Jürgen Pander
· 26.08.2024
Darf man einen Oldtimer verändern? Den Motor tunen, das Fahrwerk modifizieren, den Innenraum pimpen? Für Puristen ist das ein Sakrileg. Für Männer wie Robert Dickinson Geschäftsmodell und Leidenschaft. Der 58-jährige Brite, ehemals Sänger und Gitarrist der Band Catherine Wheel, hat sich vor 15 Jahren einen Traum erfüllt und in Los Angeles die Firma Singer gegründet. Nur wenige Monate später präsentierte das Start-up beim luxuriösen Oldtimer-Festival „Pebble Beach Concours d’Elegance“ den „Porsche 911 Reimagined by Singer“. Mit Carbon-Leichtbau-Karosserieteilen und getuntem Boxermotor. Seit diesem Moment ist in der Autoklassiker-Szene nichts mehr, wie es vorher war. „Restomod“ heißt das Phänomen, das als Trend längst auch Europa und Deutschland erfasst hat. Der Begriff setzt sich aus den Wörtern „Restaurierung“ und „Modifikation“ zusammen und das beschreibt schon mal grob, worum es geht: nämlich um Autos im klassischen Look, die jedoch zu Hightech-Fahrmaschinen umgerüstet sind.
Singer beispielsweise konzentriert sich ganz auf den Porsche 911. Bis heute hat das Unternehmen mehr als 300 Kundenfahrzeuge der Baureihe 964 (Baujahre 1989 bis 1994) von Grund auf, nun ja: „restomodernisiert“. Von Leichtbau-Karosserieteilen über exklusive Innenraum-Ausstattungen und Schalensitze bis hin zur Carbon-Keramik-Bremsanlage, Titan-Abgasanlage und natürlich einem leistungsgesteigerten 4-Liter-Sechszylinder-Boxermotor im Heck – fast alles, was die Kunden wünschen, setzen die Singer-Leute um. Die Herausforderung liege darin, sagt Singer-Chef Dickinson, eine Ikone wie den 911 zu verbessern, etwa durch Materialien, die es früher noch nicht gab. „Ich glaube, wir haben da einen Weg gefunden, der der Mentalität von Porsche entspricht.“
In jedem Fall begeistert er etliche Porsche-Enthusiasten. Das erste Modell verkaufte Singer für 475.000 US-Dollar, inzwischen wurden für Neunelfer, die bei Singer individualisiert und aufgemöbelt wurden, bei Auktionen schon mehr als eine Million US-Dollar geboten. Logisch, dass dieser Trend rasch von sich reden machte.
Volkswagen etwa hat als einer der ersten deutschen Hersteller auf die Restomod-Welle reagiert. Für die VW Klassiker Typ 1 Käfer, Typ 2 Bulli, Typ 3 Limousine sowie für das Käfer Cabriolet und den Karmann Ghia gibt es spezielle Plattformen, die über die Volkswagen Group Components & E-Classics bereitgestellt werden. So lassen sich der elektrische Antriebsstrang des VW e-up und der des ID.3 in die klassischen Volkswagen Modelle integrieren. Dann rasselt der Käfer nicht mehr, sondern surrt nur noch ganz leise, wenn er abgasfrei vorüberfährt.
In Großbritannien wiederum hat sich beispielsweise die Firma Lunaz Design aus Silverstone auf derartige Elektro-Umbauten spezialisiert. Es gehe um das „Upcycling von einigen der schönsten Autos der Welt“, heißt es auf der Homepage des Unternehmens. Ob Klassiker von Aston Martin, Bentley, Jaguar, Land Rover oder Rolls-Royce – bei Lunaz Design werden die Fahrzeuge komplett zerlegt, digital vermessen und anschließend mithilfe eines CAD-Modells wieder zusammengebaut. Allerdings mit elektrischem Antrieb. Und natürlich mit allen Annehmlichkeiten des modernen Autobaus, die einen Innenraum zur Wohlfühllounge machen.
Die Ursprünge der Restomod-Bewegung reichen bis in die späten 1980er-Jahre. Damals waren in den USA einige Besitzer klassischer Muscle Cars wie Ford Mustang, Pontiac Firebird oder Chevrolet Camaro es leid, dass die damals neu aufgelegten Fahrzeuggenerationen dieser Baureihen ihren älteren Modellen plötzlich weit überlegen waren. Die Folge: Etliche dieser Muscle-Car-Klassiker wurden auf den damals neuesten Stand der Technik gebracht. Originalität war nicht mehr so wichtig, es ging darum, beim Ampelspurt mithalten zu können.
Es gibt durchaus Gründe, warum die Abkehr von der „Alles muss möglichst original bleiben“-Doktrin vernünftig ist: Moderne Motoren laufen sparsamer, umweltfreundlicher und effizienter. Moderne Bremsanlagen verzögern sicherer und schneller. Eine moderne Bordelektronik hilft beim Fahren, zum Beispiel mit Navigation, und Vernetzen des Wagens. Moderne Sitze mit Kopfstützen und Sicherheitsgurten bieten mehr Sicherheit. Moderne Ausstattungsdetails wie eine Klimaanlage erhöhen den Komfort. Und ganz grundsätzlich steigt dank moderner Fahrzeugtechnik die Zuverlässigkeit vieler Oldtimer. Dazu kommt eine Entwicklung, die für den Oldtimer-Markt insgesamt bedrohlich werden kann. Gerade jüngere Kunden nämlich sind einerseits fasziniert vom oft filigranen, eleganten oder sportlich-rassigen Design klassischer Automobile.
Andererseits erkaltet bei vielen die Begeisterung abrupt, sobald sie eine Probefahrt in einem Modell aus den 50er-, 60er-, 70er-oder 80er-Jahren unternommen haben. Zu lahm, zu laut, zu rustikal, zu ruppig und vor allem unsicher – so lautet oft das vernichtende Urteil. Auch in solchen Fällen könnten Restomods eine Möglichkeit sein, um die Liebe zu klassischen Fahrzeugen auszuleben, ohne dabei auf die Vorzüge der heutigen Technologie verzichten zu müssen.
Inzwischen können auch manche Oldtimer-Ultras der Restomod-Idee etwas abgewinnen. Grundsätzlich allerdings müsse die Basis für einen solchen Umbau immer ein altes Auto sein. Sonst sei es nicht mehr „resto“, sondern lediglich „retro“. Zudem sollten die Bauteile sorgfältig und passend ausgewählt werden, damit nicht völlig beliebige Technik-Puzzles entstehen. Der Automobilexperte und Design-Professor Paolo Tumminelli hält den Zuspruch zu Restomods gar für eine Reaktion vieler Autoliebhaber auf die Absurdität des gegenwärtigen Automobildesigns. Denn Restomods zeigten, so Tumminelli, „dass in puncto Design viele ältere Autos den heutigen überlegen sind“.
Muss Altes auch alt bleiben? „Wir bewahren die Vergangenheit, indem wir die Zukunft annehmen“, lautet das Motto von Restomod-Befürwortern. Und längst ist der Trend auch zu einem einträglichen Geschäft für Unternehmen geworden. Beispielsweise für die Schweizer Firma Sportec aus Höri bei Zürich. 1997 als Tuningunternehmen gestartet, baut die Firma inzwischen vor allem hinreißende Restomods. Jüngstes Projekt ist der SUB 1000, ein Radikalumbau eines Porsche 911 G Modells. Dank einer Karosserie aus Carbon-Kevlar-Verbundstoff, hinteren Scheiben aus Makrolon, LED-Scheinwerfern und Carbon-Sportsitzen wird das Gewicht des Originalautos auf weniger als 1.000 Kilogramm gesenkt, die Motorleistung des Sechszylinder-Boxers wiederum auf 315 PS gesteigert.
„Dieses Auto ist für mich die Essenz eines Sportwagens. So puristisch, dass man sogar das Öl fließen hört. Es ist schon fast surreal, mit diesem Wagen unterwegs zu sein“, sagt Gregor Burkard, der Geschäftsführer von Sportec. Das Besondere der Restomods der Schweizer Tüftler: Die Erkenntnisse und Entwicklungen der Motorsport-Abteilung von Sportec fließen direkt in die Restomod-Projekte der Classic-Abteilung ein. Burkard: „Wir haben es mit 30 oder 40 Jahre alten Autos zu tun. Das Ziel ist es, dass sie weitere 30 oder 40 Jahre auf höchstem Niveau gefahren werden können.“