WinterreifenReifenpflicht im Ausland – Verwirrung an der Grenze

Joachim Fischer

 · 09.11.2022

Winterreifen: Reifenpflicht im Ausland – Verwirrung an der GrenzeFoto: Hersteller, GF

Zugegeben, logisch erscheint das auf den ersten Blick nicht, wie unsere europäischen Nachbarn die Winterreifenpflicht handhaben. Mit unserer Übersicht sollte es an der Grenze aber möglichst keine Fragezeichen mehr geben

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Foto: Hersteller, GF

Stimmt schon, wir Autofahrer haben’s nicht leicht. Stets müssen wir aufmerksam sein, Gesetze und Vorschriften beachten. Besonders herausfordernd wird es, sobald wir in der kalten Jahreszeit Landesgrenzen passie­ren. Kommt dann noch Schnee hinzu, sollten wir ganz genau wissen, wel­ches Datum wir gerade haben und welche Reifen mit welchen Symbolen auf der Seitenwand wir fahren. Reicht M+S – oder doch dieses neumodische Schneeflockensymbol? Und ja, die Restprofiltiefe sollten wir auch geprüft haben. Und brauchen wir Schnee­ket­ten? Alles sehr kompliziert – kein Zwei­fel. Kleiner Tipp: diese GUTE FAHRT- Ausgabe ins Hand­schuh­fach legen und vor Reiseantritt nachlesen.


Winterreifenpflicht und Mindestprofiltiefe


Kurz zur „Einstimmung“ der aktuelle Stand in Deutschland (Oktober 2022): Bei uns gilt die „situative“, also witterungsabhängige Winterreifenpflicht. Das bedeutet, es gibt derzeit keinen fix vorgeschriebenen Zeitraum. Erst wenn Schnee-, Reif- oder Eisglätte sowie Schneematsch auftreten, müssen Winterreifen montiert sein. Verstößt ein Fahrer gegen diese situative Pflicht, muss er mit einer Strafe von 60 Euro rechnen, darüber hinaus gibt es einen Punkt in Flensburg. Wer gar bei winterlichen Verhältnissen mit Sommerreifen unterwegs ist und einen Unfall verursacht, zahlt ein Bußgeld in Höhe von 120 Euro – plus Punkt. Zudem fragt die Versicherung nach und geht von einer Mitschuld aus. Und Ganzjahresreifen? Bisher mussten diese nur das althergebrachte M+S-Symbol auf der Flanke tragen. Seit 1. Januar 2018 reicht das aber für Neureifen nicht mehr aus, sie müssen zusätzlich oder statt­dessen das Schneeflockensymbol – auch „Alpine“-Symbol genannt – führen. Für Reifen mit M+S-Stempelung, die vor dem 31. Dezember 2017 produziert wurden, gilt eine Übergangsfrist bis 30. Septem­ber 2024. Danach sind auch diese grundsätzlich verboten.

Österreich

Machen wir uns nichts vor: Die öster­reichische Winterreifen-Regelung dürfte sich nicht jedem Autofahrer sofort erschließen, um es diplomatisch auszudrücken. In der Alpenrepublik gilt wie in Deutschland zwar die „situative“ Winterreifenpflicht bei „winterlichen Fahrbahnverhältnissen“, hier jedoch konkret im Zeitfenster vom 1. November bis 15. April. Das heißt beispielsweise, wer am 18. November bei herrlichstem Novemberwetter und plus 16° C in die Alpenrepublik einreist, darf dies gerne mit Sommerreifen tun (wenn diese rundum mindestens 1,6 mm Restprofiltiefe haben). Liegt zwei Wochen später bei der Rückreise jedoch Schnee, sind 35 bis zu 5.000 (!) Euro fällig, wenn der Polizist am Straßenrand freundlich mit der Kelle winkt. Ein Winterreifen gilt übrigens nur dann als solcher, wenn er das Kürzel M+S, M.S. oder M&S trägt oder zusätzlich oder ausschließlich mit einem Schneeflockenlogo gekennzeichnet ist.

Wichtig zu wissen: Winterreifen müs­sen an allen vier Positionen mindestens 4 mm Profiltiefe vorweisen. Was aber ist am 16. April, also unmittelbar nach dem Ende des Pflichtzeitraums? Dann gilt die Winterreifenpflicht nicht mehr. Wer dann mit Sommerreifen auf verschneiter Bahn erwischt wird, ist also dem Gesetz nach „fein raus“. Wenn’s kracht, dürften Versicherung oder gar Staatsanwaltschaft das aber anders sehen und erfolgreich auf „grob fahrlässig“ plädieren ...

Alternativ zu Winterreifen ist es auch zulässig, Schneeketten auf mindestens zwei Antriebsrädern (und verwir­renderweise sogar auf Sommerreifen) einzusetzen – jedoch nur dann, wenn die Straße mit einer zusammenhängen­den oder „nicht nennenswert unterbro­chenen Schnee- oder Eisschicht“ be­deckt ist. Eine Schneekettenpflicht kann von den Kommunen jederzeit vor­geschrieben und durch ent-
spre­chen­de Verkehrsschilder an vorgela­gerten Verkehrsknotenpunkten oder auch erst am Beginn der Passstraße angezeigt werden. Es dürfen nur nach ÖNORM* V5117 bzw. V5119 zertifizierte sowie EU-genehmigte Schneeketten montiert werden. Noch einmal zur Wiederholung: In Österreich dürfen Sie trotz Schneekettenpflicht dann keine Schneeketten anlegen, wenn die Schneedecke nicht durchgehend den Asphalt bedeckt. Das Metall der Ketten könnte sonst den Asphalt beschädigen. Beispiel: Ist die Fahrspur nach wenig Schneefall wieder durch den Verkehr freigefah­ren, gilt die Situation zwar als „winterliche Fahrbedingung“ – das Fahren mit Schneeketten ist dennoch trotz Schneekettenpflicht verboten. Das versteht so mancher nicht-österreichi­sche Verkehrsteilneh­mer eher nicht sofort. Autofahrer in Österreich, deren Fahrzeug auf Sommerreifen plus Schneeketten fährt, müs­sen ihr Fahrzeug in solch einem Fall stehen lassen. Ganz klar: Das zwar rechtlich teils zulässige Fahren im Winter mit Sommerreifen soll durch solche Vorschriften völlig unattraktiv gemacht werden.

Ganzjahresreifen wiederum dürfen dann als alternative Winterreifen ver­wendet werden, wenn sie eine der drei oben genannten M+S-Kenn­zeich­­nungen haben. Paradoxerweise hat das M+S-Symbol in Österreich somit noch eine sehr dominan­te Be­deutung, während es bei uns längst durch das Schneeflockensymbol im Berg-Piktogramm ersetzt wurde. Dennoch findet sich das alte M+S- Logo weiterhin auch auf neuen Rei­fen im Handel. „Alles klar, Herr Kom­missar?“, hätte Falco wohl gesungen.

Frankreich

Zwischen dem 1. November und dem 31. März gilt eine ununterbrochene Winterreifenpflicht für ausgewiesene Bergregionen – also die Alpen, Voge­sen, Pyrenäen, das Zentralmassiv und auch die Insel Korsika. Zudem haben sich 48 Departements (meist solche mit Wintersportzentren) dieser Regelung angeschlossen. Spezielle Verkehrsschilder können fallweise auch andere Regionen einschließen. Wer dort ohne Wintergummis erwischt wird, zahlt 135 Euro und – was weitaus schwerer wiegt – darf nicht wei­ter­fahren. Diskussionen mit der örtli­chen Polizei sind meist zwecklos, im schlimm­sten Fall ist der Urlaub in die­sem Moment zu Ende.

Andererseits ist es theoretisch möglich und zulässig, in der genannten Win­terreifenpflicht-Kernzeit auf Sommerreifen zu fahren – wenn man nur geschickt genug den zahlreichen in­dizierten Routen ausweicht. Doch wer würde sich wohl dieses Zickzack- Fahren bei der Durchreise antun?

Oft schreiben die einzelnen Regionen oder Passstraßen den Einsatz von Schneeketten vor, erkennbar an einem blauen Schild mit kettenbewehrtem Reifen. Befindet sich unter diesem Schild ein zweites weißes mit der Aufschrift „Pneus à neige admis“, dürfen Durchreisende aufatmen: Hier reichen Winterreifen trotz des Ketten- vorschreibenden Schilds aus. Wichtig: Schneeketten dürfen wie auch in Österreich nur auf wirklich schneebe­deckten Fahrbahnen benutzt werden. Unter Umständen müssen Autofahrer also mehrfach hin- und herwechseln, am besten auf den dafür vorgesehenen Wechselbuchten oder -plätzen.

Ganzjahresreifen gelten dem aktuellen Gesetzestext zufolge als Quasi- Winterreifen und sind somit auch im ge­nann­ten Winterpflichtzeitraum zulässig, wenn sie das alte M+S-Symbol oder in Kombination das neuere Schneeflockensymbol auf der Seiten­wand führen. Ab 1. November 2024 ist für Winter- und Allwetterreifen dann das bekannte Schneeflockensymbol sogar verpflichtend. „Nur M+S“-Pneus sind ab diesem Stichtag nicht mehr zulässig. Die gesetzlich vorgeschriebene Mindestprofiltiefe beträgt in Frankreich bei Winter­reifen übrigens 3,5 mm.

Schweiz

Kaum zu glauben: Im Land der höchsten Pässe und Berge gibt es keine gesetzlich festgeschriebene Winter­reifenpflicht. Dennoch gilt, dass sich Autofahrer „an die Wetterverhältnisse anpassen und bei Schnee und Eis auf Winterreifen umsteigen müssen“. In der Konsequenz dürfen Schweizer Straßen also auch mit Ganzjahr- esreifen befahren werden. Wer in ber­gige Regionen fährt (und Flachland ist in der Schweiz eher die Aus­nahme), sollte ohnehin auf Winterreifen umsteigen. Denn kommt es wegen „ungeeigneter Bereifung“ zu Verkehrsbehinderungen, drohen Geldbußen. Und bei Unfällen mit Sommerreifen auf winterlichen Straßen droht erhebliche Mithaftung. Ein Schneekettenzwang kann für be­stimm­te Strecken mittels gesonderter Beschilderung angeordnet werden.

Italien

Die Winterreifenpflicht ist in Italien weder einheitlich geregelt noch gilt sie in allen Landesteilen. Vielmehr wird sie von den einzelnen Provinzen in­dividuell geregelt und terminlich fixiert, nicht selten auch sehr kurzfristig. Winterreifenpflicht in Italien bedeutet also vor allem, sich mit den Reise­zielorten und den dort geltenden Be­stimmungen auseinanderzusetzen – das kann schon mal spannend werden ... Winterreifenpflicht wird manchmal durch Schilder angezeigt und manchmal nicht. In Südtirol wenigstens herrscht Klarheit: Dort und auf der Brennerautobahn A22 bis Affi gilt die allgemeine Winterrei­fenpflicht vom 15. November bis 15. April des Folgejahrs. Im Aostatal hin­gegen herrscht diese bereits vom 15. Oktober bis zum 15. April. Wer sich nicht daran hält, muss mit Bußgeldern bis zu 345 Euro rechnen.

In Italien dürfen Reifen bis 1,6 mm abgefahren werden. Was sie nicht dürfen, ist den im Fahrzeugschein angegebenen Geschwindigkeitsindex zu unterschreiten. Jedoch gestehen die Behörden eine Ausnah­me in den Wintermonaten (15. Okto­ber bis 15. Mai) zu: In diesem Zeitraum dürfen auch Reifen mit einem niedrigeren Geschwindigkeitsindex verwendet werden (z. B. T=190 km/h, obwohl das Auto 240 km/h schnell fahren kann), wenn sich ein entsprechender Geschwindigkeitsaufkleber im Sichtfeld des Fahrers befindet. Das wiederum kennen wir ja.

Erwähnenswert ist, was den umge­kehr­ten Fall betrifft, also den Betrieb von Winterreifen im Sommer. Italien ist bisher das einzige EU-Land, das sich zu diesem Thema überhaupt äußert. Viele Autofahrer interpretieren die Vorschrift als generelles Winterreifenverbot ab dem 16. April. Was aber gar nicht stimmt. Richtig ist: In den Sommermonaten (16. Mai bis 14. Oktober) dürfen in ganz Italien sehr wohl Winter- oder Ganzjahresreifen eingesetzt werden, wenn deren zugelassene Höchstgeschwindigkeit mindestens der des Fahrzeugs entspricht. Es handelt sich also um eine Einschränkung, keineswegs um ein Verbot. Ob diese Regelung allerdings sinnvoll ist in einem Land, in dem ohne­hin maximal 130 km/h schnell gefahren werden darf, sei dahingestellt. Davon abgesehen: Es ist grund­sätzlich sehr unvernünftig, Winterrei­fen im Sommer zu fahren – egal in wel­chem Land, egal wie schnell.


GUTE FAHRT Tipp:

Liebe Autofahrer, auch wenn sich der Sinn der einen oder anderen Regel nicht sogleich erschließt: Tun Sie sich den Stress nicht an und beherzigen Sie folgende Ratschläge: Kaufen Sie nur neue oder neuwertige Winter- oder Ganzjahresreifen mit dem Schneeflockensymbol. Und die Profiltiefe sollte rundum bis Fahrtende/Winterende mindestens 4 mm betragen. Das genügt schon, um unbehelligt durch alle europäischen Länder zu kommen. Wer ganz auf Nummer Sicher geht, legt sich noch passende Schneeketten in den Kofferraum.