Dino Medic
· 04.05.2024
Herr Sainz, Ihre Motorsport-Karriere begann ungewöhnlich. Denn Sie waren bereits 1979 spanischer Landesmeister im Squash und studierten im Erwachsenenalter Jura. Wie entstand Ihre Faszination für den Motorsport, die Sie diesen Karriereweg einschlagen ließ?
Solange ich mich zurückerinnern kann, war ich fasziniert von Autos. Als meine Schwester Carmen ihren Seat 600 kaufte, war ich mit elf Jahren zu klein, um die Pedale zu erreichen. Aber sie setzte mich auf ihren Schoß und ich durfte lenken. Das war mein erstes Erlebnis mit einem Lenkrad in den Händen und ich wollte von da an unbedingt fahren lernen. Als ich zwei Jahre älter war, lernte meine Schwester ihren Ehemann kennen – einen Rallye-Fahrer – und ich durfte ihn und meinen älteren Bruder, der schon Rallye fuhr, begleiten. Mit 18 Jahren machte ich meinen Führerschein und das Erste, was ich fuhr: eine Rallye.
Und Ihr Studium?
Zu Beginn meiner Rallye-Karriere machte ich viele kleine Schritte. Ich gewann die regionale Seat Panda Meisterschaft und mit Unterstützung der regionalen Händler die regionale Meisterschaft mit einem Renault 105 Turbo. Daraufhin kam das Renault Werksteam auf mich zu und fragte mich, ob ich für Renault Spanien in der Landesmeisterschaft fahren möchte. Das war mein erster Profi-Vertrag und ich musste mich entscheiden: Studium oder Rallye? Ich entschied mich für das Rallye-Fahren, auch wenn meine Zukunft ungewiss war und mein Vater mich lieber studieren gesehen hätte. Aber meine Eltern respektierten meine Entscheidung und unterstützten mich.
Sie sind zweifacher Rallye-Weltmeister, 1990 und 1992, und haben die Rallye Dakar bereits viermal mit verschiedenen Herstellern gewonnen. Ihr Bruder ist ja auch Rallye-Fahrer und ihr Sohn Carlos Sainz Jr. ist Formel-1-Rennfahrer bei Ferrari. Liegt der Motorsport in der Familie?
Ja, meine Kinder waren noch sehr klein, als ich in der Rallye-Meisterschaft aufhörte und in die Rallye Dakar einstieg und dort als erster Spanier gewinnen wollte. Sie interessierten sich auch dafür, aber ich drängte meine Kinder nie zum Rennsport. Ich wollte, dass Carlos Jr. beim Indoorkarting Spaß hat. Schon mit vier oder fünf Jahren begann er zu fahren. Es lag an ihm, ob er noch weitere Schritte gehen und ernsthaft in Meisterschaften antreten wollte. Als er elf Jahre alt war, nahm ich ihn zum Formel 1 Grand Prix von Spanien mit und er traf Fernando Alonso und Michael Schumacher und von da an wollte er immer weitermachen.
Sie haben die Rallye Dakar mit 61 Jahren zum vierten Mal gewonnen. Wie bereiten Sie sich auf so ein hartes Marathon-Rennen vor?
Wenn ich an die Rallye Dakar denke, dann denke ich an das Wort Respekt. Man muss das Rennen, die Herausforderung, vor allem die physische Herausforderung respektieren – und sich bestmöglich vorbereiten. Das darf man nicht unterschätzen. Man lernt die Disziplin, die Rallye Dakar, so gut wie möglich. In den letzten Jahren hat sich meine körperliche Vorbereitung dem Alter angepasst, aber die Vorbereitung auf das Rennen ist seit der Zeit bei Volkswagen gleich geblieben. Ich versuche mich in eine Verfassung zu bringen, fünf, sechs Stunden pro Tag voll zu pushen. Dafür muss auch das Auto ausgiebig getestet und eingestellt werden und dir Komfort und vor allem Selbstvertrauen geben.
Was waren die größten Herausforderungen dieses Jahr?
Die Herausforderungen sind mehr oder weniger immer die gleichen: Du brauchst ein starkes und verlässliches Auto. Die Etappen waren ziemlich lang, viele über 400 Kilometer am Stück. Es gab auch viele Etappen über Fels und Stein – ich hatte noch nie so viele Reifenpannen wie dieses Jahr. Eine Herausforderung waren also die Reifen. Dieses Jahr war die Konkurrenz auch besonders stark, es gab zwölf oder 13 mögliche Fahrer, die siegreich hätten sein können.
WIR WAREN CLEVER. UM DIE SCHNELLSTEN ZU SEIN, MUSS MAN WISSEN, WANN MAN VOLL PUSHT
Wie würden Sie Ihre Strategie beschreiben? Welches Wort fällt Ihnen dazu ein – Vorsicht oder Konsistenz?
Ich würde nicht sagen, dass Vorsicht das richtige Wort ist. Wir waren schneller, aber um schneller zu sein, darf man nicht vorsichtig sein. Das passendere Wort ist „clever“: Wir waren cleverer, wir hatten eine gute Strategie und haben an manchen Tagen vielleicht anders agiert als die Konkurrenz. Um die Schnellsten zu sein, muss man wissen, wann man voll pusht.
Welchen Unterschied machte der RS Q e-tron von Audi?
Dieser Sieg mit dem Hybrid-Auto von Audi ist wirklich etwas Besonderes, auf zahlreichen Ebenen. Viele Leute verstehen nicht, wie mutig Audi war, nicht nur ein Konzept-Auto mit dieser Technik zu bauen, sondern auch damit bei der Rallye Dakar 14 Tage lang anzutreten. Ich glaube, dass dieser Triumph, was hier erreicht wurde, erst im Lauf der Zeit noch mehr an Wert gewinnt.
Was fühlten Sie beim Zieleinlauf in Yanbu bei der letzten Etappe?
Ich fühlte eine ganz besondere Freude. Das gesamte Team wusste um den besonderen Aufwand und die Arbeit, die wir investiert hatten. Noch dazu war es die letzte Chance, mit Audi diesen Titel zu holen. Es ist auch ein sehr glückliches Happy End dreier langer, harter Jahre. Zu meiner Überraschung kam auch meine Familie am letzten Tag dazu und wir feierten alle gemeinsam. Das ist einer der Momente, die du als Fahrer niemals vergessen wirst.
Was steht noch auf Ihrem Programm für die Zukunft?
Es ist immer schwierig zu wissen, wann man aufhören soll. Ob man an diesem Zeitpunkt in der Karriere noch etwas wagen soll. Ich war bis jetzt mit jedem Projekt erfolgreich und ich würde gerne diesen Lauf beibehalten. Wenn ich etwas angehe, dann ernsthaft und mit dem Willen zum Sieg. Ich fühle mich körperlich sehr gut. Ich weiß aber auch, ich kann nicht ewig fahren. Ich erwäge gerade Optionen, welche Möglichkeiten und Projekte es für die Zukunft gibt. Und ansonsten genieße ich das Leben, spiele Golf, Padel-Tennis oder fahre Ski. Ich bleibe dem Motorsport immer verbunden – gerade auch durch meinen Sohn, dem ich stets mit Rat zur Seite stehe.
Und Oldtimer-Rallyes?
Sind eine Option, aber noch nicht!
Die härteste Rallye der Welt ist die Rallye Dakar. 1978 startete die erste Rallye und führte von Paris über den afrikanischen Kontinent in die Hauptstadt Senegals an der Westküste. Die Rallye wird – bis auf eine Absage 2008 – einmal jährlich ausgetragen. Der Austragungsort wechselte ab 2009 nach Südamerika. Seit 2020 findet die Rallye in Saudi-Arabien statt. Die 46. Ausgabe der Rallye Dakar führte mit zwölf Etappen über knapp 8.000 Kilometer Sand, Gestein, Schluchten und auch Asphalt. Rekordsieger mit 14 Siegen ist Stéphane Peterhansel – sechsmal mit dem Motorrad und achtmal mit dem Auto.