehlt sich das neue Buch »High-Tech Motoren von Volkswagen«, das neben dem G-Lader auch die VR- und W-Motoren im Detail vorstellt.