Joshua Hildebrand
· 07.09.2021
Keine Lust mehr auf Sechs. Entgegen des allgemeinen Downsizing-Trends krallt sich der neue Porsche Cayenne GTS den Vierliter-V8 vom Turbo. Der und jede Menge Hightech machen ihn zum fahrdynamischen Highlight
Wer SUV vom Typ Porsche Cayenne für proletisch, unnötig oder ressourcenverschwendend ansieht, sollte lieber weiterblättern. Wir aber sagen: So sexy war Porsches Cayenne-Baureihe noch nie! Insgesamt 13 verschiedenen Ausführungen gibt es derzeit von ihm, darunter sechs mit SUV-Heck und sieben als „Coupé“ mit sportlich abfallender Dachlinie. Sieben, weil es jüngst ein neues Topmodell gibt: den Cayenne Turbo GT mit sage und schreibe 640 PS. Damit dürfte die Wahl zum größten SUV aus Zuffenhausen vollends zu einer Glaubensfrage werden: S, GTS, Turbo oder leicht elektrifizierter eHybrid? Hier und jetzt ist die Sache für uns klar: GTS! Weil er zum V8 zurückkehrt und damit den gleichen Motor in sich trägt, wie die Turbo-Top-Modelle. Zum Vergleich: Cayenne und Cayenne S fahren mit sechs Zylindern vor. So stellt der GTS nun (endlich wieder) ein besonders attraktives Paket dar: acht Zylinder, vier Liter, zwei Turbos, Zylinderabschaltung und ordentlich Power: 460 PS und 620 Nm. Und weil „reich sein“ nicht von Geld ausgeben, sondern von Geld behalten kommt (schwäbisches Sprichwort), dürfte für den gut betuchten Kundenkreis eben auch das Preis-Leistungsverhältnis ein Kaufargument sein: Fängt der sechszylindrige Cayenne bei etwa 80.000 Euro an, kostet der sportive GTS ab 120.000 Euro. Das Turbo-Modell mit selbigem Motor samt 550 PS kostet 30.000 Euro mehr, Turbo S und Turbo GT liegen sogar noch deutlich darüber. So positioniert sich der GTS als besonders attraktives Modell der Cayenne-Palette mit vielen Anleihen der absoluten Topmodelle. Sportlichkeit und prestigeträchtiger Achtender sind beim GTS somit am günstigsten.
Komm, wir fahren Achter-Bahn
Und tatsächlich lässt sich auf unserer Ausfahrt ein deutlicher Unterschied zum 2,9-Liter-Biturbo-V6 des Vorgängers feststellen. Damit zieht wieder der bewährte Charakter des Vor-Vorgänger-GTS in den Cayenne ein. Erhaben, sportlich, klangstark! Erleichtert können wir sagen: „Endlich gibt‘s wieder einen – sorry – megageilen Sound!“ Der übrigens seinen Höhepunkt erreicht, wenn das Kreuzchen bei der aufpreisfreien Sportabgasanlage mit zwei mittigen Endrohren gesetzt wurde. Sicherlich Geschmackssache, ansonsten gibt es traditionell jeweils zwei Endrohre links und rechts.
Doch damit nicht genug: Das Fahren im GTS ist unvergleichlich exklusiv. Der V8-Biturbo ist ein Meister seines Fachs und wahrlich durch kein anderes Motörchen zu ersetzen. Punkt. Das Vierliter-Triebwerk beherrscht die sportliche Gangart genauso wie das gemütliche Gleiten, bei dem dank Zylinderabschaltung übrigens vier Zylinder in einen „Power Nap“ geschickt werden. So lässt sich trotz aller Dynamik zumindest ein bisschen Kraftstoff sparen. Auch wenn dies einen echten Cayenne-GTS-Fahrer vermutlich nur bedingt interessieren wird. Mit 13 bis 14 Liter sollte im Langzeit-Mix, bestehend aus Stadt, Land, Autobahn, jedoch gerechnet werden. Der Vollständigkeit halber wollten wir eben auch den Verbrauch erwähnt haben. Und, dass der Tank 90 Liter fasst – somit ist er auch Langstrecken-kompetent.
Jetzt aber wird es richtig interessant: Ein kurzer Kickdown des Gaspedals, schon befinden sich beide Turbolader in Alarmbereitschaft und sorgen nach einer klitzekleinen Gedenksekunde für eine ordentliche Sause in den Brennräumen. Auf die Ohren gibt es dann eher Hard Rock als Kuschelrock. Respekt an die Porsche-Ingenieure, die so einen authentisch-emotionalen Sound trotz Ottopartikelfilter kreiert haben – übrigens der allergrößte Pluspunkt des prestigeträchtigen Achtenders!
Ab 1.800 Umdrehungen stemmt der aktive Allradantrieb mit elektronisch geregelter, kennfeldgesteuerter Lamellenkupplung samt variabler Momentverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse sowie Porsches Torque Vectoring Plus (PTV Plus) inklusive elektronisch geregelter Hinterachs-Quersperre 620 Newtonmeter auf die Gasse. Die haben mit dem 2,3-Tonnen-Schiff ziemlich leichtes Spiel. Damit liegt das zulässige Überland-Tempo (100 km/h) bereits nach 4,6 Sekunden an. Aus dem mächtigen SUV wird dann ein mächtig-schnelles SUV. So beschleunigen wir laut Datenbox in 17,3 Sekunden auf 200 km/h, was die Werksangabe um drei Zehntel unterbietet.
SUV mit irrwitziger Dynamik
Die serienmäßige 8-Gang Tiptronic S arbeitet dabei bemerkenswert unauffällig und schiebt die Gänge rein, als wäre es das normalste der Welt – und das ist durchaus positiv gemeint. Das Doppelkupplungsgetriebe passt hervorragend zum GTS und trägt sogar einen nicht ganz unerheblichen Teil zur Effizienz bei. Jawohl, auch mit diesem Wort sollten GTS-Fahrer heutzutage schwanger gehen. Jedenfalls bietet die Automatik neben der Start-Stopp-auch eine Segel-Funktion. Je nachdem, in welchem Fahrmodus wir unterwegs sind – die Verstellung erfolgt über das rechte Rädchen am Lenkrad – schaltet es samtig-früh oder quetscht das Drehzahlband aus wie eine Orange. Inmitten befindet sich übrigens der inzwischen bekannte Sport-Response-Knopf, der kurzzeitig, also 20 Sekunden, alle Fahrsysteme schärft und auf noch dickere Hose macht. Eine Spielerei für die einen, spannendes Technik-Feature für andere.
Dass 90 PS und 150 Newtonmeter zum Turbo-Modell fehlen spürt man zwar, interessiert aber gar nicht. Denn so oder so fährt sich der Cayenne GTS mit V8 überzeugend. Klar sollte er das auch, weil er ja auch in einer besonders elitären Liga spielt. Fehler würden da ohnehin noch stärker ins Gewicht fallen. Bisher aber läuft‘s gut für ihn und uns …
Ja, wir kurven durch ein wunderhübsches Drei-Länder-Eck: Hessen, Baden-Württemberg und Bayern sind nur ein Katzensprung voneinander entfernt. Wir nehmen Abschied vom Modautal im Odenwald und steuern das bayerische Miltenberg an, übrigens alljährlicher Schauplatz für eines der spektakulärsten Bergrennen der Republik. Folglich gibt‘s da auch Straßen, die einem Porsche – egal welcher Couleur – auch würdig sind. Vor allem, wenn GTS auf ihm geschrieben steht. Das weckt in uns besondere Emotionen und Erwartungen. Nicht zuletzt an die Dynamik, die unser Testwagen mit allen erhältlichen Technik-Raffinessen des Porsche-Regals aufwertet.
So zackert dieser Cayenne fast schon Sportwagen-ähnlich über die kurvenreichen Straßen dieser ländlichen Gegend, weil er unter anderem eine adaptive Luftfederung (Porsche Active Suspension Management, PASM, 2.136 Euro), eine aktive Wankstabilisierung (Porsche Dynamic Chassis Cotrol, PDCC, 3.273 Euro) und zudem über eine wichtige Hinterachslenkung (2.047 Euro) verfügt. Durch diesen Technik-Verbund liegt der GTS nicht nur satter auf der Straße, sondern auch spürbar leichtfüßiger.
Mit Hightech-Extras fährt er noch besser
Zu enge Kurven – was ist das? Der GTS durcheilt auch Haarnadeln mit voller Lust. Mühelos mit einer Agilität, die man in dieser hochbeinigen Fahrzeugklasse sonst vergeblich sucht. Das PDCC fängt effektiv die meisten Rollbewegungen der Karosserie ab, die Dreikammer-Luftfederung samt 10-mm-Tieferlegung stemmt sich vehement gegen die schiere Masse. Dazu garniert Porsche eine, verglichen mit den anderen Cayenne-Ausführungen, betont hecklastige Kraftverteilung des Allradantriebes, die jede Menge Spaß mit sich bringt. Zumal die tendenzielle Kopflastigkeit der deutlich schweren Turbo-Modelle beim GTS kein Thema mehr ist. Ihn kann man (mit Fahrdynamik-Extras) durchaus auch als den Vorzeige-Dynamiker der Produktpalette beschreiben. Weil die Lenkung nichts mit einem luxuriösen Raumgleiter zu tun hat, sondern ebenfalls eher mit einem Sportwagen. Sie agiert neun-elfrig, überaus feinfühlig, direkt und sehr angenehm – für uns die beste SUV-Lenkung überhaupt. Alleine hierfür hat der GTS eine Medaille verdient.
Highend in jeder Hinsicht
Die Balance ist sensationell, und je nach gewähltem Fahrmodus auch für Jedermann nachvollziehbar. Selbst wenig versierte Autofahrer werden im GTS schnell sein können, weil das Porsche Torque Vectoring im Bedarfsfall immer so viel Kraft an die Räder verteilt, dass man wie auf Schienen durch die Kurven eilt.
Dass der GTS im Testwagentrimm auf Keramikstopper vertraut, scheint angesichts seiner Performance nur richtig: Für knapp 9.000 Euro blitzen sie mit monströsen Gelb-Sätteln durch die hübschen 21-Zöller. Ja, sie verzögern brutal, weil sie auch extrem empfindsam auf Bremspedaldruck reagieren. Ob der „normale“ GTS-Fahrer sie braucht? Wohl eher kaum, die normale Stahlbremse war bisher auch bei den stärkeren Turbo-Modellen völlig ausreichend.
So, jetzt aber. Nächster Halt: Eisdiele. Aussteigemöglichkeit: rechts. Zeit für ein Spaghetti-Eis. Und Zeit, über das Design und die Optik zu philosophieren. Die
ist sportlich-bullig, nicht aufgesetzt. Also schon noch elegant. Vor allem im Sonderlack „Kreide“ für 2.380 Euro verdrehen selbst Nicht-SUV-Fans interessiert die Köpfe. LED-Matrixlicht kostet etwas über 1.000 Aufpreis – geschenkt. Mal abgesehen von den zusätzlichen Kosten, können wir uns auch eine Empfehlung für das optionale „Leichtbau Sport Paket Carbon“ für wuchtige 10.889 Euro nicht verkneifen. Denn dann fährt der GTS mit einem Carbondach, schwarzen Lufteinlass-Gittern, Carbon-Airblades sowie Carbon-Diffusorblende am Heck, Sportabgasanlage mit mittigen Endrohren, 22-Zoll-GT-Design-Räder in Platinum (Testwagen auf 21 Zoll) und Außenspiegeln in Carbon vor – bei diesem Anblick schmilzt dann sogar unser Eis hinfort.
Aber es geht noch weiter: Leder-Innenausstattung mit Karomuster für die Sitze, zahlreiche Carbon-Intarsien, 8-Wege-Sportsitze und Alcantara-Dachhimmel (ohnehin Serie). Aufpreisfrei sind übrigens auch das Porsche Communication Management (PCM) mit Online-Navigation, die Handyvorbereitung samt Audio-Schnittstellen und Sprachbedienung sowie Porsche Connect mit CarPlay-Anbindung.
Ganz ehrlich: Wer da noch Wünsche offen hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Dieser Cayenne GTS ist in jeder Hinsicht eine Wucht, fahrdynamisch eher Sportwagen als SUV und noch dazu äußerst familientauglich. Ja, der Cayenne GTS ist ein Luxus-Auto für alle Sinne!