Andreas Kühne
· 04.10.2022
Früher Spießer, heute Kult – der VW Derby ist längst aus dem Straßenbild verschwunden. Umso charmanter, dass zwei Liebhaber aus Aalen die kleine Stufenheck-Limo hegen und pflegen. Die Geschichte eines ungewöhnlichen Aufeinandertreffens.
Treffen sich zwei Derby-Fahrer zufällig vor dem Café ... Ja nee, is klar, so was gibt’s heute nicht mehr. Vor rund 40 Jahren schon eher, als die kleine Stufen-Limo noch häufiger auf den Straßen zu sehen war. Dabei fand doch tatsächlich ein Treffen dieser beiden roten VW Derby statt. Oder auch nicht. Denn es war eigentlich ganz anders. »Ich stehe in meinem Café hinter dem Tresen, schaue nach draußen und denke, mich tritt ein Pferd«, erzählt Tibor Sander aufgeregt. »Rollt doch da vorne ein roter Derby vorbei. Da hat einer mein Auto geklaut, schießt es mir durch den Kopf.«
Sekunden später ist der Wagen schon wieder verschwunden. Tibor ist total verunsichert. »Ich bin sofort in die Tiefgarage runter und hab mein Auto gesucht!« Ein Glück, da steht er, sein marsroter Derby. Aber wer ist der unbekannte Derby-Fahrer? Das lässt den Gastronom aus dem ost-württembergischen Aalen nicht mehr los. Er war sich sicher, in seiner Heimatstadt gibt es keinen zweiten roten Derby. Einige Zeit später dann die Begegnung auf einem Oldtimertreffen. Hier steht das Auto von Steffen Maurer. Vom Besitzer aber keine Spur. Doch Freunde können zumindest mit der Handy- nummer weiterhelfen. Beim Fotoshooting lachen die beiden Aalener Derby-Driver herzhaft über dieses »Treffen« mit Hindernissen. Geschichten, wie sie nur das Leben schreibt. Zweimal Derby, zweimal unterschiedlicher Ansatz. Hier der originale, der bis auf die Luft in den Reifen und das frische Motoröl so da steht, wie er 1977 in Wolfsburg vom Band lief. Dort der mild getunte und mit deutlich weniger Bodenfreiheit gesegnete, komplett neu aufgebaute 79er, der so aussieht, wie es sein Besitzer haben wollte.
Die Fahrer? Ebenso unterschiedlich, wie ihre Autos: Tibor Sander, 68 Jahre jung, pilotiert den Serien-Derby aus dem ersten Produktionsjahr. Der ehemalige Caféhaus-Besitzer ist heute Ruheständler. „Für das Fotoshooting habe ich extra den Hochzeitsanzug meines Vaters rausgeholt!“ Steffen Maurer, 34 Jahre jung, besitzt das 1979er Modell, zu erkennen an den eckigen Scheinwerfern. Er ist als Metallbauer mit genau den Skills gesegnet, um ein Auto von Grund auf neu aufzubauen und zu optimieren. »Aber ich habe das nicht alleine gemacht«, so Steffen. »Meine Schrauberkumpels und mein bester Freund Joachim Gussmann haben viel geholfen. Joachim ist für alle technischen Umbauten verantwortlich, ich habe mehr oder weniger unterstützt.« In nur drei Monaten haben sie das Projekt durchgezogen. So unauffällig, wie ein Derby zu Lebzeiten im Verkehr mitgeschwommen ist, um so auffälliger ist er heute. Der kleine Rucksack-Polo ist heute im Straßenverkehr praktisch nicht mehr existent.
Kurzer Check bei mobile.de: Keine 20 Autos werden angeboten. Daher kaum verwunderlich, dass sich die Leute umdrehen und freuen, wenn sie einen sehen. Oder denken, den kenn ich ja gar nicht, was ist das denn für ein VW? Für Tibor der Grund, den Derby zu behalten. »In den letzten zwei bis drei Jahren wurde ich wirklich oft an-gesprochen. Das Auto ist ein echter Sympathieträger. Häufig sehe ich grinsende Gesichter und Daumen hoch!« Als er den roten Zweitürer 2015 in Dortmund für 2.800 Euro gekauft hat, war das noch anders. Kaum jemand hat sich für den Derby interessiert. Lebenskünstler Tibor war verwirrt. Von seinen vier Käfern, die er früher fuhr, war er anderes gewöhnt. Nach einem Jahr wollte er ihn wieder verkaufen. Steffen kam 2018 an seinen Derby. »2.000 Euro, teilzerlegt, aber guter Zustand. Ich wollte einen Oldtimer, aber ein Golf 1 kam nicht in Frage. Den fahren einfach zu viele.« Die Kunststoff-Stoßfänger, die ein 1979er Modell normalerweise trägt, ersetzte er gegen die Chromstoßstangen des Ur-Derby. „Der Kunststoff war ausgebleicht, auch mit Polieren nix zu machen.“ Den Kühlergrill spendierte ein Facelift-Modell von 1981. Damit die sechs Zoll breiten ATS-Räder mit Reifen in 165/55 R 13 sowie Spurplatten in die Radhäuser passen, legte das Duo Maurer/Gussmann die Kotflügelkanten an. Schweißarbeiten standen keine an, die hatte der Vorbesitzer schon erledigt. Auch die Neulackierung im Original-Farbton Marsrot G6G6 war sein Werk.
Tibor staunt über die sauber ausgeführten Arbeiten am Tuning-Polo. »Ich bin kein Schrauber. Mein Derby ist serienmäßig, inklusive Radio!« Der Kenner identifiziert das Mono-Gerät als die »Radioanlage Braunschweig«. Ein Blick in den Prospekt: fünf Watt, drei Drucktasten und eine Verkehrsfunktaste. Die einzige Abweichung an Tibors Auto: Es sind breitere Räder montiert, statt Pneus in 145 SR 13 entdeckt man die Dimension 155/70 R 13.
Wenn etwas hakt, bringt Tibor sein Auto in die Werkstatt. »Die machen gute Arbeit. Vergaser, Bremsen, Ölwechsel – viel war nicht zu machen.« Tibors 77er trägt seine Patina mit Würde, man darf dem Auto ruhig sein bewegtes Leben und seine 45 Jahre ansehen. Auch hier hat der Vorbesitzer schon am Derby-Blech geschweißt. Der Lack? Nicht alles original, sondern partiell nachlackiert.
Haube auf: Zwischen den Federbeinen kauert schüchtern der 0,9-Liter-Vierzylinder. Tapfere 40 PS entwickelt der Vergasermotor, gut für eine Spitze von 135 km/h. Gegenüber sieht es schon potenter aus. Vom Wolfsburger Band lief Steffens Derby 2 mit einem 50 PS starken 1.100er, doch jetzt ist ein 3F aus dem Polo 86 C montiert, sprich der 1,3-Liter mit 75 PS. Dafür musste die Kraftstoffanlage von Vergaser auf Einspritzung umgestrickt werden. Außerdem spendierte der Besitzer seiner Neuanschaffung eine Schrick-Nockenwelle mit 268 Grad, leichtere Hydrostößel von Pogo Performance sowie eine originale 3F-Auspuffanlage mit Fächerkrümmer und Endschalldämpfer von Friedrich Motorsport. Auch das Getriebe lieferte ein Polo 86C. Die Fünfgang-Box trägt den Kennbuchstaben AHD.
Augenfällig auch die Unterschiede in den beiden Derby-Interieurs. Die einzigen Gemeinsamkeiten: Platzangebot, Holzfolie und Fensterkurbeln. Sonst offenbaren beide Derbys ihren eigenen Charakter – hier nüchtern und zeitgeistig, dort sportlich und individuell. Weiter rum um die kleinen Limousinen. Wir kommen zum damals wohl wichtigsten Kaufgrund für einen VW Derby: der riesige Kofferraum. Zum ersten Mal Gleichstand zwischen Typ Tibor und Modell Steffen. Naja, fast. Steffen hat einen Subwoofer im Boden montiert. Aber sonst : links wie rechts viel Platz, sehr viel Platz – satte 425 Liter nach VDA-Norm.
Das kann sich sehen lassen für ein 3,91 Meter kurzes Stufenheck-Auto mit 700 Kilo Leergewicht. Ein Blick in den Prospekt von 1979: »Gar nicht zu reden vom üppigen Gepäckraum, der sich im eleganten Heck des Derby verbirgt«, schreiben die Werbetexter in schönster Prosa. Für die meisten Neuwagenkäufer damals wohl der Hauptgrund, sich einen Derby zuzulegen. Für Tibor und Steffen? Definitiv nicht!
VW Derby L
VW Derby L