Arne Olerth
· 07.04.2023
Doppelkabine, Hubsteiger und Langmaterial-Transporter – das Trio der Handwerker-Bulli steht stellvertretend für mehr als 130 Sonderausführungen des Volkswagen Transporters der ersten Generation. Diese unterstützten tatkräftig das Wirtschaftswunder, brachten die junge Bundesrepublik zur Blüte
Batik-Klamotten, bewusstseinserweiternde Substanzen und freie Liebe – was wurde nicht alles mit dem Bulli der ersten Generation assoziiert, und wird es heute noch. Doch das eigentliche Bulli-Schicksal war damals alles andere als Love, Peace, Freedom & Happiness. Grob gesprochen unterteilte es sich in zwei Klassen: Das bessere Los hatten dabei ganz klar die T1 zur Personenbeförderung gezogen. Der Bus etwa oder auch der Kombi mit herausnehmbaren Sitzbänken, insbesondere aber das „Sondermodell“ mit reichlich Chromornat, acht charismatischen Oberlichtern und dem riesigen Faltschiebedach von Golde – heute besser bekannt unter dem Spitznamen Samba. Sie wurden im Privatbesitz in der Regel mit reichlich Pflege gehätschelt. Personentransporter in gewerblicher Hand ging es meist noch besser – wurde hier aus Prestige-Gründen doch penibelst auf Sauberkeit geachtet. Die andere Hälfte der T1-Bullis formierte sich aus der Fraktion der Malocher – jene Volkswagen, die beim Wirtschaftswunder tatkräftig mit anpacken mussten: Transporter, Pritsche und Co. Trotz ihrer robusten Nehmerqualitäten wurden sie über die Jahre schlichtweg verbraucht. Danach glich ihr Status dem Bodensatz, so dass spätestens in den ausgehenden Siebziger und beginnenden Achtziger Jahren das Gros der Nutzfahrzeug-T1 auf den Schrottplätzen der Republik in handliche Blechpakete gepresst wurde. Während heute auf Oldtimerveranstaltungen um einen Samba oft Absperrbänder gezogen werden – schließlich soll kein haptischer Publikumskontakt den sechsstelligen Wert des beliebten Volkswagen-Klassikers schmälern – sind die wahren Helden der Arbeit vom gleichen Fließband meist gar nicht erst verfügbar.
Volkswagens Markteinführung des Bulli im Jahr 1950 platzte in eine Zeit, die vom Aufbruch geprägt war. Der Krieg war fünf Jahre vorbei, aus der Wiederaufbauphase ging zart, aber stetig sprießend das Wirtschaftswunder hervor.
Der Bedarf an Fahrzeuglösungen in der 3/4-Tonnen-Klasse explodierte geradezu. Vor allem in den ersten beiden Jahren der Bulli-Ära ließen viele Gewerbekunden den Transporter nach ihren Vorstellungen von den Volkswagen-Händlern um- und ausbauen. Die Entwicklung des Universalgenies über den reinen Liefereinsatz hinaus ebnete den Weg der späteren Sonderausführungen. Der niedersächsische Auto- bauer animierte seinerzeit sogar die Händler, aktiv nach neuen Einsatzfeldern für den großen Volkswagen zu suchen. In Folge hielten immer mehr offizielle „Sonderausführungen“ Einzug in das Volkswagen-Verkaufsprogramm. 1957 erschien die zugehörige „SO“-Liste mit Umbauten, die nicht vom Hersteller durchgeführt wurden. Im Laufe der Zeit übernahm das Volkswagen-Werk Hannover aber stetig die Fertigung von Um- bauten, diese in Folge der SO-Liste entfielen. 1961 erschien in der VW-Zeitschrift „Flotter Transport“ der Hinweis auf nicht weniger als 130 Ausführungen: „VW Transporter à la carte: Welche Ausführung wünschen Sie? Hier eine Auswahlkarte der 130 Möglichkeiten – von den Serienmodellen des Werkes bis zu den Sonderausführungen von uns empfohlener Herstellerfirmen.“ Als SO24 etwa firmierte der Pritschenwagen mit Langmaterial- und Stückgutanhänger, als SO9 der Pritschenwagen mit kleiner hydraulischer Hebebühne V80.
Ein Volkswagen-Fan aus dem hessischen Eschwege konnte sich 2007 und 2008 gleich beide Modelle sichern. Und nicht nur das: Dachdecker- und Klempnermeister Carsten Schiedrum besitzt bereits seit den Neunziger Jahren eine Doppel- kabine Baujahr 1964, ein Pritschenwagen mit zwei Sitzreihen und verkürzter Ladefläche. Mit einer technischen Überholung und der Ergänzung fehlender Teile wie Plane und Spriegel schuf Schiedrum die perfekte Basis für einen sympathischen Werbeträger. Komplettiert wird dieser neben dem hauseigenen Firmenschriftzug von einem artgerechten Dachdeckeraufzug. Der Böcker Typ S16 zählt seit den 1970er-Jahren zum Familienbesitz. Mit 6,50 Metern Länge ist er selbst im ausgeschalteten Zustand ein stattliches Arbeitsgerät, dessen Schienen sich bis auf 16,70 Meter ausfahren lassen – per Handkurbel.
9,50 Meter hingegen bietet der SO9 von 1965. Und zwar in Sachen Arbeitshöhe. Die Benutzung des Arbeitskorbes erfordert Nerven aus Stahl. „Ein eingebautes Sicherheits- ventil verhindert Beschädigungen des Gerätes bei Überlastung beziehungsweise beim Anstoßen der Arbeitsbühne an festen Elementen wie Masten, Häusern und dergleichen.“ Die Beschreibung des Verkaufsprospekts mag den Laien kaum beruhigen, doch Schiedrum ist Profi: Zuerst lässt er die seitlichen Stützen ausfahren, schwingt sich dann auf die Bühne und dirigiert diese mit Drucktasten in die gewünschte Position. Der originale Bulli-Motor mit 44 PS treibt über einen zweiten Keilriemen eine Pumpe der Hubarbeitsbühnen-Hydraulik an. Der Steiger V80 des Herstellers Ruthmann ist vollkommen unrestauriert, trägt die kleinen Blessuren und Macken jahrzehntelanger Arbeit mit Würde und Stolz.
Der dritte Arbeits-Bulli im Bunde, die Pritsche von 1967, hingegen traf teilzerlegt und restauriert in Schiedrums Werkstatt ein. Dort wurde er weiter umgebaut. Das Ziel: die Transformation in ein SO24. Ein einachsiger Fickers-Nachläufer von 1962 samt dazugehöriger Kompo- nenten bot die Möglichkeit dafür. Sowohl der Anhänger als auch die Pritsche sind mit drehbaren Ladeschemeln ausgerüstet, deren Abstand zueinander durch Klemmvorrichtungen geändert werden kann. Die Rungen der Schemel bestehen aus haarnadelförmig gebogenen Flacheisen, die mittels exzentrischer Schnellspanner fixiert werden können. Zwei unterschiedlich lange Zugrohre erlauben den Transport unterschiedlich langen Ladeguts. In der XL-Variante kommt das Gespann auf rund zehn Meter Gesamtlänge. Die drei Bulli von der Baustelle genießen heute ihren wohlverdienten Lebensabend – als Mittelpunkt der großen Klassikersammlung des Volkswagen-Fans. Auf Oldtimertreffen sind sie stets eine Attraktion, sorgen bei den Besuchern für Begeisterung. So ist es doch noch etwas geworden für diese drei – zumindest mit der Happiness.