Roland Loewisch
· 02.04.2020
„Rennfahrer“ ist noch immer ein Traumberuf für viele junge Menschen. Aber der Weg zum Profi ist hart – wie GUTE FAHRT beim erstmals erlaubten Blick hinter die Kulissen der Porsche-Junior-Sichtung feststellen konnte
Es ist ja nicht so, dass die Jungs noch nichts geleistet hätten. Manche sind erst 18 Jahre alt und der Bart ist noch ein Flaum, aber viele der maximal 23 Lenze zählenden Youngsters können erste Plätze, Top-Rookie-Wertungen, Number-One-Platzierungen im Porsche Supercup und sogar Gesamtsiege in nationalen Porsche Carrera Cups vorweisen.
Zum Beispiel der 21jährige Brasilianer Vitor Baptista: Er ist 2018 Champion im brasilianischen Carrera-Cup geworden. Ein Rennwochenende noch halbwegs erfolgreich absolvieren, und er könnte 2019 wieder Meister werden. Und was macht der Knabe? Er verzichtet auf das letzte Saisonrennen und lässt sich dafür lieber drei Tage lang in Portimao quälen – von Ärzten, Mentaltrainern, Renningenieuren und vor allem von Sascha Maassen.
Der Ex-Porsche-Werksfahrer ist Chefcoach bei der Porsche-Junior-Sichtung und hauptverantwortlich, wenn es darum geht, ein Jahr lang den weltweit besten Porsche-Nachwuchsfahrer unter seine Fittiche zu nehmen, mit Firmengeldern zu sponsorn und zum professionellen Rennfahrer auszubilden.
Denn jährlich werden ein bis zwei Plätze im Porsche-Juniorprogramm frei. Die Verantwortlichen der zehn nationalen Markenpokale (plus zwei Wildcards) dürfen dafür junge, erfolgreiche Rennfahrer melden. Allerdings dürfen sie wie bereits erwähnt nicht älter als 23 Jahre sein und müssen die jeweilige Rennserie unter den Top Fünf abgeschlossen haben.
Ein langer Weg
Den Sieger – und damit den neuen Porsche-Junior – erwarten 225.000 Euro Geldspritze für eine Saison im Porsche Supercup (das sind etwa zwei Drittel des benötigten Minimalbudgets), persönliche Betreuung durch Maassen an allen Renntagen, eine sportmedizinische und trainingswissenschaftliche Begleitung sowie Medienseminare, Mentaltrainings und die Einbeziehung in Marketing- und PR-Termine. Schließt der neue Junior die Saison ausgesprochen gut ab, kann er „Porsche Young Professional“ werden. Erst wenn er sich auch dort besonders profiliert, hat er die Chance, zum Werksfahrer aufzusteigen. Ein langer Weg, den aber zum Beispiel auch Timo Bernhard, Patrick Long, Michael Christensen, Dirk Müller und Earl Bamber bis zum Ende gingen. Bamber ist als Werksfahrer sogar Le-Mans-Gesamtsieger geworden.
Bis dahin müssen die zwölf Kandidaten aber noch einige Hürden bewältigen. Die Basis ist, das Junior- Shoot-Out in Portimao, Portugal, zu gewinnen. Ende 2019 ist ein einziger Platz zu vergeben – den bekommt derjenige, der den besten Gesamteindruck hinterlässt – bei den Doktoren, dem Mentalcoach, den Medialehrern, dem schriftlichen Porsche-Test, im persönlichen Gespräch und natürlich bei der Performance auf der Rennstrecke „Autódromo Internacional do Algarve“ mit den 485 PS starken 911 Carrera GT3 Cup-Rennern.
Stress-Situationen gehören zum Alltag
Abgesehen von den Rundenzeiten, die Porsche-Junior Julien Andlauer als momentan absolut schnellster GT3-Cup-Rennfahrer als Referenzzeit für die Aspiranten in den Asphalt brennt, ist die wohl schwierigste Aufgabe, vor einer Phalanx von Porsche-Verantwortlichen unter Führung von Maassen beim persönlichen Gespräch einen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen. So erzählt Baptista hier von seinem Meisterschaftsverzicht und seiner ihn voll unterstützenden Familie, dem Japaner Ukyo Sasahara (23) kommen fast die Tränen, als er davon berichtet, dass seine motorsportbegeisterte Mutter ihn nach dem japanischen Formel-1-Helden Ukyo Katayama genannt hat. Maassen und seine Prüfer fragen nach Wünschen, Sponsoren und Lebensplänen – falls es mit dem Junior werden nicht klappen sollte; nach Antworten, falls man gefragt werden sollte, ob man nicht als Rennfahrer die Luft überflüssigerweise verpeste; nach Schwächen und Stärken. Wer als Stärke von „Mutkurven“ prahlt, muss sich die Frage nach der Intelligenz gefallen lassen – je schlagfertiger der Prüfling reagiert, umso besser. Die Bewerber unter Stress zu setzen, passiert hier in Portimao immer und überall. Manche sorgen allerdings selber für problematische Momente – der Australier Jordan Love (20) macht sich zehn Kilo leichter, als er ist. Die 106 Kilo Lebendgewicht des Schweden Robin Hansson (22) sind nicht so schlimm, er fährt sehr schnell. Aber dass er mittags der einzige Proband ist, der sich eine Cola full flavour zieht, sehen die Juroren gar nicht gerne – alle anderen begnügen sich mit Wasser. „Mangel“ an Selbstdisziplin kommt nicht gut an.
Abschluss mit der Rennsimulation
Schließlich geht es jeweils zu viert auf die für alle unbekannte, anspruchsvolle Strecke. Jedem Fahrer stehen drei Reifensätze zur Verfügung, für die richtige Bremsbalance muss jeder selber sorgen. Die Rundenzeiten sind zunächst egal – es geht darum, durch gute Zusammenarbeit mit den zugeteilten Renn- und Dateningenieuren eine positive Lernkurve aufzustellen und am besten von Runde zu Runde schneller zu werden. Zwei Kameras im Auto beobachten Fahrer und Linie.
Wer mit allen vier Rädern im Gras landet, muss zwingend an die Box. Der Selbstbehalt bei Schäden beträgt 7.000 Euro – zumindest lässt Porsche die Prüflinge in diesem Glauben. Tatsächlich gibt’s im unwahrscheinlichen Falle einer Kaltverformung nur Schimpfe. Ganz wichtig: Die Track-Limits, also die Streckenbegrenzung, einhalten – Streckenposten kontrollieren das an bestimmten Stellen. Königsdisziplin ist schließlich die „Rennsimulation“, wo jeweils vier Fahrer gleichzeitig auf der Piste sind und eine Renndistanz absolvieren.
Nach drei Tagen Wettkampf werden die Jungs nach Hause entlassen, ohne das Endergebnis zu kennen. Das erste Fazit: kein einziger Kratzer an einem der Autos und ein sehr hohes Niveau der Kandidaten. Sieger ist der smarte Türke Ayhancan Güven (21) vom französischen Carrera Cup, der schon seit Jahren in diversen Rennserien Top-Ergebnisse liefert. Begründung: in allen fahrerischen Konzepten führend, bestes technisches Verständnis, konstante Leistungen, professionelles Verhalten in Sachen Interview und Medien, viel Potenzial. Er passt bestens in das von Maassen auf den Punkt gebrachte Anforderungsprofil: „Wir brauchen sympathische Leute. Letztlich müssen wir Rennen gewinnen und Autos verkaufen...“