Fahrbericht VW Golf R Variant – Driftiger Grund

Joshua Hildebrand

 · 19.10.2021

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Foto: VW, Ingo Barenschee, Martin Meiners (1)

Wenn 1.642 Liter Kofferraum-Volumen über die Piste fegen, ist‘s vermutlich der neue VW Golf R Variant – mit viel Spielraum, 320 PS, Drift-Modus und – ja – Anhängerkupplung. Wir sind ihn gefahren

Sie brauchen kein SUV, hätten aber gerne einen flexbilen Kompakten mit extraviel Stauraum? Am besten einen mit ordentlich Vorwärtsdrang? Und Sie benötigen einen driftigen Grund, Sportwagen zu fahren? Dann kommt hier das richtige Auto für Sie: Der neue Golf 8 R Variant tritt in die Reifenstapfen des 7er-Modells, der gleichzeitig der erste Golf R Variant aller Zeiten war. Ein Sport-Kombi, der quasi immer lieferte und von einem deaktivierbaren ESP profitierte. Nie war ein Golf stärker, nie war er derart alltagstauglich, nie war er gleichzeitig so agil. Wie gut der Neuauflage des Power- Kombi der Spagat zwischen Alltagswagen und Rennstrecken-Racer gelingt, klärt unser Fahrbericht. Wir sind auf dem Weg nach Bad Driburg zum Bilster Berg.

PS-Junkies dürfte diese Teststrecke mehr als bekannt sein, weil sie aufgrund ihrer Topographie auch den Spitznamen „kleine Nordschleife“ verdient: 19 Kurven sowie 44 Kuppen und Wannen mit einem maximalen Gefälle von bis zu 26 Prozent bei 200 Metern Höhenunterschied – die wohl besten Rahmenbedingungen für den sportlichsten VW-Kombi aller Zeiten: 320 PS und 420 Newtonmeter leistet der neue Golf R Variant (+ 10 / 20 PS, +20 Nm), beschleunigt mit dem 7-Gang-DSG-Getriebe von Null auf Tempo 100 nun 0,3 Sekunden schneller als der 7er: in 4,9 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 250 km/h und kann mithilfe des optionalen R-Performance-Pakets (2.095 Euro) auf 270 km/h angehoben werden. Herr Scheuer, das Tempolimit ist ja vom Tisch, oder?! Der fetzige VW wird vom 2.0 TSI der Evo-4-Generation befeuert (EA888) und stemmt sein maximales Drehmoment zwischen 2.100 und 5.350 Umdrehungen auf die Antriebswelle. Wie bei der Limousine auch übernimmt neue Allradantrieb 4Motion mit R-Performance Torque Vectoring die Kraftverteilung.

Der Clou ist dabei das neue Getriebe an der Hinterachse, das die Momente nicht nur zwischen der Vorder- und Hinterachse, sondern ebenso zwischen den Hinterrädern (links und rechts) radselektiv verteilen kann. Obwohl beim Golf R Variant sowohl die Karosserie (4.644 mm, + 354 mm) als auch der Radstand (2.678 mm, + 50 mm) größer auftragen, stechen wir mit gut 200 Sachen in die Mutkurve – ja, sie heißt wirklich so – und sind ganz angetan von der Straßenlage. Der Geradeauslauf ist beim Beschleunigen ruhiger als beim Vorgänger, auch die Querführung wurde verbessert, indem die Ingenieure vorne den negativen Sturz vergrößerten (-1°20‘). So sind erstaunlich hohe Kurventempi möglich. Nicht zuletzt auch, weil der Fahrdynamikmanager mit allen Fahrwerkssystemen wie der elektronischen Differenzialsperre (XDS) und der adaptiven Fahrwerksregelung DCC (optional, 1.045 Euro) vernetzt ist. Ein Dirigent, der alle separat entwickelten Bauteile zusammenführt und so abmischt, dass das Fahrverhalten noch feinfühliger wird. Das Ergebnis ist eine bessere Traktion bei einem narrensicheren Handling. Was ihn zwar immer sau-schnell macht – auch hier in der Kurvenkombination „Sauwechsel“. Fahrerisch anspruchsvoll oder mega- fordernd ist das jedoch nicht.

Quer fahren im Kombi: lustig!

Perfekt gelungen ist die Progressivlenkung: So linear und direkt sie bei höheren Geschwindigkeiten arbeitet, so angenehm leichtgängig ist sie beim Rangieren. Sowohl das Serien- als auch das optionale DCC-Fahrwerk sind explizit auf den Golf R Variant mit seinem verlängerten Radstand und der sportlicheren Achslastverteilung ausgelegt. Trotz sportiver 19-Zöller mit Nieder-Querschnittbereifung ist das Federverhalten ausgewogen und nicht poltrig. Zudem unterdrückt es entstehende Wankbewegungen, wodurch der Sportkombi dank Gier- und Lastwechseldämpfung erstaunlich satt liegt. Einen großen Anteil an der Beherrschbarkeit des Golf RVariant hat übrigens auch die ausgewogene Achslastverteilung, die um sechs Prozent besser ist (bezogen auf das Ideal von 50:50) als beim Kurzheck. Zum stets sicheren Einbremsen des 1.630 Kilogramm schweren Golf R Variant kommt eine18-Zoll- Bremsanlage mit um je einen Zoll (25,4 Millimeter) größeren Scheiben zum Einsatz.

Leichte Überhitzungserscheinungen traten erst nach vielen Vollgas-Runden auf, der Druckpunkt verschob sich kaum. Übrigens: Auch der Golf R Variant wurde auf der Nordschleife des Nürburgrings final abgestimmt. Der Power-Kombi verfügt im optionalen R-Performance-Paket (optional) über zwei eigene Fahrprofile mit den Bezeichnungen „Special“ und „Drift“. Bei „Special“ werden alle wesentlichen Antriebsparameter auf die Nordschleife und ähnlich anspruchsvolle Strecken ausgelegt. Hier ist die Fahrpedal-Kennlinie feinfühliger, das Lastwechselverhalten ungedämpfter. Wer noch mehr Spaß versteht, aktiviert den Drift-Modus.

Der ist arg lustig, weil sich der Kombi dann tatsächlich fast so schön quer fahren lässt wie ein reiner Hecktriebler. Aber nicht nur da knurrt der 2.0 TSI dank Sound-Aktor herzzerreißend in den Innenraum. Nach außen hin tönt er hingegen aufgrund der Gesetzeslage und des dämpfenden OPFs eher dezent. Sicherlich auch, weil selbst der sportlichste aller VW-Kombis nicht kompromisslos sein will. So fährt er sich auf Wunsch im Comfort-Fahrmodus fast so entspannt wie jeder andere Golf. Das fällt uns hier am Bilster Berg aber schwer – wo sonst kann man einfach mal nur Gas geben?

Erstmals auf Wunsch: Anhängerkupplung!

So gewaltig der R Variant abgeht, so erstaunlich viel kann man hinein packen. Koffer für die ganze Familie plus Verpflegung sind kein Problem, der Stauraum misst zwischen 611 und 1.642 Liter und zeigt die großzügige Variabilität des Kombis. Kaum ein Kompaktsportler ist wohl sozialverträglicher, auch wenn er optisch nicht mit seinen Reizen geizt. Eine R-spezifische Verspoilerung mit großen Lufteinlässen an der Front, ausgeprägte Seitenschweller, ein ausladender Diffusor und natürlich die imposante Vierrohr-Abgasanlage – auch der Kombi bietet alle R-Zutaten, die man sich als Fan wünscht. Nur eine Sache wird es für ihn nicht geben: die optionale R-Performance-Abgasanlage von Akrapovic – schade! Dafür hat er aber immer den beleuchteten LED-Streifen im Kühlergrill, LED-Matrixlicht gibt‘s gegen Aufpreis. Weiter bringt VWs Sportabteilung zahlreiche R-Logos an und in den Kombi-Golf.

Etwa auf die angenehm-sportlichen Sitze, an das unten abgeflachte R-Performance-Lenkrad oder in das serienmäßige Digital Cockpit Pro, das eben mit speziellen R-Anzeigen aufwartet. Richtig toll zu greifen sind die größer gewordenen Schaltwippen. Trotz höherer Praktikabilität und Variabilität als bei der Limousine ist der R Variant nahezu identisch agil, was unser erster Fahreindruck am Bilster Berg eindrucksvoll gezeigt hat. Auf der anderen Seite kann er aber auch ganz zahm und, je nach Lackierung, sogar ziemlich unscheinbar. Vor allem, wenn der sportlichste Golf Variant aller Zeiten einen Hänger zieht – bis zu 1.700 Kilogramm – glaubt man wohl eher kaum an den sportlichsten VW-Kombi aller Zeiten. Denn das gab‘s noch nie …