EINS VORWEG: GTX IST KEIN GTI. ABER DER BESSERE ID.3?
Elf kW Leistung, drei Zehntelsekunden von null auf 100 und 70 km/h bei der Höchstgeschwindigkeit. Das trennt auf dem Papier den VW ID.3 GTX vom Golf GTI Clubsport. Schon am Start ein ungleiches Rennen also, bei dem der elektrische Kompakte den Kürzeren ziehen dürfte. Doch der ID.3 GTX hat das gewisse Etwas in sich. Wer sich hinter das Steuer des E-Autos setzt, merkt schnell: Dieser Leistungssportler hat einiges im Köpfchen. Und das macht Laune.
Für die Probefahrt sollte man den GTI als Referenz in der Garage lassen. Das gibt dem ID.3 GTX mehr Raum zur Entfaltung eigener Stärken. Wie zum Beispiel seine Liebe zur Sonneneinstrahlung. Die optionale Kings-Red-Metallic-Lackierung in Kombination mit dem schwarzen Dach zieht durch das entstehende Lichtspiel auf der Karosserie Blicke auf sich. Dezente, aber durchaus sportliche optische Details sorgen für Charakter: wie die im Vergleich zum bekannten ID.3 sportlichere Front mit Rautendesign. Die dort in Pfeilform angeordneten Tageslicht-LEDs blitzen künftig in vielen Rückspiegeln wohl nur kurz auf. Andere Verkehrsteilnehmende sehen wohl die serienmäßigen 20-Zoll-Felgen und das Heck des GTX mit neuem Diffusor – nach einem geordneten Überholmanöver, versteht sich.
Wer dafür das Gaspedal in Richtung Straße stößt, wird vom GTX mit einem kräftigen Schub aus der Hinterachse belohnt. Bei einer Spritztour auf der A 24 von Hamburg zum UNESCO-Biosphärenreservat Schaalsee zeigte sich der Kompakte Kopf an Kopf mehr als souverän: Die Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung im Blick, die Autobahn frei, ein Kombi schließt langsam auf. Bevor dieser zum Überholmanöver nach der Aufhebung der 130er-Begrenzung ansetzen kann, zieht der Elektro-Kompakte bei durchgedrücktem Gaspedal links von dannen. Mit dem festen Druck in den GTX Sportsitz hinein erfährt man einen beachtlichen Geschwindigkeitsrausch und kommt schnell auf 180 – dann ist aber auch Schluss in Sachen Tempo, denn hier regelt die Software ab. Und manch ein Pendlerauto schließt auf.
Das sportliche Fahren hat seinen Preis. Auf einer Distanz von etwa 100 Kilometern haben wir den Akkustand von 75 auf 30 Prozent gebracht – im Schnitt verbrauchten wir bei der sportlichen Tour 24 kWh auf 100 Kilometer, netto bietet die Lithium-Ionen-Batterie 79 kWh. Allerdings waren alle Assistenzsysteme und die Klimaanlage aktiv. Zudem musste das Soundsystem zeigen, was es kann. Sitz- und Lenkradheizung waren dafür aus. Zum Laden fanden wir in der Nähe der Autobahn eine Schnellladesäule auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Der GTX lässt bis zu 185 kW Ladeleistung zu. Nach einem kurzen Einkauf, einem netten Gespräch an der Ladesäule und knapp 35 Minuten Ladezeit steht der ID.3 GTX wieder bei 100 Prozent – 80 Prozent nach rund 20 Minuten hätten natürlich ausgereicht.
Wer sich vorher mit den Fahrprofilen des E-Flitzers befasst und weniger intensiv mit dem Gaspedal spielt, wird sicher näher an die von VW angegebene WLTP-Reichweite von 604 Kilometern kommen. Bei ausgewogener Fahrweise und dem einen oder anderen sportlichen Manöver sollten im Schnitt 450 Kilometer von 90 bis zehn Prozent problemlos möglich sein. Neben dem Profil Sport für die kleine Adrenalinspritze zwischendurch gibt es Eco für alle, die es gemütlich und sparsam angehen lassen. Dazwischen liegt Comfort, zudem können sich mit Individual all diejenigen austoben, die das Feintuning gern selbst in die Hand nehmen. Das ausgewählte Fahrprofil zeigt auch die Farbe der passiven Beleuchtung im Innenraum an. Die Fahrprofile lassen sich jederzeit wechseln – auch mittels IDA, der Sprachassistentin von VW.
Spricht man „Hallo IDA“ aus, wird die Assistentin aktiviert. Dann lassen sich alle Funktionen des Autos, von intelligenten Fahrhilfen über Klimaanlage bis Radio, einstellen. Oder man lässt sich auf eine kleine Sightseeing-Spritztour entführen. IDA kann zum Beispiel Wikipedia-Einträge von nahe gelegenen Sehenswürdigkeiten vorlesen. Dies ist möglich, da VW ChatGPT in seine Infotainment-Systeme integriert. Das eignet sich auch, wenn auf dem Weg zur Wandertour in die Lüneburger Heide eine Regenfront aufzieht. IDA bringt dann durch eine Anfrage an ChatGPT die Öffnungszeiten eines Museums in der Nähe in Erfahrung.
Wer Android Auto gewohnt ist, kann auch diese App via Smartphone-Kopplung nutzen. Dann kann man abwechselnd mit „Hallo IDA“ oder „Hey Google“ die jeweiligen Systeme ansprechen und sich per Onboard-Navi oder Google Maps ans Ziel führen lassen. Am Ende ist das eine reine Geschmacksfrage. IDA hat allerdings den Vorteil, die Fahrzeugfunktionen steuern zu können. Und auch wenn das Infotainment-System von VW durch die neue Gestaltung insgesamt aufgeräumter anmutet, ist die Nutzung des 12,9 Zoll großen Touchscreens während der Fahrt riskanter als eine schnelle Frage an die Assistentin.
Im Innenraum des GTX fällt nicht nur der im Vergleich zum normalen ID.3 größere Screen auf. Auch das Multifunktionslenkrad bettelt mittels Rennsport-Allüren um Aufmerksamkeit. Die bekommt es auch allein durch die rote Applikation mit GTX Schriftzug an der Unterseite. Das im Testwagen verbaute Interieurpaket „Plus“ liefert unter anderem beheizbare ergoActive-Frontsitze mit Massagefunktion, Ambientebeleuchtung und ein Augmented-Reality-HUD. Etwas Romantik lässt das optionale Panoramaglasdach zu: Wer das in einer klaren Herbstnacht öffnet, kann sich mit Massagesitz und Wellness-App des Infotainment-Systems zurücklehnen und den Sternenhimmel genießen.
Im ID.3 GTX hat sich VW wie im ID.7 dafür entschieden, den Wählhebel an das Lenkrad zu klemmen. Das sorgt für mehr Harmonie beim Blick auf die Armaturen. Mit dem Schalter am Digital Cockpit hat der eine oder die andere vormals etwas gefremdelt. Harman Kardon steuert das im Ausstattungspaket enthaltene Lautsprechersystem bei. Audiophile können per Equalizer ihre Hörvorlieben ausreichend gut einstellen und per Fokuspunkt entscheiden, auf welchen Bereich des Innenraums der Sound ausgerichtet sein soll.
Insgesamt fühlt man sich im GTX Fond an jeder Stelle gut aufgehoben. Mit induktiver Lademöglichkeit und vier USB-C-Steckern in der Mittelkonsole haben alle Passagiere jederzeit Zugriff auf Energie. Das Platzangebot hat sich im Vergleich zum ID.3 nicht verändert, das gilt auch für das Ladevolumen. Die hochwertige Haptik ist ebenfalls bekannt, optisch runden rote Ziernähte den sportlichen Anstrich des GTX ab.
Eingefleischte Golf GTI Fans, die das Spiel mit Gas, Kupplung und Drehzahl lieben, wird wohl selbst der spritzige ID.3 GTX nicht auf den ersten Blick überzeugen. Wer aber offen für E-Flitzer ist und gleichzeitig den Fahrspaß nicht missen will, sollte eine Spritztour wagen. Vielleicht entsteht neue Liebe auf den zweiten Blick. Was diese Liaison dann kosten würde? Nun, für den GTX setzt VW mindestens 47.225 Euro an, den günstigsten Standard-ID.3 gibt es zum Vergleich aktuell ab 33.330 Euro. Wer die Philosophie „Mehr ist immer besser“ verfolgt und die Scheine für den Kaufpreis ab 48.725 Euro übrig hat, wird sicher mit dem GTX Performance glücklich. Der hat mit 240 kW noch mehr unter der Haube – respektive an der Hinterachse – als sein Zwilling und regelt erst bei 200 km/h ab. Mit der Beschleunigung von 5,7 Sekunden auf 100 km/h wird so zumindest das Drag-Rennen mit dem GTI Clubsport (5,6 Sekunden) ein Duell auf Augenhöhe.