Martin Wittler
, Jürgen Pander
· 21.02.2025
„Alles außer Allrad ist ein Kompromiss.“ Der Spruch von Rallye-Ikone Walter Röhrl bringt es auf den Punkt: Wenn ein Auto vier Räder hat, warum dann nicht auch alle vier dazu nutzen, um die Motorkraft auf die Fahrbahn zu übertragen? Dieser Gedanke liegt nahe und so ist es kein Wunder, dass die englischen Tüftler John Hill und Timothy Burstall bereits im Jahr 1827 einen Dampfwagen mit Allradantrieb konstruierten. Heute, rund 200 Jahre später, gehört der Allradantrieb in der Automobilwelt zur Standardtechnologie, um Fahrzeuge geländegängiger, sportlicher und vor allem sicherer zu machen.
Seit mehr als zehn Jahren verantwortet Jan Schütze die Allrad-Entwicklung für Verbrennermodelle mit Quermotor bei Volkswagen. „Ganz gleich in welcher spezifischen Konfiguration, ein Allrad-Antriebsstrang ist in jedem Fall ein Vorteil in Bezug auf Fahrsicherheit und Fahrdynamik“, sagt Schütze über die Technologie, die bei der Marke VW unter dem Namen „4Motion“ firmiert. Inzwischen wird die Technik in fast allen Baureihen angeboten. Denn wenn sich die Kraftübertragung des Autos auf alle vier Räder verteilt, muss jedes einzelne Rad weniger Kraft übertragen und dreht daher weniger schnell durch. Zugleich können – im Vergleich zum klassischen Front- oder Heckantrieb – vier angetriebene Räder im Idealfall doppelt so viel Kraft entwickeln. Auf glattem Untergrund, das kann eine geschlossene Schneedecke sein oder eine nasse Wiese, ein sandiger Feldweg oder eine steile Schotterpiste, ist ein Allradfahrzeug klar im Vorteil. Das gilt umso mehr, wenn das Auto einen Anhänger im Schlepp hat, also zusätzliche Masse bewegt werden muss.
Volkswagen bietet verschiedene Arten des 4Motion-Allradantriebs an. Am weitesten verbreitet ist ein System, bei dem eine elektronisch gesteuerte Lamellenkupplung zum Einsatz kommt. Diese Technik wird unter anderem in den Allradmodellen der Baureihen T-Roc, Tiguan, Passat oder Tayron verwendet. Und ebenso, allerdings unter anderen Bezeichnungen, auch in zahlreichen Allradmodellen anderer Konzernmarken wie Audi (quattro), Seat und Cupra (4Drive) oder Škoda (4x4-Allradantrieb).
Im Normalfall, also bei Geradeausfahrt auf trockener Straße mit bestem Grip, werden etwa 95 Prozent der Antriebskraft an die Vorderräder geleitet, während die Hinterräder mit lediglich fünf Prozent des Drehmoments beaufschlagt werden. Sobald jedoch die Sensorik einen Traktionsverlust an den Vorderrädern registriert, wird in Sekundenbruchteilen die Lamellenkupplung stärker geschlossen, sodass mehr Kraft an die Hinterräder gelangt und das Fahrzeug insgesamt stabilisiert wird. Schütze: „In aller Regel bekommen Fahrerin oder Fahrer gar nicht mit, wenn sich die Kraftverteilung ändert, denn die Eingriffe passieren schnell und geschmeidig zugleich.“
Weniger mit Blick auf sicheres Vorwärtskommen bei jeder Witterung und auf jedem Untergrund, sondern mit stärkerem Fokus auf maximale Fahrdynamik ist eine Ausbaustufe des 4Motion-Allradantriebs ausgelegt, die den Namenszusatz „Torque Vectoring“ trägt. Die Technik kommt bei extrem sportlichen Modellen wie etwa dem neuen VW Golf R, dem Audi RS3 oder dem Cupra Formentor VZ5 zum Einsatz. Schütze erklärt: „Auf dieses System sind wir richtig stolz. Die Antriebskraft wird dabei über zwei Lamellenkupplungen nicht nur zwischen Vorder- und Hinterachse, sondern zusätzlich noch zwischen den beiden Hinterrädern präzise abgestimmt verteilt.“ Was das bedeutet? In schnell gefahrenen Kurven beispielsweise erhält das kurven-äußere Hinterrad einen Großteil des Drehmoments, um das Auto noch agiler ums Eck zu treiben.
Unabhängig von der spezifischen Konfiguration gilt, dass ein Allradantrieb eine bessere Traktion, eine höhere Fahrstabilität und damit insgesamt noch mehr Fahrsicherheit bietet. „Allerdings ist es auch so“, räumt Schütze ein, „dass ein Fahrzeug mit Allradantrieb gegenüber einem vergleichbaren Fronttriebler aufgrund der aufwendigeren Technik im Schnitt etwa hundert Kilo mehr wiegt.“ Das Extragewicht und die größeren Reibungsverluste durch mehr bewegte Bauteile führen auch zu einem höheren Kraftstoffverbrauch. „Alles außer Allrad ist ein Kompromiss“, sagt Walter Röhrl. Um aber Allrad kompromisslos genießen zu können, muss man dann doch diesen Kompromiss eingehen.