Design bei ThonetUnser Elfer heißt FREI- SCHWINGER

Design bei Thonet: Unser Elfer heißt FREI- SCHWINGERFoto: Sebastian Wolf
Designer Ulf Möller (l.) und Creative Director Norbert Ruf im Gespräch. Im Fokus: die an den Freischwinger angelehnte LUM-Leuchte
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Zeitlosigkeit, Langlebigkeit und Nachhaltigkeit: Diese Werte machen die Designklassiker von Thonet – einem der ältesten Möbelhersteller der Welt – aus. Das erinnert an die Eigenschaften, die auch das Design von Porsche prägen. Was verbindet die beiden Marken?
Peter Thonet, Unternehmer in fünfter Generation, in seinem 911 Carrera 3.2
Foto: Sebastian Wolf

Am ersten Frühlingstag des Jahres wirkt das Licht meist etwas magischer als sonst. Wenn die Leichtigkeit aus dem Winterschlaf erwacht, dann ist er wieder da, dieser Blick für die kleinen Freuden des Lebens. So wie heute im hessischen Frankenberg, dem Sitz des Möbelherstellers Thonet. Peter Thonet, Unternehmer in fünfter Generation, und Designer Ulf Möller treffen sich vor der alten Familienvilla. Thonet im weißen 911 Carrera 3.2, Baujahr 1987, den er erst am Vortag für die kommende Saison fit gemacht hat. Möller im roten Boxster Spyder 987, Baujahr 2010. Die beiden Männer sind seit 25 Jahren beruflich verbunden. Möller, der den berühmten Thonet-Freischwinger sogar auf dem T-Shirt trägt, ist Designer und Hausarchitekt bei Thonet. Daneben eint die beiden die Liebe zur Marke Porsche. Ein Zufall? Wohl kaum. Es ist die Leidenschaft für Design, für Innovation, für Produkte, die die Zeit überdauern.

So wie die Designklassiker von Thonet, die in der Familienvilla – heute ein Showroom mit tiefen Fenstern – stehen. Stühle, Tische, Sofa-Landschaften. Sie beruhen auf der Arbeit von ikonischen Designern wie Mart Stam, Ludwig Mies van der Rohe oder Marcel Breuer. Die beiden Kreativköpfe Möller und Norbert Ruf, seit acht Jahren bei Thonet und als Creative Director Leiter des Designprozesses für neue Produkte, haben das Erbe der über 200 Jahre alten Marke inzwischen in die Neuzeit geführt.

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Doch wie funktioniert das? Wie wird aus einer innovativen Idee ein Produkt, das die Zeit überdauert – und aus dem sogar immer wieder Neues entsteht? Eine spannende Frage, die ein bisschen an die Designgeschichte des Elfer erinnert, der sich über all die Jahrzehnte ständig weiterentwickelt hat, aber immer ganz klar als 911 zu erkennen war. ›

Wir laden Thonet, Möller und Ruf zur Diskussion genau dieser Frage ein. Thonet blickt zunächst – als wolle er nur still auf die Frage antworten – hinaus auf seinen 911. Die Sonne scheint ihm ins Gesicht, ein Lächeln. Doch dann beginnt ein lebendiger Austausch.

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Thonet: Tradition und formaler Anspruch sind der Schlüssel. Schauen Sie sich nur den 911 an. Ein genialer Entwurf, der immer wieder ein bisschen verändert wird. Doch die Urform ist nie zu verleugnen. Es ist stets eine Familie. Und so ist es auch mit dem Freischwinger. Die kubische Urform ist klar definiert. Heute gibt es ihn in allen Formen – vom Bürostuhl bis zum Barhocker. Aber er ist immer klar zu erkennen. Er ist unser Elfer.

Möller: Innovationsgeist gehört auch dazu. Als Mart Stam 1926 den Freischwinger entwarf, da gab es diese Idee noch gar nicht. Stam experimentierte mit dünnen Gasleitungsrohren, wie sie Klempner verwenden. Daraufhin entfernte er zwei Beine und erfand das neue Konstruktionsprinzip des frei schwingenden Stuhls.

Ruf: Stam hat eine neue Typologie geschaffen. Unsere Aufgabe ist es heute, dieses Erbe weiterzuführen. Unsere Produkte müssen für mehrere Generationen funktionieren. Einen Stuhl zu entwickeln, ist keine Kunst mehr. Die Kunst liegt darin, eine emotionale Bindung zu schaffen. Das ist wie bei Porsche und dem 911. Viele Kunden kommen heute zu uns und sagen: „Auf dem Freischwinger habe ich schon als Kind gesessen, ich bin damit aufgewachsen. Also soll der jetzt auch bei mir zu Hause stehen.“ Und das ist natürlich die Königsdisziplin. Emotional sein, zeitlos sein.

Möller: Ich sage ja immer zeitstabil. Weil es zu den langlebigen Porsche-Sportwagen passt, aber auch zu qualitativ hochwertigen Möbeln. Guckt euch das Daybed von James Irvine an, auf dem wir gerade sitzen. Als der Designaspekt auch in Büros eine immer größere Rolle spielte, haben wir das Ganze erweitert, haben eine Schalloption, also eine Wand, drumherum gebaut, eine Steckdose und kleine Tische integriert. So wird aus einem Sofa ein wunderbarer Arbeitsplatz. Das Produkt ist zeitstabil – und erfährt in neuer Form eine Renaissance. Wie der 911 mit jeder neuen Generation.

Thonet: Nicht nur zum 911, sondern allgemein zu Porsche als Traditionsfirma gibt es viele Parallelen. Da spielt auch der gesellschaftliche Aspekt eine große Rolle. Beide Unternehmen müssen ihre Produkte an dem Bedarf ausrichten, der am Markt gefordert wird. Bei Porsche ist es beispielsweise die E-Mobilität. Bei uns ist es auch die veränderte Nutzung. Neben dem Wohnbereich ist der Objektbereich, also Büromöbel, ein großes Geschäftsfeld. Und wenn sich die Wohn- und Arbeitswelt verändert, dann müssen wir uns anpassen.

Ruf: Ein gutes Beispiel ist der S285, der Schreibmaschinentisch. Als die PCs aufkamen und die Monitore immer größer wurden, war der Tisch fast ausgestorben. Dann wurden die Screens flacher und der Tisch hatte wieder einen Nutzwert. Heute ist er beliebter denn je.

„Der 911 ist ein genialer Entwurf, der immer wieder verändert wird. Doch die Urform ist nie zu verleugnen“
Der Showroom im hessischen Frankenberg war früher das Wohnhaus der Familie ThonetDer Showroom im hessischen Frankenberg war früher das Wohnhaus der Familie Thonet
„Die Kunst liegt darin, eine emotionale Verbindung zu schaffen. Das ist wie bei Porsche und dem 911“
Zwischen dem 911 und den Designs seiner Firma sieht Peter Thonet viele ParallelenZwischen dem 911 und den Designs seiner Firma sieht Peter Thonet viele Parallelen

Thonet: Egal was wir machen, unsere Designmaxime gibt die Richtung vor: Möglichst ressourcenschonend produzieren – da hat mein Ururgroßvater, der Gründer der Firma, Michael Thonet, schon dran geglaubt. Designprinzipien sind wichtig für die Identität. Das ist auch der Grund, warum man einen Porsche immer schon von Weitem erkennt. Und als Michael Thonet den Wiener Kaffeehausstuhl erfunden hat, war das nicht nur produktionstechnisch innovativ, sondern auch nachhaltig. Er besteht aus sechs Teilen, kann platzsparend verpackt werden, er passt überallhin, ob in die Gastronomie oder in den Wohnbereich. Sie sehen ihn ja heute noch auf der ganzen Welt. Tatsächlich muss man gar nicht so weit gucken, Norbert Ruf sitzt auf einem Exemplar genau dieses Stuhls, mit dem alles begann – dem Wiener Kaffeehausstuhl. Michael Thonet, ursprünglich Tischler in Boppard am Rhein, erfand Mitte des 19. Jahrhunderts das Bugholzverfahren – und revolutionierte so die Möbelproduktion. Unter Dampfeinfluss brachte er Massivholz zum Biegen, was nicht nur ästhetisch ansprechende Formen, sondern auch eine effiziente industrielle Produktion erlaubte. Daraus entstand 1859 der Wiener Kaffeehausstuhl, der zum meistproduzierten Stuhl der Designgeschichte avancierte. Es war der erste Stuhl, der in Serienproduktion gefertigt wurde – und bereits 1930 waren weltweit mehr als 50 Millionen Exemplare verkauft. Außerdem waren von da an komplett neue Formgebungen möglich. Eine Pionierleistung, von der nachfolgende Generationen profitieren. Wie Ulf Möller – der sich an Traditionen orientiert und Innovationen kreiert.

Ulf Möller mit einer der von ihm designten Leuchten: der TECNOLUMEN PolarsternUlf Möller mit einer der von ihm designten Leuchten: der TECNOLUMEN Polarstern

Möller: Es gibt diese Geschichte aus dem Jahr 2009, die zeigt, wie wir bei Thonet mit der Tradition umgehen. Peter Thonet hatte immer den Wunsch geäußert: Wenn wir ein neues Produkt entwerfen, dann muss es etwas von morgen sein.

Thonet: Am besten von übermorgen.

Möller: Und als wir 2009 den Showroom erweitert haben und alles fertig eingerichtet war, fiel uns auf, dass wir zu wenig Licht hatten. Und ich fragte, warum es bei Thonet eigentlich keine Leuchten gibt.

Thonet: Es hatte nie einer den Finger gehoben, wenn wir drüber sprachen. Und Ulf sagte dann: „Ich baue euch mal eine.“ Also ungefähr so, wie es bei Ferry Porsche war. Der viel zitierte Sportwagen, den er nicht hatte finden können – er hat ihn einfach selbst gebaut. Nur: Als Möller mit seiner Leuchte begann, war das zunächst noch keine Innovation. Was also war wegweisend?

Möller: Es musste eine Thonet-Leuchte sein. Also war die Idee: Wir nehmen dasselbe Rohr wie beim Freischwinger, arbeiten mit den gleichen Radien und Winkeln. Und damit es ein Produkt von übermorgen wird, arbeiten wir mit LED. Das hat damals kaum einer gemacht.

Und die Exklusivität. „Wissen Sie, ab welcher Stückzahl man bei Thonet maßgeschneiderte Möbel kaufen kann?“, fragt Ulf Möller und hebt als Antwort einen Finger hoch. „Es ist wie beim Porsche-Sonderwunschprogramm.“ Erst kürzlich lieferte Porsche mit einem Speedster auf Basis der Generation 993 das erste Werksunikat für einen einzelnen Kunden aus. Exklusivität als Grundpfeiler für ein Traditionsunternehmen. Dazu gehört auch: erhalten, was da ist.

Porsche Classic ist der Experte für die Restauration klassischer Sportwagen, man erfüllt Kunden jeden noch so außergewöhnlichen Wunsch, arbeitet mit historischen Bauteilen. Bei Thonet heißt dieser Bereich: Reparaturabteilung. Drüben im Werk, rund 200 Meter von der alten Villa entfernt, ist jetzt Feierabend. Das Licht blitzt durch die Deckenfenster und reflektiert auf Ulf Möllers silberfarbener Jacke, es riecht nach Holz, die Arbeitsbereiche wirken wie kleine Ateliers, hier und da hängt ein Porsche Klassik-Kalender. Die Reparaturabteilung ist in die gängigen Produktionsprozesse integriert. 3.500 Exemplare werden hier jährlich repariert. Vieles geschieht in Handarbeit, aber auch moderne CNC-Maschinen kommen zum Einsatz. Wieder dieser Porsche-typische Spagat aus Tradition und Innovation. „Es hat mal jemand scherzhaft gesagt: Wir sind eine Manufaktur mit Serienfertigung“, sagt Peter Thonet. „Und da ist was Wahres dran.“

Thonet: Wir haben schnell gemerkt, hier entsteht etwas Neues. Also haben wir direkt ein Patent angemeldet.

Möller: Und Ewigkeiten im Archiv geforscht, damit wir nichts kopieren. Heute steht die Leuchte in der Bauhaus-Stiftung in Dessau, zwischen Mart Stam und Ludwig Mies van der Rohe. Die LUM-Tischleuchte – das steht für Lumen Ulf Möller.

In der Tradition die Innovation finden – das ist der Thonet-Weg. Und auch der von Porsche. Und dann ist da noch etwas. Das Manufakturhafte, gepaart mit modernster Technik.