VW 1200 Jolly (Unikat)Jolly good fellow

Eberhard Kittler

 · 24.10.2022

VW 1200 Jolly (Unikat): Jolly good fellowFoto: Dino Eisele, Kittler (2)
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Dass Spaß- und Freizeitmobile auf Volkswagen-Basis durchaus ein Thema waren, beweisen die legendären Buggys und »The Thing«, der Typ 181. 1960 entstand dann das Unikat eines kompromisslos aufgeschnittenen Käfers. Zehn Jahre später startete ein neuer Versuch, solch einen Strandwagen zu etablieren.

Wäre der Jolly-Käfer erfolgreich wie der Fiat 500 gewesen? Promis wie Mae West, Grace Kelly und John Wayne waren begeistert vom Italo-Spaßauto.
Foto: Dino Eisele, Kittler (2)

Wirklich südländisches Flair hat Niedersachsen nicht zu bieten, auch wenn Gewässer wie das Steinhuder Meer oder der Tankumsee die Urlaubsillusion vor azurblauer, sonnendurchfluteter Kulisse befördern mögen. In der Wirtschaftswunderzeit war der Traum vom warmen Süden in Deutschland noch viel populärer. Kein Wunder, dass auch Volkswagen mit einem Strandwagen schwanger ging. Obwohl die Idee auf deutschen Straßen nicht unbedingt funktioniert hätte, wären doch auf den Auslandsmärkten – vor allem in den USA – ganz sicher Exportchancen zu erwarten gewesen.

Karmann in Osnabrück, verlängerte Werkbank von Volkswagen in puncto Emotionalität – man denke nur an Käfer Cabrio und Karmann Ghia – , zeigte 1960 den auf schmalen 15er-Rädern rollenden Käfer Jolly. Eine ungewöhnliche Erscheinung, an die sich kein anderer deutscher Hersteller herangewagt hätte: Dach und Türen fehlten völlig, die Frontscheibe war um ein Drittel niedriger, Korbgeflecht dominierte den Innenraum. Fahrwerk und Technik stammten vom Serien-Krabbler, es blieb daher beim bekannten 1,2-Liter-Boxer mit 30 PS.

Weil die Serienkarosserie nicht selbsttragend ausgelegt war, sicherte deren Rahmen die notwendige Steifigkeit. Zumal waren umlaufende, dekorativ verchromte Rohre angeschweißt worden. Basis des 640 kg leichten, gechoppten Autos war übrigens keineswegs das Käfer Cabrio, sondern eine brave Limousine. Die bei Karmann verwahrten Konstruktionszeichnungen datieren vom 4. Juli 1960 und liefen als Ghia-Entwurf. Dort wurde das Auto nach Rücksprache mit den Osnabrückern aufgebaut. Es spricht also alles dafür, dass die Idee ursprünglich aus Italien stammt.

Denn zum einen war Carrozzeria Ghia seit 1953 enger Partner von Volkswagen, zum anderen hatten die Turiner ab 1958 in kleiner Serie den Fiat 500 Jolly hergestellt. Dessen Konzept konnte fast eins zu eins für Volkswagen übernommen werden.

Dass dieser witzige, fast schon dekadent wirkende Hingucker von Fiat beim internationalen Jetset zum Kultmobil geriet, lag an seiner Konzeption: Mit knapp drei Meter Außenlänge klein genug, um auf einer Yacht mitgeführt zu werden, sicherte er seinen Nutzern größtmögliche Aufmerksamkeit. Er kostete doppelt so viel wie der geschlossene Fiat 500, aber dies war völlig unerheblich. Dass heute bis zu 100.000 Euro für ein überlebendes Exemplar aus der etwa 750 Stück großen Kleinserie verlangt werden, spricht für das geniale Marketing.

Das Design des gestrippten Käfers basierte auf Entwürfen von Pietro Frua, der 1956 bis 1959 Chefgestalter von Ghia war. Das Finish erledigte sein Nachfolger Sergio Sartorelli. Aber der Käfer Jolly mit seinen vier Metern Außenlänge hätte wohl eine andere Zielgruppe bedient. Preislich dürfte er bei gut über 10.000 DM gelegen haben, aber die Volkswagen-Entscheider winkten nach kurzem Überlegen ab: Solcherart kaum renditeträchtige (?) Exklusivität überließ man lieber anderen. Auch die späteren Buggys entstanden samt und sonders bei Dritten, beispielsweise bei Karmann.

Heutzutage sind die Wolfsburger froh, ein solch emotionales Gefährt im Sammlungsbestand zu haben. Gottseidank wurde das heruntergerittene Unikat nicht verschrottet und gelangte – wie auch die komplette Karmann-Sammlung – unter die Fittiche von Volkswagen Classic, dessen Leitung der Autor dieser Zeilen innehatte. Um es wieder in die Öffentlichkeit zu bringen, musste es restauriert werden und eine Einzelzulassung erwirkt werden. Als besondere Herausforderung erwies sich dabei die Neuanfertigung des Korbgeflechts, die dank einer Verkettung glücklicher Zufälle über einen Korbmacher im Umfeld der polnischen Sitech-Sitzfertigung erfolgte. Ebenfalls nicht ganz einfach war die Beschaffung des textilen, baldachinartigen Sonndendachs mit den merkwürdigen Troddeln, das als Neuauflage bei einem norddeutschen Spezialisten entstand. Die erstmalige Straßenzulassung gab’s nur für die Zusicherung, Schutzketten in den Türausschnitten anzubringen, die zuvor so nicht vorgesehen waren.

Schon die türkise Farbgebung und die nostalgischen Weißwandreifen des knuddeligen Beachcars begeistern, wie sich 2012 bei der ersten Fahrpräsentation nach der Rundumrestaurierung im Art-deco-Viertel in Miami und am nahen Strand zeigte: Eigentlich sollte der Käfer Jolly nur als Background für das nagelneue Beetle Cabrio dienen – geriet aber dann unverhofft zum Star der Veranstaltung. Seitdem ist das Fahrzeug regelmäßig bei Klassik-Veranstaltungen unterwegs – und erfuhr als gelungenes 1:43-Modell weltweit Anerkennung.

Daumen runter für einen an sich gelungenen Entwurf bedeutet in der Automobilindustrie nicht, dass die Idee vergessen ist: So wurde die Idee für einen Strandwagen bei Volkswagen zehn Jahre nach dem verworfenen Erstling tatsächlich nochmals aufgegriffen. Volkswagen hatte wirtschaftliche Schwierigkeiten, arbeitete mit Hochdruck am Nachfolger des Käfers, experimentierte aber andererseits mit weiterentwickelten Derivaten des Krabbeltiers. Neben viertürigen Käfern mit stärkeren Triebwerken erinnerte man sich auch des Jolly-Spaßmobils – nicht zuletzt wegen des neu aufgelegten Renault R4 Plein Air. Entsprechende Prototypen des Nachfolgers haben – anders als die sogenannten Farbmustermodelle im Maßstab 1:4 – aber leider nicht überlebt. Noch immer ein ungelüfetes Geheimnis ist, wo der 1970er-Neuaufbau erfolgte. Vieles spricht für Karmann, weil Ghia genau zu diesem Zeitpunkt von Ford übernommen wurde.

Farbmustermodelle wurden übrigens nur angefertigt, sofern eine marktfähige Umsetzung angedacht war. Im Motoren-Kabinett des AutoMuseum Volkswagen steht eine gute Handvoll dieser fünf Kilogramm schweren Kunststoff-Miniaturen in schreiender Signalton-Kolorierung – darunter in der damaligen Modefarbe Orange. Die im Volkswagen-Musterbau in Handarbeit geschaffenen Modelle weisen Stilelemente des Serien-Käfers der Baujahre 1968 bis 1970 auf, hatten also noch nicht die vier Schlitzreihen der Cabrio-Motorhauben ab Sommer 1971. Käfer-Experte Björn Schewe vermutet gar, dass besagter neuer Käfer Jolly im Vorfeld der Buggy-Entwicklung entstand und als alternativer Vorentwurf diente, der dann zu Gunsten des Karamnn GF Buggys (ab 1971) verworfen wurde.

Mit Fug und Recht hätte man also im zurückliegenden, doppelten Jubiläumsjahr das Ständchen vom unvergessenen, guten, alten Kumpel („For he is a Jolly Good Fellow“) anstimmen dürfen. Aber es hat keiner daran gedacht, zumal entsprechende Veröffentlichungen bislang Mangelware sind. Umso größer die Hoffnung, dass die noch offenen Geheimnisse nun endlich von Zeitzeugen gelüftet werden. Und die ohnehin reiche Käfer-Historie um ein weiteres Mosaiksteinchen bereichern.


VW 1200 Jolly (Unikat)

  • Baujahr 1960
  • Karosserie Ganzstahlaufbau auf Zentralrohr-Plattformrahmen; Radstand 2.400 mm, Außenmaße 4.070 x 1.540 x 1.200 mm; türenlos, gekürzte Frontscheibe, Notverdeck aus Stoff.
  • Motor Vierzylinder-Boxer, 1.192 ccm, 30 PS bei 3.400/min.
  • Fahrwerk Vorn Kurbellenker oben / unten, 2 Federstäbe quer; hinten Pendellenker, Längslenker, Federstäbe quer; Trommelbremsen rundum.