Nachruf auf Ferdinand Piëch - Stratege, Kauz und Enthusiast

Unbekannt

 · 18.09.2019

Nachruf auf Ferdinand Piëch - Stratege, Kauz und EnthusiastFoto: Stefan Bau

"Sind Sie schon mal mit Schuhen geschwommen?" Der Nachruf eines jahr­zehntelangen Wegbegleiters auf Ferdinand Piëch

Was bleibt eigentlich nach dem Tod eines großen Mannes? Eines genialen, kämpferischen, erfolgreichen Automo­bil-Managers wie Ferdinand Piëch? In erster Linie natürlich die Bewertung seines Lebenswerks, das grandios und ziemlich beispiellos ist. Es gab Zei­ten, da verließ Piëch Tischrunden gern mit dem wie­ne­rischen Spruch: "Ich bitte um eine gute Nachrede." Die ist ihm gewiss. Vor allem in der Region Braunschweig und Wolfsburg, die er so vielfach bereichert hat – etwa durch den Bau der Autostadt.

Foto: Stefan Bau

Bei seinem Amtsantritt in Wolfsburg 1993 sah alles ziemlich düster aus. Der VW-Konzern balancierte am Abgrund. Eines Abends, aus dem Büro kommend, sag­te Piëch damals zu seiner Frau Ursula: "Ich weiß nicht, ob wir in zwei Monaten die Löhne noch zahlen können." Die Katastrophe konnte abgewendet werden. Und 2002 beim Ausscheiden von Piëch, der das Unternehmen gründlich umgekrempelt hatte, stand VW so glänzend da wie nie zuvor. Der größte Konzern der Welt gewann an Kontur – mit dem Zentrum Wolfsburg.

Im Bewusstsein bleiben vor allem die vielen Geschichten und Anekdoten um Piëch. Etwa diese: Einmal setzte der VW-Jet im Gewittersturm an der US-Küste zur Lan­dung an. Das Flugzeug wurde über dem Meer hoch- und runterge­schleudert. Piëch zog sich die Schuhe aus. Ein Mitarbeiter fragte: "Wir landen doch gleich. Wieso ziehen Sie denn die Schuhe aus?" Darauf Piëch: "Sind Sie schon mal mit Schuhen an den Füßen geschwommen?" Ja, ich weiß, ich habe diese Episode schon mal erwähnt. Aber sie verdeutlicht auf banale Weise, was diesen Mann auch auszeichnete: Er dachte wie ein Schachspieler stets drei, vier Züge voraus. Vorbereitet sein, planen. Das war es. "Warum habe ich immer ein Messer in der Tasche?" Antwort: "Wenn ich mich im Auto mal überschlage und im Graben liege, kann ich die Gurte durchschneiden."

Zu Piëchs 70. Geburtstag zierte die Einladungskarte ein Spruch des Schriftstellers Ödön von Horváth: "Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu." Nanu? Der Mann mit den stahlblauen Augen, der als "eisiges Machtpaket", als "gnadenloser Siegertyp" oder als "Rottweiler der Motorwelt" dargestellt wurde – der konnte auch anders sein? Ja. Fröhlich, lachend, Witze erzählend. So habe ich ihn oft erlebt. In Genf oder in seinem (früher) bevorzugten Salzburger Lokal "Purzelbaum". Einmal, am Wörthersee, chauffierte er mich in seinem Motorboot am Ufer entlang und sagte plötzlich: "Kennen Sie eigentlich meinen Bauern­garten?" Und dann schritten wir – er mit Strohhut – durch eine kleine Pforte in einen blühendes Pflanzenge­wirr. "Das sind meine Cosmeen," sagte er "und hier ha­ben wir Sonnenbraut." Er nun! Und dabei pflückte er mir Himbeeren und steckte sie in ein Bastkörbchen, das er am Arm trug. Piëch konnte sich für vieles begeis­tern. Für Gärten, Segelboote, für seine italienische Schin­ken-Schneidemaschine, für KTM- und Ducati-Motorräder. Von Autos will ich hier gar nicht reden – natürlich ist die Piëchsche Tiefgarage exquisit gefüllt. Bugatti, Ferrari, Bentley. Porsche habe ich nicht gesehen.

Es bleiben in der Erinnerung auch Piëchs dürre Zitate, die bei ihm – der nie zu den großen Rednern zählte – oft besonders treffend, aber auch besonders kryptisch waren. Beispiel: "Da gibt es einen in Wolfsburg, der zündelt gern." Oder: "Der Ahnungslose aus Stuttgart hat wieder ein Statement abgegeben." Wenn man nicht gleich drauf kam, half er etwas nach, aber Namen nann­te er selten. Einmal doch. "Die Pläne des Herrn Wiede­king haben unsere Familie eine Milliarde gekostet. Wirft uns nicht um. Ist aber doch viel Geld." Klare Botschaften an die Führungskräfte waren seine Waffe. Et­wa beim Amtsantritt als Audi-Chef in Ingolstadt: "Mit einem Drittel von Ihnen bin ich zufrie­den. Das zweite Drittel muss sich anstren­gen. Vom Rest muss ich mich wohl leider trennen."

Über viele Jahre habe ich Ferdinand Piëch be­obachtet, begleitet, erlebt und zahllose Gesprä­che mit ihm geführt. In Detroit oder Genf, in Tokio oder Frankfurt, in Paris, auf Sizilien oder in Katar, in Le Mans und sonst­wo. Einmal chauf­­fierte er mich die Gaisberg-Rennstrecke hinauf. Und zwar derart vehement, dass ich Sorgen bekam: "Wenn nun hier Radar steht." Seine Antwort: "Es ist Samstagmittag. Und es regnet. Da geht kein Gendarm raus." Als wir 2012 mal in seinem Salzburger Büro saßen und ein paar Einzelheiten meines Buches "Porsche & Piëch" besprachen, fragte ich: "Wie kann man eigentlich unser beider Verhältnis beschreiben?" Piëch blickte sinnend aus dem Fenster, vor dem die Hochwasser führende Salzach schäumte und sagte bedächtig: "Uns verbindet eine gegenseitige Wohlgesonnenheit." Schön ausgedrückt. Es war wohl so. Ich weiß nicht, ob Piëch enge Freunde hatte. Duzen tat er sich ohnehin mit kaum jemandem. Piëch: "Der Einzi­ge, der mir mal das Du anbot, war Dr. Hahn. Aber ich bat ihn, diese Ehre ausschlagen zu dürfen." Sicher ist, dass Ehefrau Ursula (63) seine beste Beraterin war. Mehr noch: Ohne sie, die er 1984 heiratete, wäre seine Kar­riere wohl nicht so erfolgreich verlaufen. Ihre anstecken­de Fröhlichkeit, ihre Kommunikationsbegabung und Men­schenkenntnis haben ihm enorm geholfen.

Die Entscheidung des Familienrates

Man kann Piëch nicht skizzieren, ohne nochmals seinen Familienverband (und dessen Kämpfe) zu erwähnen. Alles begann ja mit Ferdinand Porsche, der einst das Volkswagenwerk aufbaute und technische Glanzlichter zündete wie das erste Hybrid-Auto der Welt (1899), den legendären Auto-Union-Rennwagen und den VW-Käfer. Als Professor Porsche 1951 starb, wies sein Testa­ment eine Besonderheit auf: Es bestimmt nicht Sohn Ferry, den Ingenieur, zum Haupterben, sondern gab ihm und dessen Schwester Louise Piëch (geborene Porsche) genau die gleichen Anteile. Jeweils 50 Prozent! Zündstoff genug, zumal sich Louise als wesentlich klüger erwies als ihr Bruder.

Die Probleme eskalierten, als Anfang der 1960er-Jahre einige der En­kel-Generation (vier Porsches, vier Piëchs) ins Unternehmen drängten. Von den Enkeln erwies sich einer als besonders fähig. Hochintelligent, durchsetzungsfähig, erfinderisch: Ferdinand Piëch, wohl begünstigt mit den Konstrukteurs-Genen des Großvater Porsche. Doch die vier Porsche- Jungen hintertrieben, dass "Ferdl" Piëch die Firma Porsche führen soll- te. Es gab ständig Ärger, zumal der verheiratete Piëch einem seiner Por­sche-Cousins auch noch die Frau wegangelte (und unehelich drei Kinder mit ihr hatte)! Aber Piëch ver­schaffte der winzigen Sportwagenschmiede durch tolle Konstruktionen (Carrera 6, Porsche 908, 909, 917) und glänzende Rennsiege (WM-Titel und Le-Mans-Sieg 1970) Weltgel­tung. Allerdings bezeichnete er spä­ter den Bau "seines" 1000 PS starken 917-Renners als "größtes Risiko meines Lebens". Sportlich gesehen. Und geschäftlich.

Wie auch immer: Der Familienrat ent­schied, dass künftig nur noch externe Manager Porsche führen sollten. Ferdinand Piëch musste gehen. Sicher eine Kränkung. Doch er zeigte es allen. Erst arbeitete er sich zum Audi-Chef hoch, dann zum Chef von VW. Ursula Piëch war zuerst ängstlich: "Vielleicht derschlägt‘s uns da oben." Da oben – das war für das Ehepaar zunächst eine Art "Sibirien". Als ich die Piëchs, die zuletzt in Braunschweig am Wilhelmitorwall wohnten, später mal nach "Sibirien" fragte, war das Vorurteil längst weg: "Es waren neun wunderbare Jahre in Braunschweig. Nette Menschen, schöne Stadt. Unsere Kinder sind hier aufgewachsen. Die besten Jahre die wir je hatten."

Foto: Stefan Bau

Ferdinand Piëchs Jugend war schwierig gewesen. Der Vater starb früh, die Mutter Louise rackerte in Salzburg im Autogeschäft und der Knabe "Ferdl" (da Sitzenbleiber) kam auf ein hartes Elite-Internat in Zuoz (Engadin). Das hat ihn, den Legastheniker, hart, misstrauisch, kämp­ferisch gemacht. Eine Schule fürs Leben. Da waren seine Porsche-Verwandten ganz anders geprägt. Piëch: "Ja, ja, die Waldorf-Schüler. Singen, stricken, häkeln." Die Kluft zwischen ihm und der "weich gespülten" Porsche-Verwandtschaft blieb groß.

Als nach hartem Ringen zwischen 2010 und 2012 Porsche-Chef Wendelin Wiedeking versuchte, mit einer extrem gewagten Finanz­aktion den Giganten Volkswagen zu schlucken, vereitelte Piëch, der Aufsichtsratsvorsitzende, im Schulterschluss mit dem VW-Betriebsrat Osterloh diese Übernahme und kehrte den Spieß um. VW kaufte Porsche und gliederte die traditionsreiche Sportwagenmarke nun in den Wolfsburger Konzern ein. Die Porsches – vor allem ihr "Anführer" Wolfgang Porsche – haben Piëch diesen Schachzug nie vergeben. Doch der wunderte sich darüber: "Was wollen die eigentlich? Vorher waren sie Millio­näre. Jetzt sind sie Milliardäre."

Als wir mal am Polarkreis bei VW-Wintertests in Arvidsjaur am offenen Feuer in einem Zelt saßen, habe ich Piëch gefragt: "Haben Sie viele Fehler gemacht?" Seine Antwort: "Ein paar. Aber wenn 75 Pro­zent der Entscheidungen richtig sind, ist man immer noch gut. Man muss nur schnell entscheiden."

Im Frühjahr 2015 fiel der Piëch-Satz: "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." Und Ende April auf dem Braunschweiger Flughafen legte Piëch den VW-Aufsichtsratsvorsitz nieder. Vorausgegangen waren harte Angriffe seiner Kollegen im Aufsichtsrat (Weil, Osterloh, Huber) wegen Piëchs Attacken gegenüber Winterkorn. Schon länger sah Piëch sein einst so enges Verhältnis zu Winterkorn ("Der beste Manager der Welt") als gestört an. Piëch monierte die "Arroganz" im VW-Hochhaus, auch die "Fuß­ball-Sucht", und er fühlte sich von wichtigen Technik- Informationen abgeschnitten. Monate nach Piëchs Rück­tritt verursachte der Diesel-Betrug weltweit Schlagzeilen. Man darf spekulieren, ob mit Ferdinand Piëch an der Spitze diese Katastrophe anders abgelaufen wäre. Frühzeitig "die Hände heben", mit den Amerikanern kooperie­ren und sie nicht "für dumm" verkaufen, vor al­lem nichts vertuschen. Das wäre das richtige Rezept gewesen – so das Zitat eines Insiders. Und weiter: "Das hätte 500 Mil­lionen gekostet. So werden es vielleicht 50 Milliarden."