Arne Olerth
· 05.02.2023
Das zauberhafte, türkisgrüne Wirtschaftswundercoupé wurde vom Genfer Karosserieschneider Ghia-Aigle auf Käferplattform realisiert. Ein Einzelstück, in dessen Namen ein renommiertes italienisches Designstudio mitschwingt. GUTE FAHRT skizziert die Hintergründe
VW Ghia-Aigle – das bildhübsche Coupé auf diesen Seiten basiert auf der Plattform und der Technik des Volkswagen Käfers, der im Designerdress von Ghia-Aigle als Traumauto auftritt. Alte Hasen der Volkswagen-Historie werden sich an den schnittigen VW Karmann Ghia erinnern, der, konzipiert nach dem gleichen Strickmuster, sehr erfolgreich von Volkswagen verkauft wurde. Zwischen 1955 und 1974 wurden 443.000 Autos produziert, als Coupé und als Cabriolet. Entworfen vom italienischen Designbüro Carrozzeria Ghia SpA in Turin, gebaut von der Wilhelm Karmann GmbH in Osnabrück auf einer marginal veränderten Käfer-Plattform von Volkswagen, trägt das Auto zu recht drei Väter in seinem Namen.
In den Sechziger Jahren gab es zudem noch den „großen“ VW Karmann Ghia, der das gleiche Konzept auf Basis des VW 1500/1600 wiederholte, gleichwohl nicht an den Erfolg des kleinen Bruders anknüpfen konnte. Nur etwa 42.000 Einheiten wurden in bei Karmann im Auftrag von Volkswagen fertiggestellt. Der VW Ghia-Aigle gleichwohl wurde nur ein einziges Mal gebaut, und hier hatte Volkswagen seine Finger ausnahmsweise nicht mit im Spiel. Die Initiative zu diesem zauberhaften, türkisblauen Wirtschaftswunderauto ging von der Genfer Firma Carrosserie Ghia aus, die unter dem Namen Ghia-Aigle auf dem Genfer Automobilsalon 1957 ein Auto zur Demonstration ihrer kreativen und handwerklichen Fähigkeiten ausstellen wollte – heute würde man „Showcar“ dazu sagen. Hat also das Schweizer Karosseriebauunternehmen Carrosserie Ghia bei Genf nichts mit der italienischen Designschmiede Ghia zu tun? Und warum trägt das Coupé den Zusatz „Lugano“ im Namen?
Antworten finden sich in der Geschichte des Schweizer Unternehmens, die so wechselhaft ist wie der VW Ghia-Aigle betörend. Nach dem Krieg wollte der Turiner Industrielle Dr. Pierre-Paul Filippi in der Schweiz, in Aigle am Genfer See, eine Karosseriebaufirma gründen und setzte dabei auf seine Kontakte zu Ghia in Turin. Dessen damaliger Firmenleiter Felice Boano erklärte sich tatsächlich zu einer Zusammenarbeit bereit, so dass im April 1948 die Carrosserie Ghia in Aigle angemeldet werden konnte.
Die ersten Jahre fungierte Boano höchstselbst als kreativer Kopf, unterstützt von dem aufstreben Designer Giovanni Michelotti. Ghia in Turin unterstützte bei der praktischen Umsetzung der meist ausgesprochen hochkarätigen Umbauten. 1951 übernahm Michelotti in der Schweiz endgültig die Verantwortung für das Design, zwei Jahre später kam es zum Bruch mit dem italienischen Namensgeber. Diesen jedoch durfte Filippi weiter führen. Zum Ende des Jahres 1954 zog die Firma nach Lugano um, womit auch das zweite Rätsel gelöst wäre. Übrigens: Schon 1958 ging es für die Firma wieder zurück nach Aigle, wo sie bis zu ihrer Auflösung 1984 blieb.
Der italienische Automobildesigner Giovanni Michelotti zeichnete sich also für das Design dieses Coupés verantwortlich, schuf später automobile Größen vom Schlage eines BMW 700, Triumph Herald, TR4, TR6 und Stag. Als Basis für den VW Ghia-Aigle wurde ein neuer VW 1200 Export verwendet, der am 31. Oktober 1956 in die Schweiz importiert wurde. Da die geschraubte Bodenplatte des Volkswagens sich im Bereich des Vorderwagens verjüngt, wurde das Coupé-Häuschen in diesem Bereich entsprechend konzipiert. Ghia-Aigle fertigte das schmucke Häuschen aus Aluminium.
Nicht einmal fünf Monate später, präzise ab dem 14. März 1957, wurde das Auto dem staunenden Publikum präsentiert. Gehüllt war es in einen hellblauen Metalliclack, das Interieur erstrahlte in hellgelbemLeder. Der 30-PS-Motorisierung des Volkswagens wurde mit Hilfe eines MAG-Kompressors zu einer Leistung von 50 PS verholfen. Bremsen vom Porsche 356 A sorgten für eine angemessene Verzögerung. Der Wagen wurde direkt an einen Schweizer verkauft, der das Schmuckstück aber schon nach kurzer Zeit an ein Autohaus veräußerte. Dort bekam der Ghia-Aigle die 1300-S-Maschine vom Porsche 356 mit 60 PS spendiert, genauso wie ein rotes Lackkleid.
Auch der zweite Besitzer ab 1957 verkaufte den Wagen kurz darauf wieder. Dafür kam es unter dem dritten Besitzer ab 1958 in den nächsten 20 Jahren zu keiner Besitzumschreibung. 1978 ging es für das Coupé nach Italien, wieder gab es einen neuen 356-Motor – diesmal einen 1300er mit 44 PS. Ein italienischer Händler kaufte den Wagen, ehe er 1984 ins bekannte Porsche Automuseum von Helmut Pfeifhofer im österreichischen Gmünd kam. Hier gab es einen Wechsel zu einer VW-1200-Serienmaschine (30 PS). Über einen Zwischenstopp bei einem deutschen Enthusiasten in den Neunziger Jahren landete das Auto im Jahr 2000 final bei der Stiftung AutoMuseum Volkswagen in Wolfsburg, die es 2006 aufwendig restaurieren ließ. Seither sind die Besitz- und Ausstattungsverhältnisse von Kontinuität geprägt.
Wer weiß – wäre Volkswagen zu Beginn an mit involviert gewesen, unser Straßenbild wäre um ein schmuckes Coupé reicher gewesen.