Was vor 50 Jahren mit Papierrollen und handgezeichneten Skizzen begann, hat sich zu einem hochkomplexen technologischen Prozess entwickelt. Das Technical Center von Seat/Cupra feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen und blickt auf eine beeindruckende Entwicklungsgeschichte zurück. Gegründet im Jahr 1975, startete die Entwicklungsabteilung mit bescheidenen 211 Mitarbeitern. Heute sind es rund 1.000 Beschäftigte, die in dem spanischen Entwicklungszentrum arbeiten und dabei modernste Technologien einsetzen.
Die Anfänge der Fahrzeugentwicklung bei Seat waren geprägt von handwerklichen Methoden. Große Papierrollen wurden auf Tischen ausgebreitet, um darauf die ersten Fahrzeugskizzen von Hand zu zeichnen. Um die Silhouette eines Prototyps zu definieren, fertigten die Mitarbeiter Reproduktionen in Originalgröße aus Gips an. Diese aufwendige Handarbeit erforderte viel Zeit und handwerkliches Geschick. Akustiktests fanden in einem speziell eingerichteten Raum statt, dessen Wände mit Schaumstoff verkleidet waren, um Schallreflexionen zu minimieren.
Der technologische Wandel hat die Arbeitsmethoden im Laufe der Jahrzehnte grundlegend verändert. Die Digitalisierung hat in allen Bereichen der Fahrzeugentwicklung Einzug gehalten. Heute arbeitet ein interdisziplinäres Team aus Ingenieuren, Designern, Aerodynamik- und Akustikexperten mit modernsten Technologien. Statt handgezeichneter Skizzen entstehen 3D-Modelle am Computer. Virtual-Reality-Headsets ermöglichen es, Fahrzeuge schon in frühen Entwicklungsstadien virtuell zu erleben und zu optimieren. Künstliche Intelligenz unterstützt die Entwickler bei komplexen Berechnungen und Simulationen.
„Die größte Entwicklung sind die vielen verschiedenen Technologien, die unser Team heute beherrschen muss", erklärt Josep Bons, Leiter User Experience und Interior Engineering. Diese Aussage verdeutlicht die enormen Anforderungen, die heute an die Entwickler gestellt werden. Sie müssen nicht nur ihr Fachgebiet beherrschen, sondern auch mit einer Vielzahl von digitalen Werkzeugen und Technologien vertraut sein.
Mit dem technologischen Fortschritt haben sich auch die Testverfahren bei Seat/Cupra grundlegend gewandelt. Statt Gipsmodellen kommt heute formbarer Ton zum Einsatz, der eine präzisere und flexiblere Gestaltung ermöglicht. Besonders beeindruckend ist die Entwicklung im Bereich der Akustiktests. Die einfachen schaumstoffverkleideten Räume der Anfangszeit wurden durch hochmoderne echofreie Kammern ersetzt, die mit sogenannter Box-in-Box-Technologie arbeiten.
Diese spezielle Konstruktion besteht aus einem Raum im Raum, der von mehreren Schichten aus Stahl und Beton umgeben ist. Diese aufwendige Konstruktion schirmt über 95 Prozent aller äußeren Geräusche und Vibrationen ab und schafft so ideale Bedingungen für präzise Akustikmessungen. Anstelle herkömmlicher Mikrofone kommen heute präzise Kunstköpfe zum Einsatz, die das menschliche Hören simulieren und selbst feinste akustische Nuancen erfassen können. Diese technologische Evolution ermöglicht es den Entwicklern, das Fahrzeugerlebnis bis ins kleinste Detail zu optimieren.
Die wachsenden Anforderungen an die Fahrzeugentwicklung spiegeln sich auch in der räumlichen Expansion des Technical Centers wider. Von ursprünglich 16.000 Quadratmetern ist die Fläche auf beeindruckende 200.000 Quadratmeter angewachsen. Diese Vergrößerung war notwendig, um Platz für neue Technologien, Testeinrichtungen und die wachsende Zahl an Mitarbeitern zu schaffen.
Die Bedeutung von Computersimulationen in der modernen Fahrzeugentwicklung wird durch beeindruckende Zahlen unterstrichen. Allein für die "Electric Urban Car Family" wurden im Jahr 2024 mehr als 220.000 Simulationen durchgeführt, bei insgesamt 310.000 Simulationen in diesem Jahr. Diese virtuellen Tests ermöglichen es, Annahmen in den Bereichen Aerodynamik, Sicherheit oder Akustik zu überprüfen, bevor kostspielige physische Prototypen gebaut werden. Dadurch werden Entwicklungszeit und -kosten erheblich reduziert, während gleichzeitig die Qualität und Zuverlässigkeit der Fahrzeuge verbessert wird.
Die Geschichte des Technical Centers ist eng mit der Entwicklung des Unternehmens Seat verknüpft. Seit seiner Gründung im Jahr 1975 wurden in Martorell mehr als 950 Prototypen entwickelt. Die erste Eigenentwicklung war der Seat 1200 Sport, ein Fahrzeug mit einer markanten schwarzen Front aus Polyurethanschaum, die ihm den Spitznamen "Bocanegra" (schwarzer Mund) einbrachte. In den folgenden Jahrzehnten entstanden hier zahlreiche erfolgreiche Modelle wie der Seat Ibiza, Toledo und Leon, die das Markenimage prägten und zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens beitrugen.
Ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte des Entwicklungszentrums war die Integration von Seat in den Volkswagen-Konzern im Jahr 1986. Diese Übernahme brachte einen deutlichen Gewinn an Schlagkraft und Kompetenz. Die Einbindung in den Audi-Lamborghini-Cluster im Jahr 2002 markierte einen weiteren wichtigen Meilenstein und führte zur Ausweitung des Aufgabenbereichs. Die Zusammenarbeit mit diesen renommierten Marken ermöglichte den Zugang zu fortschrittlichen Technologien und Know-how.
Ein besonders wichtiger Schritt in der Entwicklung des Technical Centers war die Eröffnung des Designzentrums und des Zentrums für Prototypenentwicklung im Jahr 2007. Seitdem sind in Martorell alle Phasen des kreativen und technischen Prozesses von der ersten Skizze bis zur finalen Freigabe vor Produktionsstart unter einem Dach vereint. Diese Integration aller Entwicklungsschritte an einem Standort ermöglicht kürzere Kommunikationswege, schnellere Entscheidungsprozesse und eine effizientere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Abteilungen.
Die Innovationskraft des Entwicklungszentrums wird durch beeindruckende Zahlen unterstrichen: 359 Patente wurden angemeldet und 35 Millionen Testkilometer unter extremen Bedingungen zurückgelegt. Diese Tests unter verschiedensten Umwelt- und Straßenbedingungen stellen sicher, dass die Fahrzeuge den hohen Qualitäts- und Sicherheitsansprüchen gerecht werden.
Heute liegt der Fokus des Technical Centers auf der Entwicklung der "Electric Urban Car Family" für den gesamten Volkswagen-Konzern. Diese Aufgabe unterstreicht das Vertrauen des Konzerns in die Kompetenz und Leistungsfähigkeit des spanischen Entwicklungszentrums. Die Entwicklung erschwinglicher Elektrofahrzeuge mit einem Einstiegspreis von 25.000 Euro stellt eine besondere Herausforderung dar, die das Team mit modernsten Technologien und jahrzehntelanger Erfahrung meistert.