Audi RS6 AvantFamilien-Sportler

Arne Olerth

 · 14.12.2023

Audi RS6 Avant: Familien-SportlerFoto: Hardy Mutschler
Sie begeistern sich für Hochleistungssportler, benötigen aber mehr als zwei Sitzplätze? Als prickelnde Alternative mit hohem Nutz­wert empfiehlt sich der Audi RS6 Avant mit 600 V8-PS
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Foto: Hardy Mutschler

Sommerzeit – Urlaubszeit. Will man nicht nur mit der ganzen Familie samt Sack und Pack verreisen, sondern auch besonders flott an der Entspannungsdestination ankommen, so lohnt sich der Weg zum Audi-Händler. Der Audi RS6 Avant verwöhnt bis zu fünf Passagiere oberklassig mit reichlich Platz nebst großem Gepäckabteil und unterhält sie zudem mit emotionalen 600 V8-PS und einem superben Fahrverhalten. Eine wahrlich exklusive Kombination. 3,6 Sekunden auf Hundert und bis zu 305 km/h Spitze – seine Werte liegen klar auf dem Niveau eines Supersportwagens. Selbst die Sport-Speerspitze von Audi, der Mittelmotor-Sportler R8 mit V10-Rennmotor, bietet hier nur unwesentlich mehr. Doch bleibt in diesem stets einem Teil der Familie die Mitfahrt verwehrt. Und: Versuchen Sie mal im R8 einen Wochenend-Einkauf oder gar eine Leiter zu befördern – auch der Familienhund sei nur am Rande erwähnt. Die Hochleistungsflunder hebt den Fahrer zudem innerstädtisch ständig auf den Präsentierteller – Handykameras werden gezückt, Köpfe gedreht. Nicht jeder Audi-Pilot goutiert das.

Der RS6 Avant empfiehlt sich als charmante Alternative. Beinahe zwei Jahrzehnte schon hat Audi Erfahrung mit dem Hochleistungskombi in der Oberklasse. Basierend auf dem Erfolg des kleineren RS4 Avant und dessen Vorgänger RS2 brachte der bajuwarische Automobil-Produzent den ersten RS6 (C5) schon 2002 – damals wahlweise als Avant oder als Limousine. Sein V8-Biturbo leistete 450 PS, in der Plus-Version deren 480. Generation zwei (C6) zeigte ab 2008 mit seinem Paradigmenwechsel unter der Haube ganz unverhohlen die Positionierung auf Augenhöhe mit dem Supersportler R8: Hier durfte der mächtige V10 einziehen, der mit 560 zudem 35 PS mehr bot als im R8 und sogar ein Jahr eher verfügbar war. Der Hubraum wurde auf fünf Liter reduziert, die Einlassseite auf Zwangsbeatmung mittels zweier Turbo-Lader umgestellt. Generation drei (C7) brachte ab 2012 die Rückkehr zum V8-Biturbo (560-605 PS) und die Verabschiedung von der Power-Limo. Seither ist der RS6 nur noch als betörender Avant erhältlich. Im Frühherbst 2019 wurde dann Generation vier (C8) vorgestellt, mit umfassend überarbeitetem Vierliter-V8-Motor mit Bi-Turboaufladung. Und eben dieser Ausnahme-Audi stellt sich heute dem GUTE FAHRT-Test.

Bewertung

Schenken wir uns den Vorab-Rundgang um das muskelbepackte Auto und schicken den Power-Kombi direkt auf die Piste. Freunde, den Tanz, den der RS6 Avant hier aufs Paket legt, der treibt jedem Autofan Tränen der Freude ins Gesicht. Ansatzlos schnappt der V8 zu, bissig wie ein Bull-Terrier, der eben von einer Wespe gestochen wurde. Das 600-PS-Monster vollstreckt jedweden Befehl am Pedal mit Leichtigkeit.

Ein paar Zahlen gefällig? Für den simulierten Überholsprint von 80 auf 120 km/h bedarf es nur 2,1 Sekunden – für das Lesen dieses Sat­zes haben Sie garantiert länger ge­braucht. Ein gewiss nicht schwäch­licher Golf 1.5 eTSI mit 150 PS nimmt sich dafür gar 4,9 Sekunden Zeit (GF 4/20). Die 200 fällt nach exakt 12 Sekunden – ein Porsche 911 Carrera 4S ist nur 0,3 Sekunden schneller (GF 7/19).

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Doch es ist die Querdynamik-Wertung, die wahre Sport-Qualitäten offenbart. Und hier beherrscht der RS6 die Klaviatur verblüffend perfekt. Ganz gleich ob enge Wechselkurven oder große Radien – der Audi hakt Biegung um Biegung lässig mit dem Bleistift ab, bettelt beim Fahrer nach mehr. Lenkimpulse werden so ansatz­los in Richtungsänderungen umgewandelt, das Auto bleibt wie Kleister an der Ideallinie haften, dass man sich eher an Bord eines kompromiss­los konzipierten Supersportlers wähnt, anstatt am perfekt rückmeldenden Volant eines 2,2 Tonnen schweren Familienkombis. Allein ganz hoch oben, in Geschwindigkeitsbereichen, die kaum mehr als StVZO- konform zu bezeichnen sind, ist ein leichtes Untersteuern zu verzeichnen.

Bevor man sich aber mit Supersportwagen misst, herrlich mit den Schaltpaddels durch die Gänge flippert, sollte man sich unbedingt die Be­legung der Sitzanlage ins Gedächtnis rufen – nicht jeder Passagier verkraftet die auftretenden Kräfte. Und der erwähnte Familienhund garantiert nicht.

Ein Fest für Petrolheads

Bei seiner Hatz rollt der Audi einen derart emotionalen Klangteppich aus, der den Piloten zweifeln lässt, warum er zusätzliche 5.917 Euro in das famos aufspielende Bang& Olufsen-Advanced-Soundsystem investiert hat. Die unter die Haut gehende Musik spielt vorn, pardon hinten! In der RS-Sportabgasanlage, die jeden Cent ihrer 1.364,71 Euro Aufpreis wert ist. Mit hämmernden V8-Beats basst der Vierliter damit über den Track, lässt die einzelnen Nackenhärchen stramm stehen. Damit konfrontiert, zieht sich jeder E-Sportler – und sei er noch so potent – mit seinem Straßenbahn-Sound schmollend zurück, leckt sich tröstend die Elektroden.

Feuerwerk hochkarätiger Fahrwerksysteme

Wie aber haben es die Jungs von Audi Sport geschafft, dem großen Kombi diese ungemein freudvolle Fahrdynamik anzuerziehen? Die Antwort ist so einfach wie die Umsetzung diffizil: mit einem Höchst-Aufgebot an Fahrwerksystemen. Progressiv-Lenkung, Quattro-Allrad­antrieb und Adaptive Air Suspension in RS-Abstimmung sind in Serie an Bord. Richtig schön wird das ganze aber erst mit dem RS-Dynamikpaket Plus, das auf stramme 12.185 Euro extra kommt. Die sind gleichwohl gut angelegt, sorgen Allradlenkung und Sportdif­ferential doch für ein deutliches Plus an Handlichkeit und Stabilität, die Keramikbremse für zweifelsfreie Standfestigkeit bei der negativen Verzögerung.

Als Extra-Bonbon gibt es eine Anhebung der Höchstgeschwindigkeit von 250 auf die eingangs erwähnten 305 km/h obendrauf. Zu Teuer? Alternativ steht ein 280 km/h-Limit für 1.462 Euro zur Wahl – ohne zusätzliche Fahrwerksysteme. Getreu dem Motto „Das bessere ist des Guten Feind“ kam unser RS6 Avant zudem statt mit den ohnehin schon extragroßen 21 Zoll-Serienrädern mit gewaltigen 22-Zöllern zum Test. 285/30er Pneus sorgten dafür, dass möglichst wenige der 800 Newtonmeter in Rauch aufgingen.

Der V8 wird von zwei Twinscroll-Turboladern mit bis zu 1,4 bar unter Druck gesetzt – 0,2 bar mehr als bisher. Wie beim Vorgänger ist die Zylinderabschaltung COD an Bord, die im Teillastbereich vier Pötten Ruhe verordnen kann. Neu ist das MHEV-System mit 48 Volt-Riemen- Starter-Generator, der bis zu 12 kW rekuperieren oder blitzschnell den V8 anwerfen kann. So stellt der RS6 – gelassen bewegt – im Schiebebetrieb öfters mal den Motor aus. Auch bei Tempo 160.

Verbrauchen? Tut er auch, sicher. Ganze 13,2 Liter im Testschnitt. Das ist ein halber Liter weniger als beim 560 PS-Vorgänger (GF 9/13). Bei vorausschauender Fahrweise erreicht man auch einstellige Bereiche, artgerecht bewegt aber wird ein deutlicher Zuschlag fällig. 600 PS gibt es eben nicht zum Nulltarif – Mild Hybrid-Technik hin, COD her. Wen das schreckt, der greife zum kleinen Bruder, dem Audi S6 Avant. Der verbraucht mit seinen 349 Diesel-PS signifikant weniger, lässt in gleichem Maße aber auch Federn in Sachen Fahrspaß, Performance und Emotionalität.

Doch bei aller Fahrfreude mit dem RS6 sei der Alltag nicht vergessen – oder die zitierte Fahrt in den Urlaub. Hier zeigt sich der Oberklassen-Audi von einer ausgesprochen verwöhnenden Seite. Lässt man den Finger vom RS-Knopf am Lenkrad, umschmeichelt der Sportler seine Insassen fast so sehr wie seine zivilen A6-Brüder – natürlich mit leichten Abstrichen in Sachen Komfort. Doch lässt die feinfühlig ansprechende Federung Fernfahrten zu, ohne dass die Mitreisenden Beschwerden einreichen. Die Achtstufen-Tiptronic verschmeichelt die Schaltvorgänger, sogar die Sportabgasanlage hält sich vornehm zurück. Jetzt darf auch die B&O-Anlage ihr überwältigen­des Klangbild ausbreiten. Serviert das Optionsmenü dem Interessenten eines Audi A6 bereits wahrhaft exklusive und luxuriöse Leckerbissen, dürfen diese beim Top-Modell nicht fehlen. Doch Vorsicht, der Endpreis erreicht bei starker Angebotsnutzung flott erstaunliche Höhen – so kostete der Test-RS6 173.000 Euro.

Exklusives Bodykit

Völlig aufpreisfrei hingegen ist das exklusive RS-Body-kit. Darin präsentiert sich der Avant zwar nicht so marktschreierisch laut wie ein R8, distanziert sich jedoch nachhaltig von der zivilen A6-Serie. Gerade die Front hat ihr bisheriges Understatement abgelegt. Sicher: Die Designer haben sich den riesigen Quattro-Schriftzug des Vorgängers verkniffen, doch lässt der Kühlergrill im Bügelbrett-Format keinen Zweifel am enormen Luftbedarf des Antriebs aufkommen, sorgt für sattes Überhol-Prestige. A7-Scheinwerfer distanzieren das Sportmodell zusätzlich. Dazu gibt es ausgestellte Radhäuser und einen scharfen Heck-Diffusor.

Supersportler und Familienkombi – der Audi RS6 Avant verschmilzt beides in einem exklusiven Hochleistungsfahrzeug. Das spart Platz in der Garage und Geld. Und relativiert den Grundpreis von 116.000 Euro.


Test kompakt

Nürburgring oder Urlaubsfahrt mit Kind und Kegel – es ist schlicht beeindruckend, wie perfekt der Audi RS6 Avant beide Extreme unter einen Hut bringt, kaum nach Kompromissen verlangt. Sein druckvoller Biturbo-V8 würzt das ganze mit seinem emotionalen Auftritt. Dass der 600-PS-Allrounder kein Schnäppchen in Anschaffung und Unterhalt ist, versteht sich fast schon von selbst.