Martin Santoro
· 04.10.2022
Als im Westteil Deutschlands die Kit-Car-Branche boomte, konstruierte auch der GfK-Papst des Ostens, Rudolf Schmoz, ab 1974 Traumwagen auf VW-Basis. Von der bis 1982 gebauten Kleinserie existieren noch zwei seiner Sport-Coupés mit Käfer und Typ 3-Chassis.
Sein formeigenes Vehikel, bereits polizeilich zugelassen sowie berg- und straßenerprobt, erregt ab 1974 die Aufmerksamkeit im Verkehrsgeschehen von Dessau, Roßlau und anderswo. Wo immer Rudolf Schmoz in der DDR mit seinem eleganten Sportcoupé aufkreuzt, wird er angesprochen. Die Leute, jung und alt, bestaunen das Auto. Sie bewundern es, wie einen Wagen aus der bunten West-Werbung. Viele mustern den gepfeilten Zweitürer von oben bis unten, von hinten, von vorne. Manche bewerten ihn. Einige wagen flüsternd und sachverständig zu sagen, er habe italienischen Zuschnitt.
Könnte so sein, zumindest finden sich beim Studium von Herrn Schmoz’ Nachlass kopierte Verkaufsprospekte inklusive einer groben Bauanleitung eines schnittigen KitCars namens »Nembo« aus der Südtiroler Gemeinde Toblach. Die auf 1970 datierten Unterlagen der Firma »Burgert Product« deuten auf gewisse Ähnlichkeiten der Karosserieformen und -proportionen hin. Übereinstimmend ist gewiss die technische Grundlage: Das Fahrgestell samt Antriebsstrang basiert auf Käfer- Technik. So wie das in der Blütezeit der KitCars üblich gewesen ist, berücksichtigt auch der Hersteller beim Nembo die entsprechenden Montagepunkte, um das VW-Chassis plug-and-play mit der selbst kreierten Kunststoffkarosserie zu verschrauben.
Angesichts restriktiver Einfuhrbeschränkungen im real existierenden Sozialismus ist es Rudolf Schmoz jedoch nicht möglich, den Bausatz zu importieren, selbst wenn er die Summe von damals 4.000 D-Mark aufbrächte. Diesen Betrag verlangt der westdeutsche Nembo-Vertriebspartner Klaus Siebert aus Rommelshausen bei Stuttgart für sämtliche Karosserieteile ohne Zubehör.
»Ich vermute, das italienische Auto hat Rudi dazu inspiriert, seine eigenen Ideen voran zu bringen. Er war ein geniales Organisationstalent, dem alles zuzutrauen war – auch die Teile aus dem Westen zu besorgen. Doch alles, was Rudi sich ausdachte, wollte er selbst herstellen«, so seine spätere Lebensgefährtin Hannelore Mandel. Ihr haben wir die meisten Puzzleteile zu verdanken, anhand derer sich Rudolf Schmoz’ Lebensweg nachzeichnen lässt. Seine Vita (1921 bis 1993) ist vor allem von seinem Erfindergeist geprägt, praktischen Begabungen und dem Ehrgeiz, erdachte Ideen in die Tat umzusetzen. Noch als Minderjähriger übernimmt Rudi 1938 den väterlichen Schlosser- betrieb im nordböhmischen Komotau (heute Chomutov, Tschechien) am südlichen Fuß des Erzgebirges. Als Pilot überlebt er den Krieg und wird sesshaft im Bezirk Dessau, wo er in Rodleben als selbstständiger Kfz-Meister einen Betrieb mit bis zu drei Mitarbeitern führt. Bei einem Interview in der 1992 ausgestrahlten MDR-Reihe »Außenseiter, Spitzenreiter« erläutert Rudolf Schmoz sein Geschäftsmodell. Seinen Aussagen zufolge liefen in der ehemaligen DDR rund 27.000 luftgekühlte Volkswagen, vorwiegend Käfer. Aber auch Bullis und Typ3. Ersatzteile aus dem Westen drangen nach dem Mauerbau ab August 1961 nur noch spärlich über die deutsch-deutsche Grenze. Rudolf Schmoz erkennt eine Marktlücke für Karosserieteile und wird aktiv. Durch sein Hobby, den Segelflug, kennt er sich bestens aus mit dem Wunderwerkstoff GfK und übernimmt ab 1970 die Ersatzteilversorgung für Käfer & Co. Er produziert eigene Kotflügel, Trittbretter, Hauben und Stoßstangen am laufenden Band. Abnehmer findet Rudi reichlich. Sowohl private Käfer-Schrauber (VW CLASSIC 5) als auch offiziell geduldete VW-Werkstätten, wie die des renitenten Käfer-Rennfahrers Jörg Pattusch in Dresden (VW CLASSIC 21) zählen bald zur Stammkundschaft. Lieferzeiten von mehreren Monaten verdeutlichen die Marktlage. Rohstoffe wie Kunstharz und Glasgewebe für seine begehrten, nicht rostenden Teile bezieht Schmoz über gute Kontakte, die er regelmäßig pflegt, versichert Hannelore Mandel, die uns in Rudis Notiz- und Adressbüchern blättern lässt – ein Sammelsurium von Ansprechpartnern diverser VEB-Kombinate der chemischen Industrie als auch Lieferanten für VW-Teile. Kalkulationen und Preise hingegen finden wir nicht.
In den 1970er- und 80er-Jahren erlangt Schmoz mit seinen Produkten Monopolstatus, wovon seine selbstbewusste Visitenkarte zeugt: »Alleinhersteller in der DDR für VW-Karosserieteile – Plastverarbeitung GfK«. Das florierende Geschäft lässt ihm Freiräume für neue Kreationen und die Umsetzung eines lang gehegten Traumes. Aus GfK konstruiert der Tüftler sein erstes aerodynamisch geformtes Automobil auf Käfer-Basis. Die auch im Osten hoch geschätzte VW-Technik bezieht er von Kunden. »Ihm ging es immer darum, etwas Besonderes, Anderes zu fahren als die anderen«, erinnert sich Hannelore Mandel. Selbst der im Osten exotische VW war Schmoz noch zu gewöhnlich. Durch sein Faible für die Fliegerei waren ihm auch Kenntnisse der Aerodynamik nicht fremd. So geht dem eigentlichen Aufbau des Sportlers eine Musterkonstruktion aus Balsaholz und Plexiglas im Maßstab 1:10 voraus. Zur Optimierung der Windschlüpfrigkeit nutzt Schmoz vier Monate einen Windkanal auf dem Gelände der ehemaligen Junkers-Werke in Dessau. Mit den gewonnenen Grundlagen verfeinert er die Karosserieform bis ins Detail. Erst dann entsteht aus viel Plast der erste RS 1300: 4,15 Meter lang, 1,65 Meter breit und nur 1,27 Meter hoch. Mit rund 54 PS Leistung bei 680 Kilogramm Gewicht erreicht der Kunststoff-Flitzer mit langem vierten Gang 168 km/h und verbraucht im Schnitt neun Liter auf 100 Kilometer, offenbart Schmoz im MDR-Interview kurz nach der Wende.
Ein Eintragungsschein für Geschmacksmuster, ausgestellt vom Amt für Erfindungs- und Patentwesen der DDR, gewährt dem Konstrukteur ab dem 8. Dezember 1972 eine erste Schutzfrist von drei Jahren, die er bis 1986 verlängern lässt.
In jenem Jahr baut der Designer und Konstrukteur seinen letzten von fünf Wagen, die Vorgänger waren längst meistbietend verkauft. Wie aus den vorliegenden Fahrzeugpapieren hervorgeht, befindet sich Wagen Nummer eins umlackiert in rot bei den Edelschrottschraubern Mike Pelloth und Tino Bradtner (VW CLASSIC 5) in Chemnitz. Der letzte gebaute RS 1500 Plast basiert auf einem Typ-3-Fahrgestell und steht nach Rudis Lebensende erst im Technik-Museum Hugo Junkers in Dessau (technikmuseum-dessau.org). Nach längerem Aufenthalt bei einem Käfer-Sammler in Möhlau bereitet der neue Eigner das Sportcoupé für eine Ausstellung über Rudolf Schmoz vor. Zu den Exponaten soll sich noch ein Luftschraubenboot hinzugesellen, das Rudi 1985 für Flachwasserfahrten auf der Elbe konstruiert.
»Rudi war ein Tausendsassa, der überall seine Finger mit im Spiel hatte – sei es beim Polizei-Sportverein, beim DDR-Automobilclub ADMV oder beim Fliegerclub Hugo Junkers. Dort erteilte man ihm kurz vor seinem Lebensende die Lizenz zum Ultraleichtflug. Bald jedes Wochenende sind wir in die Luft gestiegen«, erinnert sich Hannelore Mandel an ihren Lebensgefährten, der den VW-Kult in der früheren DDR maßgeblich prägte.