Unbekannt
· 24.08.2015
In Wolfsburg wusste man nicht, was der rührige und innovative Partner Wilhelm Karmann in Osnabrück im Jahr 1953 mit dem Käfer-Fahrgestell vorhatte. Man erwartete eigentlich nur weiterhin eine zügige Belieferung mit Käfer Cabrios – mehr nicht
Wie schon Ende der 1940er-Jahre, als das Käfer-Cabrio entstand, dachte man 1953 in Osnabrück heimlich über eine neue Karosserie für den Volkswagen nach. Damals gehörte der Käfer für viele Kunden bereits zum Alltagsleben und war aus dem Straßenbild vieler Länder nicht mehr wegzudenken. Seine Stellung war jedoch nicht mehr unangefochten. Es gab zunehmend Wettbewerber, die eigene Fahrzeuge im Segment des Käfers produzierten. Diese waren – zumindest was ihre Karosserieformen betraf – häufig moderner und entsprachen mehr dem Zeitgeschmack.
Bei Volkswagen herrschte sowohl Dynamik als auch Statik. Dynamisch war das Unternehmen, indem es von Monat zu Monat größere Stückzahlen produzierte, statisch war das Werk, weil es keine Alternativen zur Käfer-Karosserie auf den Markt brachte, wenngleich die Ingenieure durchaus Varianten entwickelten.
Bei Karmann in Osnabrück tat man sich leichter. Wilhelm Karmann Junior, der nach dem Ableben seines Vaters im September 1952 die Leitung des Osnabrücker Karosseriebauers übernahm, hatte genau so viel visionäre Kraft und Mut wie sein Vater. Er träumte von einem sportlich eleganten Volkswagen mit italienischem Design, das zu Beginn der 1950er-Jahre in Deutschland hoch im Kurs stand.
Ohne die Geschäftsführung des Volkswagenwerks zu informieren, nahm Wilhelm Karmann im Frühjahr 1953 auf dem Genfer Automobilsalon Kontakt mit Luigi Segre, dem Chef des Designstudios Carrozzeria Ghia in Turin, auf, mit dem er befreundet war. Ziel war es, für das Fahrgestell des Volkswagens ein elegantes Coupé zu schneidern.
Schon im Oktober des gleichen Jahres konnte Segre in Paris-Neuilly Wilhelm Karmann einen ersten Prototyp präsentieren. Das Coupé besaß eine sehr elegante Linienführung. Der Innenraum war opulent mit Leder ausgestattet. Noch fehlten dem Fahrzeug die später so charakteristischen "Nasenlöcher" in der Frontpartie und auch der Motorraumdeckel unterschied sich mit seinen in vier Reihen angeordneten Luftschlitzen und einem fast die gesamte Breite einnehmenden Luftauslass noch von der Serie. Insgesamt war der Prototyp der späteren Serie aber schon sehr ähnlich.
So sehr man bei Karmann von diesem Entwurf angetan war, es galt, die Geschäftsführung von Volkswagen davon überzeugen, dass ein solch sportliches Fahrzeug in das bisher eher konservative Modellprogramm passen würde. Da Wilhelm Karmann die besonders restriktive Haltung des Generaldirektors Heinrich Nordhoff kannte, präsentierte er den Prototyp zunächst dem Verkaufschef Dr. Feuereissen. Dieser war von dem Entwurf begeistert, das erste Eis gebrochen. Nun konnte man es wagen, den Prototyp auch Nordhoff zu zeigen. Das geschah am 16. November 1953 in Osnabrück. Auch der Generaldirektor des Volkswagenwerks war von dem Sportcoupé sehr angetan, hatte jedoch noch Bedenken im Hinblick auf den Verkaufspreis. Diese konnten jedoch schnell ausgeräumt werden und der Freigabe für die Weiterentwicklung bis zur Serie stand nichts mehr im Wege. Bei der Markteinführung kostete das Karmann Ghia Coupé 7.500 Mark, rund 3.000 Mark mehr als die Limousine.
Nach einigen stilistischen Veränderungen, die bei der Präsentation festgelegt und bei Ghia ausgeführt wurden, dauerte es noch eineinhalb Jahre, bis das erste Fahrzeug bei Karmann vom Band laufen konnte.
In der Zwischenzeit hatte man noch ein weiteres Problem gelöst – das des Namens. War man zunächst davon ausgegangen, dass der Wagen bei dieser Karosserieform einen italienisch klingenden Namen wie "Riviera" oder "Ascona" bekommen sollte, entschied man sich schließlich für den Vorschlag von Wilhelm Karmann: "Volkswagen Karmann Ghia".
Am 14. Juli 1955 war das erste serienmäßige Karmann Ghia Coupé fertig. Es wurde im Casinohotel in Georgsmarienhütte der Presse vorgestellt, die das Fahrzeug begeistert feierte. Die Zeitschrift GUTE FAHRT nannte ihn "einen der schönsten Wagen der Welt".
Die breite Öffentlichkeit konnte sich von der Eleganz des Coupés erstmals auf der IAA 1955 in Frankfurt überzeugen. Dort präsentierte Karmann auf dem eigenen Messestand stolz zwei Fahrzeuge: ein eidechsgrünes Coupé mit tiefgrün abgesetztem Dach sowie ein komplett schwarz lackiertes. Die Begeisterung war groß und die Bestellungen ließen nicht lange auf sich warten.
Gegenüber dem ersten Prototyp waren einige Details jetzt eleganter gelöst. Das Coupé war auf jeder Seite gegenüber der Käfer-Limousine um acht Zentimeter verbreitert worden. Dafür waren die Trittbretter entfallen, die die Linie nur gestört hätten. Die Karosserieverbreiterung kam in vollem Umfang den Fahrzeuginsassen zugute, die nun über mehr Ellenbogenfreiheit verfügten. Die Vordersitze besaßen Klapplehnen, die den Zugang zu einer hinteren "Sitzbank" erleichterten, auf der allerdings nur Kinder Platz finden konnten.
Die Eleganz des Fahrzeugs wurde nicht nur durch die geschwungene Silhouette bestimmt, sondern auch durch eine gegenüber dem Käfer um 17 Zentimeter geringere Höhe. Die Kurbelfenster in den großzügig dimensionierten Türen bewegten sich rahmenlos in einem schmalen, verchromten Steg, der die hintere, starr eingebaute Seitenscheibe nach vorn abschloss.
An der Front fielen die beiden, später "Nasenlöcher" getauften Frischluft-Einlässe auf. Zwischen ihnen verlief eine markante Sicke über die große, von vorne zu öffnende Kofferraum-Haube bis zum Windschutzscheiben-Rahmen.
Das Heck fiel von der Rückscheibe leicht nach hinten bis zu einer Kante ab, die es senkrecht begrenzte. Der Motordeckel war mit einer Reihe von Luft-Schlitzen für die Motorkühlung versehen. Verchromte Stoßfänger, vorn und hinten mit Hörnern, rundeten die elegante Erscheinung ab.
So sportlich der Karmann Ghia auch aussah, technisch entsprach er der Export-Limousine. Er besaß den gleichen luftgekühlten Boxermotor im Heck mit zunächst 1.192 Kubikzentimetern Hubraum und einer Leistung von 30 PS. Damit konnte man zwar im Verkehr gut mithalten, sportliche Fahrleistungen, die die äußere Erscheinung des Coupés suggerierte, wurden allerdings zu keiner Zeit erreicht.
Dank der besseren Aerodynamik gegenüber der Limousine lag die Höchstgeschwindigkeit immerhin bei 116 km/h. Am Fahrwerk wurden leichte Modifikationen vorgenommen. Die Vorderachse verfügte über einen Stabilisator, der sich bei der Kurvenfahrt bewährte.
Die Produktion des Karmann Ghia Coupés verlief nicht unbedingt geradlinig. Die einzelnen Produktionsstätten von Karmann waren zur damaligen Zeit noch über das Stadtgebiet von Osnabrück verteilt, sodass die fertig geschweißten Karosserien auf Spezialtransportern – Zugmaschinen mit bis zu drei Anhängern – quer durch Osnabrück zum Komplettieren gefahren werden mussten. Erst 1957 wurde die Produktion schließlich im neuen Werk in der Karmann-Straße zusammengefasst. Dadurch wurde die Fertigung letztlich nicht nur wirtschaftlicher, man konnte auch die Stückzahlen steigern.
Nach dem Erfolg, den das Coupé weltweit hatte – bereits 14 Monate nach dem Produktionsstart lief das 10.000. Karmann Ghia Coupé vom Band – und den großen Erfahrungen des Unternehmens mit dem Bau von Cabriolets, war es nur konsequent, dass man sich 1957 entschloss, auch eine Cabrio-Version anzubieten. Die Entwicklung für dieses Modell waren zum großen Teil parallel zu der des Coupés verlaufen, sodass man hier kurzfristig reagieren konnte.
Beide Modelle machten in den Jahren bis zu ihrer Produktions-Einstellung die technischen Entwicklungen des Käfers mit. Das hieß vor allem, dass die Motoren leistungsfähiger und die Fahrzeuge "sportlicher" wurden. Ab Modelljahr 1971 leistete der 1,6-Liter-Motor 50 PS und verlieh dem Coupé und dem Cabrio eine Höchstgeschwindigkeiten von 140 km/h.
Als am 31. Juli 1974 die Produktion eingestellt wurde, waren 443.482 Karmann Ghia in Osnabrück von den Bändern gelaufen – 362.601 Coupés und 80.881 Cabrios.