Joshua Hildebrand
· 05.08.2022
Platz für die gesamte Familie und jede Menge Sportlichkeit verspricht der Cupra Leon Sportstourer VZ 4Drive mit 310 PS und Allradantrieb. Kann er Wort halten?
Ob es wohl unvernünftig ist, einen 310 PS starken Kombi im Alltag zu fahren? Viele mögen an dieser Stelle mit der Stirn runzeln. Wenn Sie uns fragen: Nein! Braucht man’s zwangsläufig? Nö, natürlich nicht. Aber macht’s den Alltag lebenswerter? Definitiv, ja! Ein bisschen Spaß kann ja auch mal sein – da darf sich das Auto gern an die schnelllebige Zeit anpassen. Deswegen steht er heute vor uns, bereit zum Test: der Cupra Leon ST VZ 4Drive, seines Zeichens der stärkste Leon der aktuellen Modellpalette. Der temperamentvolle Spanier befindet sich auf einer PS-Ebene mit dem VW Golf 8 R Variant, der mit 53.115 Euro Basispreis allerdings merklich teurer ausfällt. Dafür hat das Wolfsburger Komib-Pendant auch einen Torque Splitter an der Hinterachse, der lustvolle Drifts ermöglicht. Auf dieses Technik-Feature müssen Cupra-Kunden beim günstigeren Sport-Leon (46.270 Euro) verzichten. Dies dürfte dem Spaßfaktor jedoch nicht viel Abbruch tun.
Als preislich attraktive Alternative zielt der Power-Kombi vor allem auf ein jüngeres Publikum ab, die ein bisschen mehr Praktikabilität als beim Hatchback wünschen. Dazu wirkt das Design recht expressionistisch: Stolz trägt er sein bronzefarbenes Markenlogo zur Schau – vorne wie hinten gleichermaßen.
Durch und durch emotional
Den selbstbewussten Auftritt markiert der feurige Spanier mit vier Endrohren, eingefasst in einen grauen Kunststoff-Diffusor. Dazu empfehlen sich Seiten- schweller in „Dark Aluminium“, welche jedoch nicht zum Serienumfang gehören und 495 Euro extra kosten. Vor allem mit der kontrastierenden Lackierung in Nevada Weiß Metallic (720 Euro) sieht das besonders schick aus.
Ein Eyecatcher sind zudem die auffällig designten, aufpreispflichtigen 19-Zöller namens „Exclusive Aero I Black/Copper“ (1.020 Euro) in Kupfer-Colour. Leider verdecken diese die Sicht auf die schicke Cupra-Bremse. Erst recht auf die optionalen Brembo-Stopper (2.530 Euro). Vergleicht man seine Front mit dem Vorgänger, so fällt die des Leon IV weniger spitz aus. Die steil stehende Frontschürze mit großen Lufteinlässen und großzügigem Wabengitter zeugt von Selbstbewusstsein. Diesen Effekt unterstreichen die kunstvoll gezeichneten Tagfahrleuchten der LED-Scheinwerfer und das sich über die gesamte Fahrzeugbreite streckende LED-Rückleuchtenband.
Ja, Licht mögen sie im spanischen Martorell, wo das Seat- und Cupra- Headquarter ansässig ist, sehr gern. So überrascht der Leon auch im Innenraum mit einem ausgefallenen Beleuchtungskonzept: Über das gesamte Cockpit und entlang der Türen verläuft ein schmaler LED-Streifen, der das Ambientelicht darstellt. Jenes ist mit einer Reihe von weiteren Funktionen wie beispielsweise dem „Exit Assist“ verknüpft, der bei geöffneten Vordertüren mit diversen Lichtfunktionen warnt – clever gemacht. Platz nehmen Fahrer und Beifahrer auf hervorragend konturierten Sportsitzen, die es für knapp 2.000 Euro auf Wunsch auch in schwarzem oder petrolblauem Leder gibt. Letztere Option beinhaltet dann sogar eine farbliche Anpassung des Armaturenträgers. Das der Fahrersitz elektrisch einstellbar ist und über eine Memory- Funktion verfügt, lassen sich die Spanier mit einem Preisaufschlag von 730 ordentlich extra bezahlen. Neben einem digitalen 10-Zoll-Cockpit blicken wir auf ein ebenso großes Infotainmentsystem. Wie bereits bekannt sein dürfte, verlagert auch der Leon nach dem VW Golf 8 etliche Bedienelemente auf den Touchscreen. Neben einer modernen Optik gibt es allerdings auch eine Kehrseite der Medaille: Der Lautstärke-Slider unter dem Display ist weit weniger präzise bedienbar als ein klassischer Drehknopf – noch dazu, da er unbeleuchtet ist. Was man sich dabei wohl gedacht hat? Vielleicht, dass man irgendwann aufgibt und besser die Sprachbedienung bemühen sollte. Besänftigende Wirkung hat da der Blick auf das Interieur. Genauer gesagt auf dessen wirklich gute Verarbeitung. Hier sorgen Elemente aus Kupfer und dunklem Chrom für sportlich-elegante Akzente. Der Vollständigkeit halber sei noch der Gepäckraum erwähnt, der beim Mittelklasse-Kombi mit 620 Litern sehr ordentlich ausfällt.
So. Jetzt aber heizen wir dem Spanier mal richtig ein. Zack, nächste Biegung rechts, ab in Richtung Schwarzwaldhochstraße. Dieses Mal ohne Schnee – hoffentlich. Kaum haben wir diesen Satz zu Ende gedacht, fängt’s auch schon an zu tröpfeln. War ja irgendwie klar, dass es nicht trocken bleibt. Immerhin hat es aus Tester-Sicht auch etwas Gutes: Bei nasser Straße lässt sich das Wesen des Leon ST 4Drive noch besser fühlen. Da merkt man auch, wenn man mit Vollgas in die nächste 90-Grad-Rechts hinein sticht – der Cupra ist eher sicher-untersteuernd ausgelegt. Über den prominent platzierten ESC-Knopf in der Mittelkonsole lässt sich die Elektronik vordergründig deaktivieren, dann gibt’s ein bisschen mehr Spielraum.
Sportlich, aber gutmütig
Die große Überraschung bleibt aber aus, das gutmütige Wesen bleibt. Ein kräftiger Druck aufs Bremspedal und er verzögert vehement. Wer nicht auf die Rennstrecke geht, der kann getrost auf die optionale Brembo-Bremse verzichten.
Zeige-, Mittel- und Ringfinger reißen an den DSG-Schaltwippen am Lenkrad. Vierter Gang, dritter Gang – geht echt flott. Sowieso liegt das Cupra-Lenkrad sensationell gut in der Hand, gelochtes Leder im Griffbereich tut sein Übriges. Die ziemlich spitz ausgelegte Progressivlenkung – vor allem im Cupra-Fahrmodus – passt zum zackigen Fahrstil, bleibt aber linear übersetzt. Mit dem Blick steuern wir den Kombi, der sich im Fahrbetrieb kürzer anfühlt als er tatsächlich ist.
Spielend einfach lassen sich Kurven vernaschen, während die Kids auf der Rückbank zufrieden an ihrem Fläschchen nuckeln. Ertappt: Das haben wir uns jetzt ausgedacht. Szenen, die sich im Pampersbomber aber durchaus abspielen können. Wir visieren die Wunschlinie an, bremsen uns in den Scheitelpunkt, dessen Unterstützung in Form der elektronischen Differenzialsperre XDS durchaus spürbar ist. Schon stehen wir wieder auf dem Gas, eine Lenkungskorrektur ist nur in seltenen Fällen nötig. Dazu gesellt sich das serienmäßige Adaptivfahrwerk mit üppigen Verstellmöglichkeit, das immer eine Antwort auf die Fahrbahnbeschaffenheit hat. Unterschiede zwischen Comfort und Sport sind wahrnehmbar. Vor allem bei Überfahrt von Querfugen auf der Autobahn dringen Stöße recht ungefiltert in den Innenraum. Nicht ganz unschuldig sind daran aber auch die 19-Zöller mit Niederquerschnittreifen in 235/35 vom Typ Hankook Ventus S1 Evo mit knackigem Abrollverhalten.
Etwas Abhilfe schafft der Comfort-Modus des Cupra, der wahrlich angenehmer dämpft und dem sportlich- straffen Naturell entgegen wirkt. Dennoch muss man sich darüber bewusst sein, dass es sich hier um einen Sport-Kombi handelt. Wer Probleme damit hat, kann zum gelasseneren Seat Leon ST greifen. Wer sich jedoch erst einmal an den süchtig machenden Vorwärtsdrang gewöhnt hat, der möchte nicht mehr darauf verzichten. Nochmal zum Mitschreiben: 310 PS, 400 Nm, 5,2 Sekunden auf 100 km/h (unter trockenen Bedingungen gemessen), erst bei 250 km/h ist Schluss. Nicht schlecht!
Hört sich nicht nach 310 PS an
Obwohl er die Werksangabe von 4,9 Sekunden nicht ganz erfüllen kann, hinterlässt der Cupra einen überaus potenten Eindruck. Dazu kommt der Hang-on-Allrad, der sich bei Bedarf zuschaltet. Diese Arbeitsweise in Summe gesehen verbrauchsgünstiger als bei Full-Time-Allradlern: durchschnittlich 9,4 Liter sind in Ordnung.
Auch, wenn der Sportkombi zu recht viel Lob verdient, muss er leichte Kritikpunkt ernten: Zum einen, dass „unten herum“ ein kleines Turboloch feststellbar ist. Zum anderen, dass der Klang der Sport-Abgasanlage enttäuschend ist. Schuld ist nicht der Hersteller, sondern die immer strenger werdenden Lautstärke-Vorschriften. Jedoch wirkt auch der verstärkte Sound im Innenraum – insbesondere im Cupra-Modus – ziemlich künstlich; dafür können die Spanier dann doch etwas.
Ansonsten überzeugt der Daily Driver nicht nur mit sportlichen Fahrleistungen, sondern auch mit viel serienmäßiger Sicherheit. Üppig ausgestattet protzt er förmlich mit jeder Menge Sicherheits- und Komfort-Goodies. Zu den Highlights gehören unter anderem die vorausschauende adaptive Geschwindigkeitsregelung (ACC), der teilautonome Travel Assist, die Side- und Exit-Assistenten sowie der Notfall- assistent. Weitere Extras im Wert von 10.000 Euro wären möglich, wie unser Testwagen beweist. Der Gesamtpreis für DA-RE-9692 beträgt rund 55.000 Euro, was für den gebotenen Umfang aber immer noch ein fairer Kurs ist. Tzzz … von wegen unvernüftig!
Test kompakt
Dieser Kombi hat mächtig Feuer im Hintern und gehört definitiv zur Kategorie „heißblütiger Daily Driver“. Trotzdem moderat im Verbrauch, dazu mit ausgewogenen Komforteigenschaften, vielen Sicherheitssystemen und einem großen Gepäckabteil gesegnet, nähert er sich dem Ideal der eierlegenden Wollmilchsau. Contra: Die Bedienung ist etwas anstrengend, der Klang der Abgasanlage ernüchternd. Pro: üppige Ausstattung und faire Preisgestaltung.