Jürgen Lewandowski
· 06.10.2022
Im englischen Sprachraum ist mit Understatement vor allem gemeint, sich weniger dramatisch auszudrücken, als man es angesichts dramatischer Situationen erwarten könnte – wofür trifft dieser Begriff besser zu, als für einen harmlos aussehenden »Ovali« der 50er-Jahre mit einem Porsche-356-Triebwerk? Das Ergebnis: dramatische Fahrleistungen im Understatement-Gewand.
Natürlich war die Idee, einem Käfer mit einem Porsche-Motor zu mehr Temperament zu verhelfen, keine neue Idee – solche Gedankenspiele hatten bereits die stets nach Alternativen suchenden Techniker bei Porsche und bei Volkswagen bereits in den frühen 50er-Jahren. Ideen, die sich bei den engen verwandtschaftlichen Verhältnissen, die zwischen dem Käfer-Motor und den daraus abgeleiteten Porsche-Derivaten nahezu zwangsläufig ergaben. Natürlich wurde alles ausprobiert – zumal sich auch bereits relativ früh die ersten Motorsportler daran machten, mit dem Käfer bei den großen Events anzutreten. Was sich mit dem Heckmotor natürlich – wie auch bei den Porsche-Modellen – als Vorteil herausstellte.
So startete bereits 1949 bei der 19. Rallye Monte-Carlo, die erstmals nach dem Krieg wieder vom 24. bis 30. Januar stattfand, ein gewisser G. Goedhard mit seinem Käfer – Startort: Monte-Carlo – und kam auf Rang 43 wieder in den Zielort Monte-Carlo. Im Jahr darauf starteten bereits zwei Käfer, von denen einer ausfiel und der andere nun auf Rang 27 ankam. Und um den Aufstieg des Käfers im Rallyesport weiter zu verdeutlichen: 1951 traten bereits 13 VW Käfer bei der Rallye Monte-Carlo an – Petermax Müller kam als bester Käfer-Pilot auf Platz 41. Und man darf davon ausgehen, dass sich Könner und Kenner wie Petermax Müller oder der Porsche-Rennleiter Huschke von Hanstein – der auf Rang 121 ins Ziel kam – intensiv damit beschäftigt haben, ihren Käfer mit etwas mehr Leistung perfekt für die strapaziöse Tour nach Monte-Carlo vorzubereiten.
Erst 1952 starteten die ersten Porsche 356 bei den großen Rallys dieser Welt – davor hatte das Organisationsteam der Rallye Monte-Carlo 1951 das Reglement dahingehend geändert, dass nur serienmäßige Touren- wagen zugelassen wurden. Prompt meldete Porsche im Herbst 1950 Nennungen für mehrere Porsche 356 an, die jedoch abgelehnt wurden, da die Veranstalter die Boxer- motoren der 356er als VW-Triebwerke betrachteten – und Fahrzeuge mit Motoren von Fremdherstellern laut Reglement nicht zugelassen wurden. Selbst ein Brief von Prof. Ferdinand Porsche konnte die Veranstalter nicht umstimmen – und so vertraten eben die diversen VW Käfer die deutschen Farben in Monte-Carlo.
Nun dachte sich natürlich der eine oder andere Fahrer und Bewerber: Wenn ein Porsche mit einem Volkswagen-Motor nicht zugelassen wird, dann kann ich meinen Käfer-Motor natürlich mit Porsche-Teilen anreichern oder gleich einen Porsche-
Motor einbauen, denn er galt ja laut Reglement als Volkswagen-Motor.
Das sollte in den nächsten Jahren zu einigen VW Käfern führen, die mit Porsche 356-
Motoren auf die Straßen entlassen wurden – doch von nun an bewegen wir uns in nur wenig erkundetem Terrain, denn wir wissen nicht, ob und wie viele »offizielle« Mutanten dieser Art bei Porsche oder Volkswagen gebaut wurden.
Eckhard »Ecki« Schimpf, einer der großen Zeitzeugen der 50er- und 60er- Jahre – der später mit den von ihm gesponserten Jägermeister-Rennwagen selbst Motorsport-Geschichte schreiben sollte – erinnert sich: »Ja, es gab damals in der Frühphase des Nachkriegs-Rennsports eine ganze Reihe von (leicht verdeckten) Käfer-Einsätzen mit Petermax Müller oder Vogelsang, der auch spezielle Zylinderköpfe entwickelte – und mir fallen auch noch Namen wie Denk oder Levy aus Berlin ein. Und natürlich beschäftigte sich auch Sepp Greger in Dachau mit diesen Mutanten. Auch bei der Deutschlandfahrt und der Sechsstunden-Fahrt auf dem Nürburgring waren Wolfsburger
Käfer mit dabei!«
Natürlich wissen wir nicht, wie viele mehr oder weniger begabte Techniker und Mechaniker sich daran machten, in ihren Garagen derartige Zwitter auf die Räder zu stellen. Auf jeden Fall waren darunter auch technisch und handwerklich begabte Männer, deren Sinn nach ganz anderen Einsatzmöglichkeiten stand – so ein begnadeter Porsche-Mechaniker aus Bayern, der den Herzenswunsch seiner Frau erfüllte: ihr einen VW »Ovali« mit etwas mehr Leistung zu bauen, damit sie – die gerne schnell fuhr – nicht nur ein außergewöhnliches Gefährt mit Tarnkappe besaß, sondern auch auf den Straßen den einen oder anderen Überraschungseffekt genießen konnte.
Womit wir wieder bei dem Thema Understatement wären – also dem Wunsch, etwas ganz Besonderes zu haben, das aber nicht groß auffällt. Ein Gefährt, mit dem man trotz der unauffälligen Erscheinung überholen kann, wenn es notwendig ist. Aber es sollten viele Monate und Jahre ins Land gehen, bis der passende Wagen und alle mechanischen Bauteile gefunden waren.
Michael Kliebenstein, Auto-Kenner und stets auf der Suche nach außergewöhnlichen Fahrzeugen – sein Buch »Superfinds« (erschienen bei Porter Press International) ist zu dem Thema Pflichtlektüre –, fand den hier gezeigten VW Käfer, Baujahr 1957 in einer bayerischen Garage und war auf Anhieb von dem Ende der 80er-Jahre gebauten Unikat begeistert: »Man muss sich nur einmal den Motor ansehen, um zu verstehen wie gut das alles gemacht ist. Der Wagen selbst trägt größtenteils noch Originallack – und er hat eine richtig schöne Ausstrahlung.«
Doch vor dem fertigen Ergebnis sammelte der Erbauer erst einmal die passenden Bestandteile: Da wurde zunächst ein Käfer des Baujahrs 1956 erworben. Guter Zustand, aber nicht so perfekt, dass es kein Frevel war, den Wagen umzubauen. Gefunden wurde das entsprechende Objekt bei einer älteren Dame in Bad Tölz.
Parallel dazu begann die Suche nach einem Porsche-Triebwerk – hier fand sich ein Super 90-Motor, der ein paar Jahre in einem 356 Carrera Cabrio Dienst getan hatte, nachdem der diffizile und delikate Fuhrmann-Motor seinen Geist aufgegeben hatte. Als der Besitzer Ersatz für den Fuhrmann-Motor gefunden hatte, war der Super 90-Motor wieder ausgemustert und in einer Garagenecke zur Seite gestellt worden. Er entpuppte sich als die perfekte Basis für den geplanten Porsche-Käfer.
Unser begnadeter Techniker und Mechaniker sorgte erst einmal mit einer neuen Kurbelwelle mit vergrößertem Hub und mit aufgebohrten Zylindern für 1.950 cm³ Hubraum – anschließend bekam der Super 90-Vierzylinder größere Ventile, geschmiedete Kolben und 40er Solex-Vergaser. Das Ergebnis dürften etwa 115 PS sein, die für ausreichende Leistung sorgen. Was sich hier so einfach anhört und liest, ist in der Realität natürlich ein richtiges Stück Arbeit, das viel Kenntnis und Können voraussetzt.
Nun genügt es natürlich nicht, nur einen stärkeren Motor in eine alte Karosserie zu montieren – zu der richtigen Fahrfreude gehört auch eine entsprechende Peripherie: zum Beispiel eine adäquate Bremsanlage. Beim hier gezeigten Käfer sorgen vorne Scheibenbremsen und an der Hinterachse die Bremsen des 356 A für eine zügige und überzeugende Verzögerung. Entsprechend wurde auch das Fahrwerk der Leistung mit Stabilisatoren und einer Überarbeitung der Achsen angepasst. Eine verstärkte Kupplungsdruckplatte sorgte dafür, dass sich die Kupplung nicht rasch in Rauch auflöst. Klar natürlich auch, dass alle Umbauten in den Zulassungspapieren eingetragen sind. Schließlich stand der Erbauer in ständigem Kontakt zu den entsprechenden Behörden.
Nochmals Michael Kliebenstein: »Das Auto wirkt absolut wie aus einem Guss. Als wenn er immer schon so gewesen wäre – und es geht wie die sprichwörtliche Hex. Ich habe mit der sehr kurz übersetzten Achse problemlos 150 km/h erreicht – und da war immer noch Leistung vorhanden, da sollte die Tachonadel bei dem auf 160 km/h ausgelegten Tachometer an den Anschlag kommen. Man merkt, dass hier ein Könner gearbeitet hat, der sein Handwerk verstand – ein Könner und Kenner der Materie.«
Nun ist der Wagen in Österreich in einer ihn umsorgenden Garage gelandet – und der neue Besitzer weiß das Unikat zu schätzen: »Es ist ein Traumerlebnis, mit diesem Käfer schöne Landstraßen in Österreich oder im Bayerischen Chiemgau abzufahren. Das sanfte Brummen im Heck zusammen mit der durchaus heftigen Performance ist wie ein Rausch, die Straßenlage macht Lust zum Kurvenräubern, die Bremsen geben volles Vertrauen, sogar wenn es auf Passstrassen beim Anbremsen steil nach unten geht. Es ist wie eine Droge. Man möchte gar nicht aufhören. Es ist gar ein bisschen wie ein Zen-Erlebnis.«
VW Käfer Export