75 Jahre VW-Austauschteile75 Jahre nachhaltig

Peter Kluever

 · 16.09.2022

75 Jahre VW-Austauschteile: 75 Jahre nachhaltigFoto: VW (Alexander Gautsche)

Gut zu wissen: Im Fall der Fälle gibt es bei Volkswagen die Wahl zwischen einem Neuteil und einem industriell aufbereiteten Austauschteil. Die gleicher­maßen kostengünstige wie nachhaltige Alternative ist bereits seit 1947 im Programm, feiert heuer Jubiläum

Richard Meissner, am Tischkreis-Förderer bei der Motorenmontage, und Anika Nohl im Hintergrund
Foto: VW (Alexander Gautsche)

Austauschteile gibt es bei Volkswagen schon seit 75 Jahren. Wegen Materialknappheit nach dem zweiten Weltkrieg wurden defekte Motoren usw. industriell wieder aufbereitet. Denn ein Motorblock geht eher selten kaputt – kann also nach Prüfung oft wieder verwendet werden. Wie bei tausenden weiteren Teilen, die heute im Angebot sind. Was als besonders nachhaltig gelten darf.

GUTE FAHRT führte ein Interview mit Stefan Käse, Volkswagen Group Components, Leiter Aggregate-
Aufbereitung Motoren/Getriebe in Kassel.

GUTE FAHRT: Glückwunsch zu 75 Jahren Aggregate-Aufbereitung. Welche und wie viele Teile haben Sie aufbereitet im Angebot?

Stefan Käse: Aktuell sind es etwa 8.000 verschiedene Teilenummern aus den Bereichen Motoren, Getriebe, Turbolader, Mechatroniken (von Direktschalt-Getrieben), Anlasser und Generatoren, Lenkgetriebe, Infotainment-Systeme, verschiedene Steuergeräte, Katalysatoren und Partikelfilter. Allein bei den Motoren umfasst das Angebot 18 Motor-
familien, die wir als Rumpf- und Teilmotoren liefern. Damit sind über 90 Prozent unserer Motoren auch als Austauschteil verfügbar. Für Ihre besonders gut informierten Leser: Die gängigsten Typen sind EA 288, EA 189, EA 288/evo, EA 189, EA 211/evo, EA 113 und EA 888.

GUTE FAHRT: Das sind aber stattliche Zahlen.

Stefan Käse: Von allen weltweit verkauften Motoren stammen gut zwei Drittel der gängigsten Typen aus der Aggregate-Aufbereitung in Kassel.

GUTE FAHRT: Dann werden Sie bei Getrieben nicht viel weniger anbieten?

Stefan Käse: Aufbereitet gibt es 46 Typen aus den Bereichen Automatik, DSG und Schaltgetriebe. Damit decken wir über 85 Prozent des Getriebesortiments bei Volkswagen ab. Die gängigsten Typen sind DQ 200, DQ 250, DQ 381, DL 501, MQ 281 und MQ 250. Aus den gesamten weltweiten Bedarfen wird knapp die Hälfte aus dem Aufbereitungswerk abgedeckt. Bei den Angaben ist zu beachten, dass in wichtige Märkte wie China oder Brasilien aus rechtlichen Gründen keine Austauschteile importiert werden dürfen. Dort werden die entsprechenden Originalteile genutzt.

GUTE FAHRT: Woher bekommen Sie die Teile, die Sie aufbereiten?

Stefan Käse: Wir erhalten jährlich etwa 600.000 Gebrauchtteile aus über 60 Ländern weltweit.

GUTE FAHRT: Und wie viele Länder oder Märkte werden bedient?

Stefan Käse: In Europa sind es 37 Märkte, international 29 Märkte. In Summe also 66 Märkte.

GUTE FAHRT: Wie versteht sich das Angebot aufbereiteter Teile im Vergleich zu Neuteilen?

Stefan Käse: Unser Austausch-Teile-Programm ist ein Zusatzangebot zum Neuteil und vereint Wirtschaftlichkeit sowie Ressourcenschonung in bestem Sinne. Es steht damit für eine nachhaltige und preiswerte Reparaturlösung. Austausch-Teile bieten dank geringerer Herstellkosten im Vergleich zum Neuteil deutliche Preisvorteile bei gleicher Gewährleistung wie für Neuteile. Damit ermöglichen sie eine wirtschaftliche Reparatur auch älterer Fahrzeuge, ohne dabei auf die Qualität des Originals verzichten zu müssen.

GUTE FAHRT: Vor 75 Jahren war Material-Knappheit die Triebfeder. Was ist heute die Motivation?

Stefan Käse: Neben dem umfassenden Sortiment, der Volkswagen Qualität und dem Preisvorteil rücken auch Umweltthemen wie Klimawandel, Ressourcenschutz und Luftqualität in den Fokus unserer weltweiten Kunden. Blieb durch die aktive und regelbasierte Sortimentsteuerung das Austauschteile-Angebot schon immer auf dem neuesten technologischen Stand, wird durch die stärkere Einbeziehung von Nachhaltigkeits-
aspekten das Sortiment in Zukunft so strukturiert, dass ökonomische und ökologische Vorteile noch mehr berücksichtigt und damit die Umweltlasten noch weiter reduziert werden.

GUTE FAHRT: Sind Sie also ready for the future?

Stefan Käse: Mit der Transformation unserer Fahrzeugflotte in Richtung Digitalisierung und Elektrifizierung richten wir das Austauschsortiment zukünftig noch stärker dahingehend aus.

Die Versorgung und Rückführung von Austauschteilen aus 66 Märkten weltweit bestätigt die hohe Attraktivität und Akzeptanz des Sortiments. Ein weiterer Vorteil des Tauschkreislaufs ist die langfristige Verfügbarkeit der Austauschteile durch ein systematisches Management der Altteile.

GUTE FAHRT: Wie sieht es mit Umweltbilanz und CO2-Einsparung aus?

Stefan Käse: Mit der Aufbereitung von Teilen tragen wir aktiv zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen bei. So wird der CO2-Ausstoß durch die Wiederverwendung von Bauteilen im Rahmen der Aufbereitung erheblich reduziert, denn der Bedarf an Neuteilen sinkt in gleichem Maße.

Zusätzlich trägt das Austauschteileprogramm mit dem Schließen von Stoffkreisläufen zur Kreislaufwirtschaft bei, einem weiteren Handlungsfeld der Nachhaltigkeit.

GUTE FAHRT: Gilt das auch für die Edelmetalle in gebrauchten Katalysatoren?

Stefan Käse: Mit der Rücknahme von gebrauchten Katalysatoren und Partikelfiltern sowie dem anschließenden Recycling der Edelmetalle Platin, Palladium und Rhodium werden die Bedarfe an neu gewonnenen Edelmetallen reduziert, Werkstoffkreisläufe geschlossen. Bei Edelmetallen ist der Wirkungshebel besonders groß, denn für ein Kilogramm Edelmetalle müssen ca. 250 Tonnen Gestein aus Minen gefördert werden.

Die wertvollen Rohstoffe kommen bei der Produktion neuer Abgasanlagen für Konzernfahrzeuge wieder zum Einsatz.

GUTE FAHRT: Welche Vorteile hat das für die Umwelt?

Stefan Käse: Die Umweltauswirkungen eines Produkts während seines gesamten Lebenswegs werden messbar und transparent durch die Erstellung eines so-
genannten Life Cycle Assessment (LCA), auch Ökobilanzierung genannt.

Das Life Cycle Assessment ist eine ISO-genormte, systematische Analyse, bei der nicht nur die Produktion und die Nutzungsphase, sondern auch Rohstoffförderung, Vorprodukte und Lieferanten sowie das Recycling in die Betrachtung einfließen. Mit dieser Methode werden ganze Fahrzeuge erfasst, sie lässt sich aber auch auf einzelne Komponenten anwenden.

GUTE FAHRT: Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Stefan Käse: Der Volkswagen Konzern After Sales hat für ein Direktschaltgetriebe eine Lebenszyklusanalyse erstellt, um die Umweltlasten eines fabrikneuen Getriebes des Typs DQ 200 mit denen eines aufbereiteten DQ 200 zu vergleichen. Zusätzlich wurde ein DQ 200-Rumpfgetriebe – ein After-Sales-spezifischer Bauzustand ohne Doppelkupplung und Mechatronik – in die Analyse einbezogen.

Das aufbereitete Getriebe weist im Herstellprozess eine deutlich bessere Umweltbilanz gegenüber dem Neuteil auf. Durch die Aufbereitung werden in der Wirkungskategorie „Treibhauseffekt“ der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen und der Energieverbrauch um die Hälfte reduziert.

GUTE FAHRT: Können Sie das mit Zahlen belegen?

Stefan Käse: Im Vergleich mit dem aufbereiteten Rumpfgetriebe lassen sich um 78 Prozent geringere CO2-Emissionen erzielen. Gleichzeitig reduziert sich der Primärenergiebedarf um 76 Prozent.

Pro aufbereitetem Rumpfgetriebe werden 164 Kilogramm CO2-Emissionen vermieden. Das entspricht umgerechnet der Umweltbelastung eines Hin- und Rückfluges von Frankfurt nach Amsterdam von einem Fluggast.

GUTE FAHRT: Wird dabei auch Strom gespart?

Stefan Käse: Mit der (nicht benötigten) elektrischen Energie in Höhe von 528 Kilowattstunden legt ein Elektroauto wie der ID.3 eine Strecke von etwa 3.800 Kilometern zurück. Ein eindrucksvoller Nachweis dafür, dass sich unsere Kunden mit der Verwendung von Austauschteilen aktiv am Umweltschutz beteiligen.

GUTE FAHRT: Warum ist das Thema Aufbereitung dem Konzern so wichtig?

Stefan Käse: Der Beitrag des Austauschgeschäfts zu nachhaltigem Klima- und Ressourcenschutz wird hoch taxiert. Nachhaltigkeit bedeutet für unseren Konzern, ökonomische, soziale und ökologische Ziele gleichrangig und gleichzeitig anzustreben.

Der verantwortungsvolle Umgang mit unserer Umwelt ist unsere Verpflichtung gegenüber den nachfolgenden Generationen. Für uns ist nachhaltige Mobilität wegweisend für die Zukunft und deshalb fest in der Strategie von Volkswagen verankert.

GUTE FAHRT: Woher kommt diese Motivation?

Stefan Käse: Als globaler Anbieter von Fahrzeugen und Mobilitätsdienstleistungen sind wir uns unserer Verantwortung für den Umwelt- und Klimaschutz bewusst.

Auch daher hat sich Volkswagen dazu verpflichtet, nachhaltige Mobilität konsequent voranzutreiben und beim Schutz unserer Umwelt vorbildlich zu handeln.

GUTE FAHRT: Wie erreichen Sie das in der Praxis?

Stefan Käse: Insbesondere die Digitalisierung hat zuletzt diesem Bestreben einen weiteren Schub verliehen. Ein zusätzlicher Treiber der Kreislaufwirtschaft ist die fortschreitende Dekarbonisierung des Volkswagen Konzerns.

Der wachsende Einsatz von Sekundärmaterialien und die Etablierung geschlossener Stoffkreisläufe tragen dazu bei, unsere CO2-Emissionen deutlich zu senken.

Die Schonung von Ressourcen entlang des gesamten Lebenszyklus’ unserer Produkte und Mobilitätslösungen ist bereits zentraler Teil unserer Strategie. Der Volkswagen Konzern hat sich das Ziel gesetzt, seine Ressourcen-Effizienz weiter zu verbessern sowie Ansätze zu Wiederverwertung und Recycling in den Bereichen Werkstoffe, Energie und Wasser zu fördern.

Ersparnis bis zu 50 Prozent

GUTE FAHRT: Was bedeutet das für die Autofahrer?

Stefan Käse: Auch die Versorgung mit Ersatzteilen muss – als Bestandteil unserer Mobilitätslösungen – einer Vielzahl gesellschaftspolitischer Anforderungen gerecht werden. Dazu gehören Zugänglichkeit, Bezahlbarkeit, Sicherheit, Umweltverträglichkeit und Effizienz. Bezogen auf den Handlungsrahmen des Konzern After Sales und seiner Verantwortung für die Ersatzteilversorgung erfüllen Austauschteile die genannten Anforderungen in einzigartiger Weise.

GUTE FAHRT: Wie wird aufbereitet?

Stefan Käse: Nicht nur schadensbezogen. Vielmehr werden die Teile industriell und systematisch auf den Stand eines Neuteils gebracht. Lager werden beispielsweise immer ersetzt und auch andere defekte Teile durch originale Neuteile. Wir arbeiten wie in einer Manufaktur mit viel Handarbeit.

GUTE FAHRT: Wie viel Geld kann sich der Kunde mit Austauschteilen sparen?

Stefan Käse: Bis 50 Prozent gegenüber Neuteilen.

GUTE FAHRT: Wie viel Stahl wurde auf diese Weise gespart?

Stefan Käse: Das Material von mehr als 50 Eiffeltürmen.

GUTE FAHRT: Welche Vorteile bieten Austauschteile außer dem günstigeren Preis?

Stefan Käse: Die Teile werden auf den neuesten Stand gebracht und profitieren von Weiterentwicklungen, die in die Serie eingeflossen sind.

GUTE FAHRT: Wo liegen die Unterschiede zwischen Aggregateaufbereitung und Instandsetzern?

Stefan Käse: Letztere schleifen eine Zylinderbohrung nach, dadurch wird sie größer und es braucht andere Kolbenringe oder gar Kolben mit Übermaß.

Wir dagegen beschichten etwa die Laufflächen von Dieselmotoren mit einem Hightech-Plasma-Verfahren wie in der Serie.

Anschließend werden die Laufbahnen wieder auf das Originalmaß gebracht, so dass die ursprünglichen Kolben weiterhin passen. Diese Beschichtung senkt sogar den Kraftstoffverbrauch, weil die Reibung verringert wird.

GUTE FAHRT: Wie ist die Verfügbarkeit von Austauschteilen?

Stefan Käse: Üblicherweise sofort, d. h. man muss nicht mit der Reparatur warten, sondern kann das Austauschteil wie ein Neuteil sofort einbauen.