Arne Olerth
· 30.11.2023
2020 war alles anders: Ein kleiner Virus hatte große Auswirkungen auf viele Bereiche des Lebens – sogar auf die schönsten Wochen des Jahres. Während Flug- und Kreuzfahrt-Touristen oft in die Röhre schauten, sorgten die Unsicherheiten für einen wahren Boom auf dem Campingmarkt. Nicht ganz zu unrecht rückte damit auch die Marke Volkswagen in das Visier vieler Interessenten, schließlich kommt der König der Camping- und Freizeitmobile aus Niedersachsen. Der Camping-Bulli sicherte bereits Generationen von Draußen-Urlaubern unvergessliche Momente. Jetzt hat er einen großen Bruder bekommen. Einen der sich anschickt, den Mega-Erfolg des T6.1 California zu wiederholen. Nur eben eine Klasse höher. Sein Name? VW Grand California.
Der Namenszusatz ist durchaus Ernst zu nehmen, besticht der Grand Cali doch schon auf den ersten Blick mit seiner Größe. Kein Wunder: Als Basis dient der moderne Crafter. Sechs Meter Länge misst die kürzere der beiden verfügbaren Versionen, trägt daher den Namenszusatz „600“. Nur er bietet die Option auf vier Schlafplätze. Zwei Kinder können unter dem Dach in 3,09 Metern Höhe logieren, verrät das Prospekt. Und noch etwas – der eher kleine Preis des großen California überrascht: 56.318 Euro kostet dieser mit 177- PS-Diesel und Automatikgetriebe als einzig möglichem Antrieb. Zum Vergleich: Der umfassend, ebenfalls mit Isolierverglasung ausgestattete T6.1 California Ocean liegt mit Automatik-Komfort bei knapp 70.000 Euro (150-PS-TDI). Rechnet man dessen Serienausstattung, wie Alufelgen, LED-Scheinwerfer, Climatronic, Klappstühle und Außen-Tisch sowie natürlich die Schlafstatt im Oberstübchen beim großen Bruder obenauf, so bleibt dieser immer noch rund 2.500 Euro günstiger. Zugegeben: Der Vergleich hinkt ein wenig, sind die Basisfahrzeuge und Ausstattungen doch nicht direkt vergleichbar – doch bleibt die grobe Richtung klar: Eine Camping-interessierte Familie muss für den Grand California nicht mehr Geld ausgeben als für den beliebten Camping-Bulli. Bietet er am Ende gar das überzeugendere Konzept? Probieren wir es aus.
Günstiger als der T-California
Zum Familien-Camper wächst der Grand Cali aber erst durch einige Extras: Das Hochbett mit Panoramafenster (2.871 Euro) ist genauso nötig wie die Outdoor-Sitzanlage (499 Euro) und die Markise (1.021 Euro). Für den Fahrbetrieb empfiehlt sich die Climatronic (2.859 Euro) ebenso wie Sitzheizung (331 Euro), elektrische Spiegel mit Heizung (215 Euro) und Parkpiepser rundum (1.125 Euro), die auch die Flanken schützen. Und die fallen wahrlich lang aus beim Crafter. 70.000 Euro kommen so schnell in Reichweite, doch muss die Marke nicht übersprungen werden.
Wohnraum, Küche, Duschbad und zwei Schlafzimmer für 56.318 Euro. Das ganze an den schönsten Destinationen zur Erholung – unbezahlbar
Wer noch keine Camping-Erfahrung hat, wird sich wundern, wie viel Gepäck die einzelnen Familienmitglieder vor dem Volkswagen zum Verstauen auftürmen. Geschirr und Kochutensilien für die ganze Familie, dazu Wäsche, Schuhe, Jacken, Reiseapotheke, Kopfkissen, Decken, Schlafsäcke, Kulturbeutel, Handtücher, die Badetasche, und, und, und. Natürlich darf auch das Lieblingskuscheltier genauso wenig fehlen wie der neueste Krimi oder der Fußball – je nach Gusto des Reisenden. Erzieht der T-Cali hier zu teilweise schmerzhafter Auswahl, verwöhnt der Grand California mit Staumöglichkeiten satt. Hängeschränke über dem hinteren Bett packen ordentlich was weg, große Schränke darunter noch mehr. Im Zweifelsfall kann sogar der Raum mittig unter dem Bett für den Transport genutzt werden – Abspannmöglichkeiten sei Dank. Merke: Hier wird eher in Kubikmetern denn in Litern gemessen. Doch Achtung: Leer wiegt der große Camper bereits drei Tonnen – ohne das Kinderbett im Dach. Das zulässige Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen wird schnell erreicht. VW erhöht dieses auf Wunsch auf 3,88 Tonnen (673 Euro), doch führt das zu Einschränkungen. So gelten manche Führerscheine nur bis 3,5 Tonnen, genauso wie manche Straßen darüber gesperrt sind. Besonders schmerzhaft: Die Tempo-Beschränkungen (BAB: Tempo 100).
Klasse Fahreigenschaften
Hoppla, on the road überrascht der große Camper auf ganzer Linie. Keine Spur von (an-)stößigem oder gar lärmigem Nutzfahrzeug-Betrieb. Vielmehr bietet der große Cali einen klasse Fahrkomfort, der trotz blattgefederter Starrachse hinten gar nicht so weit weg ist von dem des VW Bus T.6.1 – es kommt eben immer darauf an, was man daraus macht. 410 Newtonmeter sei Dank geht es jederzeit zügig voran, den Standardsprint absolviert der Große in gerade einmal 15,8 Sekunden. Bei Bedarf sind 162 km/h möglich, doch pendelt sich das Tempo auf großer Tour automatisch in etwa der Autobahn-Richtgeschwindigkeit ein. Hier fühlen sich Fahrer und Grand California am wohlsten – darüber wird es dann doch ein wenig laut. Überraschend: Auch bei hohen Tempi bringen seitliche Böen die hohe Fuhre kaum aus der Spur, ein entsprechender Assistent (Serie) stabilisiert effektiv.
Der perfekt agierende Wandlerautomat mit acht Fahrstufen trägt ebenfalls sein Quäntchen zum entspannten Reisen bei. Lediglich im bergigen Umfeld führt er den Dreitonner eine Spur zu niedertourig, hier sollte man das Sportprogramm „S“ bemühen.
Der Verbrauch? Erstaunlich kommod: Im Testschnitt waren es anständige 11,7 Liter, bei Tempo 130 nur wenig mehr. Im entspannten Reisemodus über Land nimmt sich der große VW keine zehn Liter, klasse.
Mit 2,04 Metern ist der Grand Cali nur zehn Zentimeter breiter als der T. Damit kommt man im entlegensten Bergdörfchen durch. 3,09 Meter Höhe verwehren ihm aber die Einfahrt zu manch Touristen-Parkplatz, genauso wie zu einigen Supermärkten. Das Problem hat der T-Cali mit unter zwei Metern Höhe nicht – nur er kann daher auch bequem als Alltagsauto genutzt werden.
Von ihm hat der Grand Cali die formidablen Pilotensitze mit Armlehnen geerbt. Dazu gibt es reichlich Ablagen an Bord sowie eine erstklassige Übersicht. Fondpassagiere müssen mit 80 Zentimeter Sitzbreite zurecht kommen, manch Kindersitz scheitert bei Doppelbelegung daran. Auch gibt es hier weder Lautsprecher noch Lüftungsdüsen, die Gurtführung passt nur Großgewachsenen gut, kurz: Das kann der T-Cali besser.
Doch angekommen wächst der Grand Cali zu wahrer Größe auf: Nicht weniger als zwei Schlafbereiche, ein Wohn/Kochbereich und ein Dusch-Bad mit WC sorgen für bestmögliche Entspannung. Der Clou: Die Funktionen sind gleichzeitig nutzbar. Und hier dreht der Grand Cali dem kleineren T eine lange Nase. So kann der Filius sich auf dem für zwei Kinder passenden Bett über dem Wohnbereich entspannen, ohne dabei die Tochter zu stören, die es sich auf der Liegewiese im Heck bequem gemacht hat. Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen, serviert die Kombination aus Tellerfedern und dicker Auflage doch einen erstklassigen Schlafkomfort. Vattern steht dazwischen am Herd und die Dame des Hauses schmökert im Lieblingskrimi in der aus Sitzbank und umgedrehten Pilotensessel formierten Dinette. Oder umgekehrt – je nach Gusto. Und das alles gleichzeitig.
Platz als wahrer Luxus
Highend-Spleens überlässt der Grand Cali dem kleinen Bruder. Seine soliden Möbel sind sauber aus Pressspan statt aus Alu gefertigt – irgendwoher muss der Preisunterschied ja kommen. Zentral untergebracht: der Küchenblock mit zweiflammigem Gasherd mit Piezozündung und Spüle mit Warmwasser – edel glasbehaubt. Drei große Schubladen mit versenkbaren Knöpfen bieten reichlich Platz für Geschirr und Vorräte. Darunter: ein großer Kühlschrank mit Gefrier-Box. Lobenswert ist der Zugriff darauf auch von außen.
Gerade mit kleinen Kindern ist das Bad ein großer Pluspunkt. Wer will schon mit ihnen in Coronazeiten abends in ein überfülltes Waschhaus laufen? Und das Problem ihrer nächtens drückenden Blase löst der Grand Cali onboard. 110 Liter Frisch- und 90 Liter Ab- wasser-Kapazität reichen für die große Tour, das WC kommt mit Extra-Kassette. Tipp: die optionale Sog-Entlüftung (226 Euro), die umweltschädliche WC-Chemie überflüssig macht. Das Raumangebot passt, man kann sogar warm duschen. Die zuvorkommende Betätigung der Beleuchtung via Bewegungsmelder rundet den rundum positiven Eindruck dieses Bereichs ab.
Vorbildlich gelöst wurde auch die Belüftung. Über jedem Bett sichert ein Aufstellfenster Sternenblick und Frischluft – über dem Kinderbett fürsorglich mit Stäben gesichert, die verhindern, dass einem der Nachwuchs aufs Dach steigt. Vier weitere Ausstellfenster sind an Heck und Seiten platziert. Allesamt mit Verdunkelung und Moskitonetz ausgerüstet. Schmankerl: Auch für die große Schiebetür gibt es den Mückenschutz. Der hält beim Kochen Plagegeister draußen.
Camper essen gerne outdoor – die große Markise schützt vor Sonne oder Regen. Tisch und Stühle sind an Bord – doch eben nur für zwei Reisende. Abends illuminiert eine LED-Leiste den Vorplatz praktisch, für die Romantik empfehlen sich ein paar Kerzen. Dazu ein schöne Flasche Wein, die Kinder schlummern schon selig in der Bel Etage – Urlaub kann so schön sein. Auch 2021. Dann hoffentlich ohne Corona.
Test kompakt
Der Grand California bietet vier Reisenden enorm viel Platz im Urlaub. Umfassend mit Heizung, Warmwasserdusche und Kassetten-WC ausgestattet verblüfft sein niedriger Preis. Auch die klasse Fahreigenschaften und der bärige TDI mit Automatik begeistern. Nur die etwas schmale Sitzbank trübt das gute Bild