Joshua Hildebrand
· 06.09.2022
Seit vier Generationen heißt es nun schon: RS6 sells! Zeit, die letzten 20 Jahre des Power-Modells Revue passieren zu lassen … Kommen Sie mit!
Kurz nach der Jahrtausendwende steht bei der damaligen Quattro GmbH – heute die Audi Sport GmbH – die Frage im Raum, bei welchem Audi-Modell die Belegschaft eine sportliche Überarbeitung vornehmen könne. Nachdem es den RS4 bereits gab, fiel die Entscheidung schnell auf den A6.
Die erste Generation (C5) erhält 2001 ihre Produktaufwertung und gleichzeitig möchte Audi der oberen Mittelklasse mehr Leistung spendieren. Die Marke ist selbstbewusst und Motorsport steht hoch im Kurs. Das vor allem in Le Mans gewonnene Know-how fließt dank der Quattro GmbH aber nicht allein in Motor, Fahrwerk und Getriebe ein, sondern auch in die Karosserie. Vier Zentimeter wächst das erste RS-Modell des A6 in Länge und Breite. Neue Schürzen, breitere Schweller, ein Spoiler für den Avant, eine markante Abrisskante für die Limousine, größere Räder und zwei ovale Endrohre machen die sportlichen Ambitionen optisch präsent. Damit der modifizierte Achtzylinder des S6 (340 PS) mit neuer Biturboaufladung auch in den Vorderwagen passt, musste der Bauraum um vier Zentimeter vergrößert werden. Das Aggregat, das den ersten RS6 befeuert, bekommt nicht etwa in Ingolstadt oder Neckarsulm seinen Feinschliff, sondern in England. Der britische Motorenhersteller Cosworth, bis 2004 eine Tochter von Audi, zeichnet sich gemeinsam mit der Quattro GmbH für die beeindruckende Ausbeute von 450 PS und 560 Newtonmeter verantwortlich und setzt den RS6 damit an die Spitze des Segments. Leistungsstärker ist 2002 kein anderer Audi. Auch der damalige DTM-Audi des Abt-Teams bietet dieselbe Leistung.
Erstmals sorgt eine 5-Gang-Wandlerautomatik mit verkürzten Schaltzeiten in einem RS-Modell für die Gangwechsel. Das Sprintvermögen von null auf Tempo 100 in 4,7 Sekunden kann sich auch heute noch sehen lassen. Damit der erste RS 6, den es als Avant und Limousine gab, auch im Alltag funktionieren konnte, setzte Audi zudem auf das neu entwickelte Fahrwerk namens „Dynamic Ride Control“, kurz DRC. Dieses besteht aus Stahlfedern mit je zwei diagonal gegenüberliegenden hydraulisch gekoppelten Stoßdämpfern, die ohne Einsatz von Elektronik den Bewegungen des Fahrzeugaufbaus ohne Zeitverzögerung entgegenwirken. Beim Einlenken und Durchfahren einer Kurve wird die Dämpferkennung so verändert, dass die Bewegungen des Fahrzeugs um die Längsachse (Wanken) und um die Querachse (Nicken) deutlich reduziert werden – fortschrittlich! Als Krönung der ersten Baureihe folgte schließlich zum Abschluss noch eine Plus-Version mit 480 PS und einer Vmax von 280 km/h anstatt der bisherigen 250.
Die Krönung: Fünfliter-Biturbo-V10
Sechs Jahre nach dem ersten RS6 folgt 2008 Generation Nummer zwei. Audi steigert sich bei Leistung und Hubraum – klar. Und bei der Zahl der Zylinder: Zehn sollen es sein! Ein knapp 280 Kilo schweres Fünfliter-Aggregat, dass die Bayern von ihrer italienischen Tochter Lamborghini übernommen und mit einer Direkteinspritzung versehen haben. Für eine sichere Ölzufuhr setzt man auf eine Trockensumpfschmierung. Mit zwei Turboladern bringt es der damals stärkste Serien-Audi nun auf 580 PS und 650 Newtonmeter Drehmoment. Werte, die damals selbst einen R8 übertrafen. Mit einer neuen, modifizierten 6-Gang-Automatik erreicht die Plus-Version zum ersten Mal eine Höchstgeschwindigkeit von über 300 km/h. Nur etwa 4,5 Sekunden vergehen, bis Limousine und Avant bis 100 km/h aus dem Stand durchbeschleunigen. Dass diese Supersportwagen-ähnlichen Leistungsdaten auch eine entsprechende Bremsleistung voraussetzen, dürfte klar sein: Deshalb zieht optional auch die erste Keramikbremse (420-Millimeter-Scheiben vorn, 356 Millimeter hinten) in einen RS6 ein.
Für mehr Komfort im Alltag lässt sich das DRC-Fahrwerk nun gegen Aufpreis mit einer zusätzlichen Verstelleinheit am Stoßdämpfer ausstatten, die erstmals eine 3-stufige Einstellung bietet. Wie beim Vorgänger bleibt Audi auch beim C6 der dezenten Optik treu: Ausgestellte Kotflügel verbreitern den Wagen um nur insgesamt 3,5 Zentimeter, im Vergleich zum aktuellen C8 fallen die ovalen Abgasendrohre eher klein aus.
Leider bleibt es nicht lange bei der V10-Orgie: Bereits wenige Jahre später, 2013, verabschiedet man sich bei der Quattro GmbH schon wieder vom Zehn-Ender. Vermutlich auch, um das Gewicht des Flaggschiffs zu senken. So kommt bei der dritten RS6-Generation (C7) fortan wieder ein Achtzylinder mit vier Litern Hubraum und 560 PS zum Einsatz. Der seither kleinste Motor im RS6 sorgte zwar zunächst für Unmut in der Fangemeinde, die Leistungsfähigkeit wirkte aber besänftigend. Mit seinen 700 Newtonmetern Drehmoment und der neuen 8-Gang-Tiptronic braucht der C7 nur noch 3,9 Sekunden auf 100 km/h, das ist immerhin eine halbe Sekunde schneller als sein Vorgänger. Dazu zeigt das Kombiinstrument bis zu 305 km/h Spitze an – obwohl gleichzeitig der Verbrauch um volle 30 Prozent gesenkt werden konnte. Nicht nur aufgrund der Gewichtsreduktion von rund 120 Kilo dank des deutlich höheren Aluminiumanteils, sondern auch wegen der neuen Zylinderabschaltung, die den RS6-V8 bei geringem Lastabruf zum Vierzylinder macht. Außerdem sorgt nun ein serienmäßiges Luftfahrwerk für noch höheren Alltagskomfort, das sportlichere DRC-Fahrwerk gibt es auf Wunsch aber auch noch. Mit Auslaufen der C7-Baureihe wurde im Übrigen auch die RS6 Limousine eingestellt. Doch Ersatz stand bereits bevor: der flammneue RS7 Sportback.
2019, drei Jahre vor dem 20. Geburtstag des RS6, rollt schließlich Generation Nummer vier zu den Händlern. Der V8-Antrieb bleibt dem intern bezeichneten C8 erhalten, mit nun 600 PS und 800 Newtonmeter Drehmoment. Zum ersten Mal in seiner Geschichte bekommt der Powerkombi Unterstützung von einem 48-Volt-Mild-Hybrid-System, das die Effizienz weiter verbessert. Obwohl insgesamt etwas schwerer, setzt der RS6 Avant den Sprint auf 100 km/h in sensationellen 3,6 Sekunden um!
Eine neue Allradlenkung verbessert überdies die Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten, verbessert die Kurvenperformance und verringert den Wendekreis. Fallen die RS6 der vorherigen Generationen optisch eher dezent aus, so macht das aktuelle Modell so richtig auf dicke Hose: Die Karosserie wurde im Vergleich zum Brot-und-Butter-A6 um acht Zentimeter verbreitert, es können Matrix- LED-Scheinwerfer mit Laserlicht konfiguriert werden. Breiter und größer fallen die Räder und Reifen aus: 21 Zoll Durchmesser (275/35) sind Teil der Serienausstattung, satte 22 Zoll (285/30) stehen erstmals optional zur Verfügung.
Zwar ist der Audi RS6 mit seinen 600 PS alles andere als schmalbrüstig motorisiert, aber mit Hinblick auf die Oberklasse-Konkurrenz à la Porsche Panamera Sport Turismo Turbo S (630 PS) scheint es bei diesem Motor noch Luft nach oben zu geben. Wie wäre es rein traditionell mit einem neuen RS6 Plus? Nicht zuletzt beweisen der Lamborghini Urus und der Porsche Cayenne Turbo GT, welches Leistungspotenzial im V8-Biturbo des Konzerns steckt. Eine Legende stirbt eben nie …