Florian Neher
· 06.06.2023
Der„Große Karmann“ ist ein verhuschtes Wesen, in freier Wildbahn nur äußerst selten zu beobachten. Von 1961 bis 1969 als Auftragsarbeit für Volkswagen bei Karmann in Osnabrück gefertigt, fand der entfernt an einen Chevy Corvair erinnernde Typ 34 längst nicht die Verbreitung seines kleinen Bruders, des gefälligeren, leicht barocken Typ 14. Dem war von 1955 bis 1974 ein wesentlich längeres Leben beschieden, und während der populäre kleine Karmann Ghia zum festen Repertoire eines jeden anständigen Oldtimer-Treffens zählt, muss man schon großes Glück haben, auch mal einen Typ 34 zu sehen, schließlich wurden nur gut 42.000 Coupés gebaut. Zum Vergleich: Vom Typ 14 konnte Volkswagen mehr als zehn mal so viele verkaufen. Dass einem allerdings ein Typ 34-Cabriolet vor die Linse läuft, ist ungefähr so wahrscheinlich wie ein Lottogewinn zu Ostern.
Etwa ein Dutzend Cabrios sollen damals in Osnabrück produziert worden sein, wovon heute eines im nicht öffentlichen Karmann-Werksmuseum vor sich hin döst, während ein zweiter Prototyp die Sammlung von Volkswagen Classic bereichert und ab und zu bei Oldtimer-Rallyes auf die Straße darf. Also Ende der Geschichte? Nicht ganz. Anfang der 1980er-Jahre, als der Typ 34 schon wieder aus dem Straßenbild verschwunden war, ohne es jemals nennenswert geprägt zu haben, trat die Firma „Lorenz Karosserie + Lack“ aus Wetter an der Ruhr auf den Plan. Der auf Karosserie- und Lackierarbeiten spezialisierte Kfz-Betrieb (den es übrigens heute noch gibt: www.lorenz-kfz.com) nahm sich ab 1980 einiger Typ 34-Coupés an und baute sie zu Cabriolets um. Da es sich bei den Fahrzeugen in der Regel um mehr oder weniger stark bespielte Gebrauchtware handelte, ging der Aufschnitt bei Lorenz vielfach mit einer Komplettrestaurierung einher. Die für den Umbau zum Cabrio notwendigen Versteifungen im Chassis etwa wurden daher oft unsichtbar in die Schweller integriert, da diese ohnehin meist durchgerostet waren und gleich komplett erneuert wurden.
Nicht so bei unserem 1963er Fotomodell von Carsten Klein: Die Blechsubstanz war zum Zeitpunkt des Umbaus anno 1988 offenbar noch so gut, dass man bei Lorenz die versteifenden Stahlprofile gut sichtbar unter die intakten Schweller setzte. Zu den weiteren Umbaumaßnahmen, die übrigens ganz akkurat in die Fahrzeugpapiere eingetragen sind, zählen der verstärkte
Frontscheibenrahmen und eine Querstrebe hinter den Rücksitzen. Tatsächlich ist das Cabrio dadurch sehr steif und verwindungsarm. Unbezahlbar im doppelten Sinne die Rechnung von 1988: Lorenz rief straffe 11.576,33 DM auf – dafür bekam man damals fast einen Basis-Polo. Und dass der Original-Beleg noch vorhanden ist, rundet die Historie dieses Exemplars perfekt ab.
Besitzer Carsten Klein ist freilich kein Unbekannter in der luftgekühlten Szene, neben acht Typ 34-Modellen fast aller Baujahre hält er sich auch drei Typ 14, einen 1959er-Käfer, T1- und T2-Bus, sowie einen 1957er Porsche 356 A und ein 993 Cabrio in seinem heimischen Streichelzoo. Das rarste Stück der Sammlung ist freilich das Lorenz-Cabrio, das er 2009 aus dritter Hand erwarb und seither regelmäßig bewegt. „Es ist ja auch ein Fahrzeug und kein Stehzeug, und wenn es noch so selten ist“, lautet sein erfrischendes Credo.
Wikipedia geht übrigens von insgesamt rund 20 Lorenz-Umbauten aus; Carsten Klein kann diesbezüglich auch nur schätzen, wenngleich er immerhin zehn Exemplare persönlich kennt.
Zeitgeist in Blech, Lack, Kunstleder und Stoff – passive Sicherheit spielte hingegen noch keine soo große Rolle
Weit über 25.000 Kilometer hat Carsten mit seinem Exoten, der vor dem Umbau einmal weiß war und über eine rote Innenausstattung verfügte, bislang unter die Räder genommen. Zusätzlich zu den 72.000, die beim Kauf auf dem fünfstelligen Kilometerzähler standen. Tatsächlich waren es aber wohl eher 172.000 Kilometer, wie sich anlässlich der notwendigen Triebwerksrevision herausstellte. Der Motor wurde aufgearbeitet, die Hardware konnte jedoch weitestgehend gerettet werden, so dass der Wagen immer noch über „Matching Numbers“ verfügt – höchst wichtig und wertbildend bei einem Oldtimer.
Apropos Oldtimer: Den letzten Typ 34 schnitt Lorenz anno 2020 auf, was den H-Kennzeichen-Status des Fahrzeugs jedoch nicht berührt, da der Umbau zeitgenössisch ist und sogar den Segen von Volkswagen genießt. Wenngleich VW einige optische Unterschiede zu den eigenen Typ 34-Cabrios verlangte, auch wenn diese ja nicht über das Prototypenstadium hinauskamen – aber man weiß ja nie. So sind die Dächer beim Lorenz-Umbau flacher und die Seitenscheiben enden nach oben an der gedachten B-Säule mit einer Ecke, wohingegen sie bei den Werksautos abgerundet waren. Nach dem 1955 auf Käfer-Basis lancierten „Kleinen Karmann“ wurde schon Ende der 1950er-Jahre im Ghia-Designstudio in Turin am großen Bruder gefeilt. Denn mit dem Wirtschaftswunder stieg hierzulande die Nachfrage nach größeren, komfortableren und nicht zuletzt prestigeträchtigeren Autos.
Wie schon beim Typ 14 stammt das Design aus der Feder von Sergio Sartorelli, abgenickt wurde das Projekt „Lyon“ von Heinrich Nordhoff höchstpersönlich. Die Technik spendete der Typ 3, was anfangs wie beim Typ 14 bedeutete, dass rundum Trommelbremsen sowie vorne eine Kurbellenkerachse und hinten die fahrdynamisch zweifelhafte Pendel achse zum Einsatz kamen. Ab Modelljahr 1966 gab´s immerhin vordere Scheibenbremsen, drei Jahre später eine gutartige Schräglenker-Hinterachse.
Zeitgeist in Blech, Lack, Kunstleder und Stoff – passive Sicherheit spielte hingegen noch keine soo große Rolle
Mit dem großen Karmann war es bei Carsten Klein übrigens eine Liebe auf den zweiten Blick: Ursprünglich hatte er nur Augen für den runden Typ 14. Als er endlich ein hellblaues Coupé an Land gezogen hatte, war er eigentlich glücklich. Da er sich nun aber in der Karmann-Szene bewegte, war die Begegnung mit einem Typ 34 früher oder später unvermeidlich. Anfangs fremdelte Carsten mit dem amerikanisch angehauchten Design. Dem tiefen Blick aus vier Schein-werfern konnte er allerdings nicht lange widerstehen – bis heute ist für ihn die Front die Schokoladenseite des großen Karmann. Und wie es nun mal so ist, wenn man verknallt ist: Man tut unvernünftige Dinge. Carsten kaufte also gleich mal zwei Exemplare in den USA, wo der Typ 34 Kultstatus genießt und vergleichsweise verbreitet ist, obgleich er dort nie offiziell verkauft wurde.
Irgendwann hatte er ein Exemplar aus jedem Baujahr von 1961 bis 1969, also neun Stück. Das 1965er Restaurierungsobjekt trat er zwischenzeitlich einem Freund ab, aktuell sind´s also nur noch acht ...Und bis heute bereitet es ihm einen Heidenspaß, wenn selbst gestandene Oldtimer-Kenner mit fragendem Blick vor dem Lorenz stehen, weil sie den Typ 34 zwar kennen – aber nicht als Cabriolet. Wo Carsten auch anhält, kommt er also direkt mit den Menschen ins Gespräch und die Reaktionen sind immer positiv. Glücklicherweise auch zuhause, wo Gattin Mareike seine Liebe zu alten Autos teilt. „Die Gute fährt fast immer mit auf die Treffen, lenkt auch selbst alle Autos der Sammlung – und das freut mich. Denn ohne eine solche Partnerin kann man diesem Hobby nur schwer frönen.“ Auch Tochter Eliana fuhr schon mit sechs Monaten im Lorenz-Cabrio mit. Heute ist sie zwölf und buchstäblich in Papas Autosammlung groß geworden. Ob sie in ein paar Jahren wohl Elektroauto fahren wird? Oder doch lieber was Luftgekühltes?