Reportage120 Jahre Skoda Motorsport

Martin Santoro

 · 19.10.2021

 | Fotos Skoda, Santoro (4)

120 Jahre Skoda Motorsport! Das Jubiläum feiern die Tschechen mit einem fulminanten Aufgebot. GUTE FAHRT feierte mit und durfte vom Beifahrersitz aus rassige Boliden und Rallye-Legenden erleben

Als eine Mitarbeiterin im schwarz-grünen Skoda-Shirt das Signal zum Einkleiden gibt, steigt schlagartig der Puls. Sturmhaube drüber, Helm auf, durchatmen. Während eine Service-Kraft beim Einklinken des Helm-Verschlusses hilft, rollt die kernig-brabbelnde, feuerrote Flunder heran. Sofort zieht der Skoda 1100 OHC sein Publikum in den Bann. Die sinnliche Linienführung ist mit nichts anderem vergleichbar, was Skoda Motorsport an diesem milden Septembertag vor seinen Renntruck geparkt hat. Stoisch ruhend, wartet der behelmte Fahrer in dem offenen Zweisitzer auf seinen nächsten Gast. Die winzige Beifahrertür wird von innen entriegelt, behutsam gleitet der Körper tief hinunter in den rot gepolsterten Sitz. Die enge Schale scheint das einzig Komfortable in diesem Rennwagen von 1957 zu sein. Eine Fahrerkopfstütze, keine Gurt – Sicherheit an Bord vermitteln lediglich längs- und quer verstrebte Stahlrohre sowie ein kleiner Feuerlöscher, der dem rechten Arm des Beifahrers als Lehne dient.

Hinterm filigranen Holzlenkrad blickt der Pilot auf einen zeitgenössischen Tachometer, Druck- und Temperaturanzeigen sowie der große Drehzahlmesser sind deutlich jüngeren Datums. Vor dem Beifahrer befinden sich in einer Aluminiumtafel zahlreiche, nicht identifizierbare Schalter und Knöpfe. Das Interesse an deren Funktion verblasst, sobald der Fahrer den ersten Gang einlegt und Gas gibt. Knapp über der asphaltierten Straße sitzend, dirigiert der tschechische Pilot den atemberaubend schönen Oldtimer über die Teststrecke von Skoda Motorsport. Bei flottem Vortrieb leitet das knackig abgestimmte Fahrwerk sämtliche Bodenunebenheiten nahezu ungefiltert an die Passagiere weiter. Die Geräusche von Karosserie und Getriebe gleichem dem Niveau eines leergeräumten Käfer Cabrios bei voller Fahrt, welches der Autor Anfang der 90er Jahre zeitweise bewegte. Der Klang des wassergekühlten Reihen- vierzylinders hinter dem langgezogenen Bug des Skoda erinnert an den eines frech frisierten Golf 1 mit Weber- Doppelvergasern samt offenen Trichtern.

Eine schöne Reise durch die Zeit

Behutsam steuert der Skoda-Pilot das 92 PS starke Gefährt durch den etwa drei Kilometer langen Parcours, dreht auf einer längeren Geraden den Motor bei Tempo 150 bis 6.500/min hoch, bremst vor der einzigen Kehre der Piste scharf an, um anschließend wieder durchzustarten. All das begleitet vom kräftig-kernigen Sound der vermutlich ungedämmten Abgasanlage. Außer einem immer wiederkehrenden Rasseln bleibt das synchronisierte Fünfgang-Getriebe beim Schalten bemerkenswert ruhig. Nach zwei Runden à drei Minuten kehren wir an die „Box“ zurück. Was bleibt, ist ein Eindruck von Andacht gegenüber der Ingenieurskunst aus Mlada Boleslav.

Beim Rundgang im Skoda-Museum erfuhren wir zuvor, dass die Stückzahl des 1100 OHC im Jahr 1959 bei vier Exponaten lag. Geplant waren seinerzeit Einsätze bei Langstreckenklassikern wie Spa und Le Mans. Das politisch angespannte Ost-West-Verhältnis verhinderte jedoch ambitionierte Einsätze auf internationalem Parkett. Die Zeiten überdauert haben der gerade bewegte Roadster sowie eines von zwei Coupés.

Wertvolle Pretiosen, wie die an italienische Formen erinnernden Sportgeräte aus der Tschechei, wollen vorsichtig bewegt werden – auch bei solch exklusiven Mitfahrten, zu denen Skoda anlässlich seines 120-jährigen Engagements im Motorsport eingeladen hat. Gleichfalls ein optisches Highlight wie der dargebotene 1100 OHC ist der zum Lineup aufgestellte Skoda 180 RS. Entwickelt aus dem als „Porsche des Ostens“ betitelten Zweitürer-Coupé 110 R erschien 1974 das Rallyeprototypen-Wettbewerbsfahrzeug mit einer Karosserie teils aus Alu und Kunststoff sowie flacherem Dach. Die 1,8 bis zwei Liter (200 RS) großen Reihenvierzylinder waren im Heck verbaut und leisteten bis zu 163 PS. Bei der Fünfgang-Handschaltung griffen die Konstrukteure auf das bewährte Porsche-915-Getriebe zurück. Ein größerer Erfolg war den drei gebauten Fahrzeugen wegen Reglement-Änderungen der FIA nicht gegönnt, weil Prototypen ab 1975 verboten wurden. Technisch bedingt, stand uns am zweiten Tag der Mitfahr-Veranstaltung der rot-weiße Breitbau ausschließlich für statische Fotos zur Verfügung.

Die ganz Großen im Rallye-Sport

Auch wenn sein direkter Nachfolger zwar im Museum steht, aber nicht beim Termin angetreten ist, sollte der 130 RS – der Chronologie und seiner Erfolge wegen – kurz erwähnt werden. Der ebenso markant gezeichnete Hecktriebler zählte zu den erfolgreichsten Rennfahrzeugen seiner Zeit. Den größten Coup erzielte das Skoda-Werksteam unter anderem im Jahr 1977 bei der Rallye Monte Carlo, bei der man in der Klasse bis 1.300 Kubikzentimeter Hubraum den ersten und zweiten Platz belegte. An der renommierten „Monte“ nahmen Autos aus Mlada Boleslav übrigens seit 1912 teil. Die heutige Skoda-Ausstattungslinie „Monte Carlo“ gilt als Reminiszenz an diese motorsportliche Tradition, an die der legendäre 130 RS anknüpft.

Sein Nachfolger schaut zwar weniger spektakulär aus, knüpft aber dennoch nahtlos an die Rallye-Erfolge an. Mit dem Charme einer Stufenheck-Limousine „made in Ostblock“ der 1980er Jahre kontert der Skoda 130 LR mit zahlreichen Rallye-Erfolgen auf europäischer Ebene ab seinem Debüt 1985 in Finnland. In der sogenannten Gruppe B deklassierte der letzte Wettbewerbs-Skoda mit Heckantrieb bei der „Marlboro Günaydin Turkish Rally“ Konkurrenten wie Peugeot 205 Turbo, Renault R5 Turbo und Audi Quattro.

Entsprechend neugierig steigen wir beifahrerseitig in den 130 LR ein. Die Begrüßung des tschechischen Piloten fällt sehr freundlich aus, auch wenn wir uns sprachlich kaum verstehen. Dafür legt er mit seinem Skoda eine Performance an den Tag, die es in sich hat. Beherzt bedient er Kupplung, Gas und Bremse. Flink und präzise scheucht er sein Renngerät um die Kurven, bedient sich dabei häufig des Handbremshebels als Diktiergerät. Später lesen wir nach, dass das Wirkungsverhältnis der Bremsen vorn wie hinten einstellbar ist, auch die hydraulische Handbremse war eine Innovation. Etwaige Leistungsnachteile des 130 PS-Motors im Heck machten die Piloten mit fahrerischem Geschick wett, wodurch sie höhere Kurvengeschwindigkeiten als Vorteil im Wettbewerb nutzten konnten.

Ähnlich forsch geht es jetzt im Favorit 136 L/A vorwärts. Die scharfe Rallye-Version des Kleinwagens aus tschechischer Produktion feierte ihr erfolgreiches Debüt 1989 bei einem nationalen Wettbewerb. Die Ära der Rallyefahrzeuge mit Heckantrieb endete damit nach einem viertel Jahrhundert, weshalb sich die Werksfahrer auf das neue Konzept mit Frontmotor - und -Antrieb umstellen mussten.

Unser Fahrer, ein junger Tscheche, betreibt begeistert mit seinem Favorit historischen Motorsport und lässt nichts auf die angetriebenen Vorderräder kommen. Es ist ja nicht so, als hätten wir in Position des zwischenzeitlich geübten Beifahrers keine Höhepunkte an diesem Tag erlebt … Aber mit welchem Mut der junge Kerl seine Bremspunkte vor Kurven und Kehren setzt, lässt einem den Atem stocken – ja, so spät steigt er in die Eisen. Fakt ist: Der 750 Kilo leichte Favorit geht ab wie „Schmidts Katze“! Und das, obwohl er „nur“ mit 105 PS antritt. Auch der eingebaute Überrollkäfig mag Sicherheit vermitteln – dennoch bleibt nach diesem Ritt erstmals ein flaues Gefühl in der Magengrube zurück. Wir verabschieden uns nach den beiden obligatorischen Runden freundschaftlich, der Fahrer lächelt. Wir genießen die Ruhe einer kurzen Pause und verstehen nun noch besser, weshalb sich dieser kleine Skoda bei anspruchsvollen WM-Läufen wie der Rallye Monte Carlo, der finnischen 1000-Seen-Rallye oder der Acropolis-Rallye in Griechenland gegen die Konkurrenz durchsetzte.

Stand der Dinge in Sachen Technik

Zu guter Letzt freuen wir uns dann doch ganz auf zwei besondere Mitfahrten, die den aktuellen Stand der Technik bei Skoda Motorsport verdeutlichen sollen. Nach ersten Erfahrungen in Old- und Youngtimern begrüßt uns der Fabia Rally2 evo. Hier dauert die Vorbereitung etwas länger, bis der Beifahrersitz erklommen ist, die Gurtschnallen einrasten und der interne Sprechfunk steht. Wieder sitzt ein junger tschechischer Pilot auf dem Fahrersitz. Die vor einem sich ausbreitende Technik und Bedienung zu erläutern, würde den Rahmen dieses Beitrag sprengen. Und die Zeit, alle Anzeigen und Schalter überhaupt zu erfassen, besteht ohnedies nicht. Bei vehementem Vortrieb verbindet sich die enge Vollschale gefühlt mit der Wirbelsäule, die einwirkenden G-Kräfte erfordern aktives, bewusstes Atmen. Und beim Beobachten des Fahrers kommt man nicht umhin, an einen Hardrock-Schlagzeuger zu denken. So geschickt und flink wie der Fahrer Pedale, Handbremshebel und Schaltstock bedient – unglaublich! Dass diese allradgetriebene Fahrmaschine mit knapp unter 300 PS Leistung ganz vorn im Rallye-Sport mitmischt, kauft man ihr schon nach wenigen Sekunden ab. Kein Wunder, dass weltweit über 150 Privat-Teams dem Fabia als Wettbewerbsfahrzeug den Vorzug geben und endlos Sieg einfahren.

Ob der Skoda Fabia RE-X1 Kreisel an diese Erfolge anknüpfen kann? Das wird die Zukunft erweisen. Denn aktuell unterstützt das Werk die Entwicklung des Elektro-Rallye-Autos, das auf dem Rally2 evo basiert, aber noch keine homologierte Rennserie für derartige Wettbewerbsfahrzeuge existiert. Was sein 860-Volt-E-Antrieb mit 354 PS vermag, ist zumindest an diesem Tag unvergleichlich. Während Beschleunigung und Querdynamik im Verbrenner-Fabia bereits Herzrasen verursacht, schaut die Arbeit des Piloten sowie das Straße fressende Mäandern des RE-X1 wie das Abspulen eines Films in Zeitraffer an. Es ist einfach gewaltig, was Skoda Motorsport dem Publikum zur Unterhaltung darbietet – auch ohne kernigen Verbrennersound mit Turbo-Wimmern. Das scharfe Surren der E-Maschine macht in der Tat Gänsehaut. Danke Skoda!