Florian Neher
· 06.02.2023
Der Markt für Pickups ist in Deutschland zwar klein, doch der Amarok I zählte zu den wenigen gutverkauften. Im Frühjahr kommt der Nachfolger – hat er das Zeug, den Erfolg weiter fortzuschreiben?
Nicht wenige der 830.000 von 2010 bis 2020 produzierten Amarok der ersten Generation wurden in Deutschland verkauft. Und das, obwohl das natürliche Habitat eines Pick-up eher die ländlichen Gegenden Amerikas, Afrikas, Südostasiens und Ozeaniens sind – hierzulande hat man ja eher selten Heuballen oder „Moonshine“-Fässer zu transportieren.
In Europa schätzen allerdings insbesondere Freizeitsportler und Handwerker die unkomplizierte, robuste Machart mit Leiterrahmen und hinterer Starrachse an Blattfedern. Hinzu kommt, dass es immer weniger echte Geländewagen, stattdessen aber zunehmend straßenorientierte SUVs und Crossover gibt, die bereits nach einem kleinen, launigen Abstecher ins Gelände erst einmal geborgen und dann neu lackiert werden müssen. Ein Pick-up hingegen verströmt das Odeur von Freiheit und Abenteuer – ein knorriger Marlboro-Typ, der durchkommt und nichts krummnimmt.
Der Amarok II wird ein Edel-Pick-up
Anfang Mai 2023 rollt die zweite Generation Amarok zu den deutschen VW-Händlern. Sie wurde in Kooperation mit Pick-up-Pionier Ford entwickelt und teilt sich die Technik mit dem Ranger. Amarok und Ranger werden im Ford-Werk Südafrika produziert und sollen sich nicht nur äußerlich, sondern auch im Charakter unterscheiden: Während der Ranger bewusst hemdsärmelig auftritt, soll der Amarok – freilich ohne Abstriche hinsichtlich seiner Nehmerqualitäten – feiner daherkommen, mit schickem Innenraumambiente und penibler Verarbeitung. Ein Pick-up für die Oper, sozusagen.
Beim Erstkontakt in Kapstadt lässt sich das bestätigen: Der Test-Amarok in der straßenorientierten Top-Ausstattung „Aventura“ empfängt mit viel Chrom, optionalen 21-Zöllern (Serie: 20 Zoll), 640-Watt-Soundsystem, hübsch vernähten Ledersitzen, kunstlederbezogenem Armaturenbrett und sauberem Finish – so, wie wir es von einem VW erwarten. Hartplastik gibt es im unteren Bereich des Cockpits zwar auch, doch es wirkt nicht billig, eher solide und langlebig.
In der Mitte sitzt der im Hochformat angeordnete 12-Zoll-Touchscreen des Infotainmentsystems – doch keine Angst, der Amarok wird nicht, wie mittlerweile leider weitverbreitet, ausschließlich über fummelige Touchflächen bedient. Unter dem Zentralbildschirm sitzen solide Tasten für den Parkassistenten, die Klimatisierung, weitere Assistenzsysteme sowie die Wahl der Fahrmodi, von denen es je nach Modell bis zu sechs gibt (Eco, Normal, Schlamm/Spurrillen, Sand, Rutschig und Ladung/Anhänger). Last but not least wird die Infotainment-Lautstärke ganz klassisch per Drehregler eingestellt – herrlich unkompliziert und kaum zu verbessern.
Über einen weiteren Drehregler zwischen Fahrer und Beifahrer kann der Allradantrieb an die jeweilige Fahrsituation angepasst werden. Beim Amarok kommen zwei unterschiedliche Systeme zum Einsatz: Der 170-PS-Basisdiesel verfügt über einen einfachen Zuschalt-Allrad, bei dem auf rutschigem Grund die Vorderachse ohne mittleres Differenzial starr angebunden werden kann (Modus 4H). In schwierigem Terrain hilft zusätzlich die Geländereduktion (4L). Für verspannungsfreies Fahren auf der Straße hingegen ist der Modus 2H, also reiner Heckantrieb, der richtige. Die beiden stärkeren Motoren kommen mit einem aufwändigeren Hang-on-System, das bei Schlupf an den Hinterrädern die Vorderachse per Lamellenkupplung ins Geschehen einbindet.
Dieses automatische System hält die Modi 2H, 4A, 4H und 4L bereit. Im Gelände hilft zusätzlich die Bergabfahrkontrolle sowie die optionale Differenzialsperre (Serie bei „PanAmericana“) in der Hinterachse. Wir kriechen weiter durch den Innenraum und sind erstaunt über die Platzverhältnisse – speziell hinten, wo es bei vielen Doppelkabinen-Pick-ups an Beinfreiheit mangelt. Kein Problem beim neuen Amarok, der gegenüber dem Vorgänger über 17 Zentimeter mehr Radstand verfügt und insgesamt um knapp 10 Zentimeter gewachsen ist. Clever: Die hintere Sitzfläche lässt sich zum Transport sperriger Güter hochklappen; darunter finden sich zwei Staufächer, wovon eines Bordwerkzeug und Warndreieck enthält.
Samtiger, kräftiger V6-TDI
Jetzt aber Türen zu und los! Dank der (bei „Aventura“ serienmäßigen) elektrisch verstellbaren, sehr bequemen Fauteuils und dem in Höhe und Reichweite justierbaren Lenkrad ist die optimale Sitzposition schnell gefunden. Unter der Haube brummt die Topmotorisierung, ein Dreiliter-V6-Diesel mit 240 PS und satten 600 Nm ab 1.750 Touren. Entsprechend engagiert setzt sich der Amarok in Bewegung: Die serienmäßige 10-Stufen-Wandlerautomatik lädt die unzähligen Gänge routiniert, schnell und verschliffen durch, während der V6-Selbstzünder einen sehr angenehmen, rauchig-sportlichen Klang entäußert. Ohne spürbares Turboloch reagiert der große Diesel spontan auf Gaspedalbefehle und gefällt überdies mit seinem weichen, kultivierten Lauf.
Er ist sicherlich die beste Wahl im Motorenportfolio, das für Deutschland noch zwei Vierzylinder-TDI mit zwei Litern Hubraum und 170 PS/405 Nm respektive 205 PS/500 Nm (Bi-Turbo) vorsieht, die auch mit manuellem Sechsganggetriebe erhältlich sind. Diese beiden sind, wie wir bei einer Probefahrt feststellen konnten, ebenfalls gut bei Kräften, bieten jedoch nicht die feine Laufkultur und den sonoren Klang des samtigen Dreiliters. Der freilich deutlich teurer sein wird, wenngleich VW so lange vor Markteinführung natürlich noch keine Preise verrät. Neben den beiden Top-Ausstattungen „Aventura“ und „PanAmericana“ wird es hierzulande noch die Basislinie „Amarok“ sowie die mittleren Linien „Life“ und „Style“ geben.
Mehr als 25 Assistenzsysteme
Was auf den ersten Metern Fahrt sofort auffällt, ist die für einen Pick-up ungewöhnlich präzise Lenkung. Da sie jetzt mit elektrischer Unterstützung arbeitet, konnten Spurhalte- und Parkassistenten integriert werden. Angesichts der stattlichen Ausmaße von 5,35 m Länge und 1,91 m Breite (mit Spiegel: 2,21 m) fühlt sich der „Pritschenwagen“ recht handlich an (Wendekreis laut Hersteller: 12,9 m) und lässt sich problemlos in Parklücken zirkeln – was nun aber auch der optionale Einparkassistent übernehmen kann. Abhängig vom Ausstattungslevel sind jetzt übrigens mehr als 25 Assistenzsysteme erhältlich, darunter auch ein Adaptivtempomat, eine 360-Grad-Rundumsicht („Area View“) sowie Spurwechselassistent und Verkehrszeichenerkennung.
Ganz up to date auch die serienmäßige Smartphone-Integration per Apple CarPlay und Google Android Auto sowie das optionale „Connect Navigation“ mit Online-Routenberechnung und aktuellen Verkehrsinformationen. Für das im Vergleich zum Vorgänger deutlich knackigere Fahrgefühl dürfte neben der exakten Lenkung auch die relativ straffe Fahrwerksabstimmung verantwortlich sein, die überraschend flottes Kurvenwedeln zulässt und sich allzu großen Aufbaubewegungen wirksam entgegenstemmt. Bei starkem Beschleunigen auf unebener Fahrbahn gerät die blattgefederte Starrachse im Heck allerdings schon mal ins Trampeln, was aber auch der flachen 21-Zoll-Bereifung des Testwagens zuzurechnen ist. Denn beim Umstieg in den geländeorientierten Amarok „PanAmericana“, der „nur“ auf optionalen 20-Zöllern (Serie: 18 Zoll mit All-Terrain-Reifen) rollte, fiel sogleich der spürbar bessere Abrollkomfort und die weniger stuckernde Hinterachse auf. Insofern können wir bereits eine Empfehlung aussprechen: Am besten mit der jeweiligen Basisbereifung vorliebnehmen, riesige Räder mit flachen Reifenquerschnitten sind angesichts der hohen ungefederten Massen einer Starrachse kontraproduktiv.
Die massige Hinterachse hat aber auch ihr Gutes: Sie ist höchst belastbar, 1,19 Tonnen Zuladung verträgt der neue Amarok. Platz dafür gibt es auf der Ladefläche genug: Wie der Vorgänger bietet der Neue zwischen den Radkästen mit 1.227 mm ausreichend Raum für eine quer oder längs aufgeladene Europalette. In der Länge misst die Pritsche bei geschlossener Heckklappe 1.624 mm. Die Ladeklappe selbst ist ab der Ausstattungsversion „Life“ serienmäßig in die Zentralverriegelung eingebunden. Verzurren lässt sich das Ladegut über stabile Ösen auf der Ladefläche und an den Bordwänden. Sehr praktisch und fast unverzichtbar: das optionale elektrische Rollcover, das sich wahlweise per Funkschlüssel, vom Fahrersitz aus oder links im Laderaum betätigen lässt. Auch die Dachreling kann für Transportaufgaben herhalten: Während der Fahrt darf man sie mit 85 kg belasten, im Stand gar mit bis zu 350 kg, womit auch das Übernachten in einem großen Dachzelt gesichert ist. Und sollte das alles nicht reichen, nimmt der VW Amarok eben noch bis zu 3,5 Tonnen an den Haken, das Gesamtzuggewicht darf bis zu 6,5c.
Sehr gute Geländegängigkeit
Weltenbummler wird auch erfreuen, dass der neue Amarok nicht nur über einen Bodenfreiheit von 24 cm, sondern auch über eine Wattiefe von 80 cm verfügt, immerhin 30 cm mehr als beim Vorgänger. Auf Märkten außerhalb Europas wird der Amarok übrigens auch als zweitüriger SingleCab, rein heckgetrieben sowie mit einem 150-PS-Diesel (350 Nm) und einem 2,3-Liter-TSI (302 PS/452 Nm) angeboten. Am Ende unserer zweitägigen Tour rund um den südlichsten Zipfel Afrikas verlassen wir das Kap in der guten Hoffnung, dass der neue Amarok wieder ein Erfolg wird. Das Zeug dazu hat er jedenfalls.