Porsche LMP 2000 - Auferstanden

Porsche LMP 2000 - Auferstanden
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Nach 25 Jahren erweckte Porsche den LMP 2000 aus dem Dornröschenschlaf. Ein Le-Mans-Prototyp, der nie in Le Mans fuhr. Was die besondere Geschichte dieses Rennwagens noch mystischer macht ...
Reise in die Vergangenheit: Bob Wollek, der im Jahr 2001 verstarb...
Foto: Porsche

Wie ein stummer Zeuge steht die Monstera-Pflanze in der kleinen Werkstatt, deren Boden glänzt, als hätte man hier soeben einen Meister-Proper-Werbespot gedreht. Könnte die Monstera sprechen, würde sie uns davon erzählen, dass sie im Entwicklungszentrum in Weissach schon einige Preziosen gesehen hat. Aber selten so eine Ausnahmeerscheinung wie den LMP 2000, an dem Armin Burger, Koordinator Historischer Motorsport, und seine Kollegen gerade arbeiten. Denn der rund zwei Meter breite Prototyp, dessen Cockpit so groß wie ein Whirlpool ist, ist in jeder Hinsicht anders. Er hat einen 5,5-Liter-V10-Sauger mit 600 PS im Heck, wie es ihn wohl nie mehr geben wird. Zudem ist er der erste Rennwagen von Porsche mit Paddle-Shift. Und er ist eine Rennwagenlegende, ohne jemals ein Rennen gefahren zu sein – mit nur rund 80 Kilometern auf dem Tacho. Porsche entwickelte den LMP 2000 unter strenger Geheimhaltung in den Jahren 1998 und 1999, um in der folgenden Saison gegen Audi in Le Mans anzutreten. Dazu kam es nie. Das Projekt wurde auf den letzten Metern aus Kostengründen gestoppt. Das Team durfte den Rennwagen aber immerhin bei einem Roll-out erleben. „Der LMP 2000 fährt – aber du wirst ihn leider nie fahren sehen“, sagte der damalige Vorstandsvorsitzende Wendelin Wiedeking zu Motorsportchef Herbert Ampferer. Der Österreicher war am Tag des Roll-outs auf Dienstreise und verpasste so den wichtigen Moment. Nur zwei gezeitete Runden absolvierte der Le-Mans-Renner auf der Teststrecke in Weissach – mit Rennfahrer-Ikone Bob Wollek und Allan McNish am Steuer. Spitzengeschwindigkeit 302 km/h. Die Geburt des LMP 2000 bedeutete zugleich sein Ende.

EIN V10-SAUGER, WIE ES IHN WOHL NIE MEHR GEBEN WIRD

Bis er am 17. Oktober 2024 nach 25 Jahren seine Auferstehung feierte. Am Steuer: McNish, der ein Comeback erlebt, und Le-Mans-Sieger Timo Bernhard. Im Beisein von einigen Journalisten, Ex-Projektleiter und Ingenieurslegende Norbert Singer, Ampferer und einigen weiteren Zeitzeugen drehte der LMP 2000 einige Runden auf der 2,88 Kilometer langen Teststrecke in Weissach. „Der V10Motor fühlt sich butterweich an, das Fahrzeug ist extrem leicht und agil mit viel Abtrieb. Die fast lineare Kraftentfaltung ist sagenhaft, der Klang unglaublich“, sagt Bernhard nach seinen Runden. Und McNish ergänzt mit einem Grinsen: „Es ist, als wäre ich wieder 25.“ Der LMP 2000 wird also streng genommen zweimal zum Leben erweckt. Doch fangen wir zunächst in der jüngeren Vergangenheit an und blicken danach auf die Ursprünge ...

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DIE ERSTE REAKTION NACH DEM TEST IM HOF: „DES TUT“

Nach 25 Jahren wieder im Einsatz

In das Vorhaben, den LMP 2000 zum 25. Jahrestag wieder zu reaktivieren, waren vor allem Burger und sein Team involviert. „Ich habe das Auto nie aus den Augen verloren“, sagt der gelernte Rennmechaniker, der auch schon in der Entstehungszeit am LMP 2000 arbeitete. „Ich habe immer beobachtet, wie es, mit einem Tuch abgedeckt, durch verschiedene Lager gewandert ist.“ Hin und wieder schaute er danach, füllte die Reifen mit etwas Luft auf. Wie ein besonderes Erinnerungsstück auf dem Dachboden, das man hegt und pflegt. Als der LMP 2000 schließlich in Vorbereitung auf das Comeback komplett zerlegt in der Werkstatt steht, fassen ihn alle Beteiligten mit Samthandschuhen an. „Ich hatte noch nie so viel Respekt“, sagt Burger. Weil der Prototyp nie einen echten Einsatz hatte, gibt es keine Ersatzteile. Übrigens auch keine Betriebsanleitung. Jeder Handgriff muss sitzen. Zunächst geht es darum zu testen, ob der Motor überhaupt noch läuft. Wie Detektive tasten sich die Experten Schritt für Schritt vor. Burger sucht Mitarbeiter, die früher schon involviert waren, und bindet sie ein. Bei Teilen des Tanksystems erkannte er etwa die Handschrift von Kollege Traugott „Berti“ Brecht, Technischer Betreuer Historischer Motorsport. Die Experten fräsen unter anderem eine neue Tankplatte und verwenden das Kraftstoffpumpenpaket des RS Spyder. Und siehe da, der V10 läuft. Gänsehaut. „Die Pflanze hier ist wie selten aufgeblüht“, scherzt Brecht und zeigt auf die Monstera – die stumme Zeugin. Der zweite Schritt: Das Team fragte sich, ob nur der Motor läuft oder das komplette Auto fährt. Hier lag die Challenge vor allem darin, ob sich ein Gang einlegen ließ. Eine große Hilfe: Kollege Steffen Wolf, Ingenieur im Bereich Motormanagementsysteme bei Porsche Heritage und Museum, der auch ein Teil der Erfolgsgeschichte des Porsche 919 Hybrid ist. „Wir haben vier Steuergeräte gefunden und versucht, mit einem alten Rechner Zugriff darauf zu erlangen“, erklärt Wolf. Schließlich muss es ein neu programmiertes Steuergerät richten, das aus der Formel E stammt und das Signal vom Paddle am Lenkrad an das Getriebe weitergibt. „Da die Paddle-Schaltung nicht möglich war, musste es so aufgebaut werden, dass das Hoch- und Runterschalten bei Betätigung der Kupplung stattfindet“, sagt Wolf.

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Die erste Probefahrt: auf dem Hof rund um die Werkstatt

Der große Moment: die erste Probefahrt. Daran erinnert sich Burger noch ganz genau und schüttelt den Kopf, als ob er es immer noch nicht so recht glauben kann. „Berti ist ums Gebäude der Werkstatt gefahren. Er kam zurück und sagte: ‚Des tut!‘“ Timo Bernhard übernimmt als Markenbotschafter und Le-Mans-Sieger die ersten Kontrollrunden auf der Teststrecke in Weissach. „Es hat ihm fast den Helm verbogen vor lauter Lachen“, erinnert sich Burger.

DAS COMEBACK WAR EINE TEAMLEISTUNG

Wie kommt es, dass die meist als eher nüchtern bekannten Techniker so eine besondere Bindung zu diesem Rennwagen haben? „Weil dieses Auto nie richtig gefahren ist, jetzt aber wieder fährt“, sagt Burger. Wolf geht es ähnlich: „Seit meinem Einstieg bei Porsche 2012 hörte ich viele Geschichten über dieses Fahrzeug. Heute zu erleben, wie es wieder fährt, ist unbeschreiblich.“

Derjenige, der ihm beim ersten Mal das Laufen beigebracht hat, ist Norbert Singer. „Mister Le Mans“ erinnert sich, wie man nach dem Sieg mit dem GT1 im Jahr 1998 philosophierte, wie man weitermachen will. „Ich weiß noch, wie ich mit Paul Ricard in der Boxengasse einen Kollegen von BMW getroffen hatte. Es war ein Gespräch, das mich zum Schmunzeln brachte. Denn bei BMW war man offensichtlich der Meinung, das GT1-Konzept sei das richtige, wir dachten aber, der Wechsel zum offenen Prototyp sei die bessere Wahl.“ Das Reglement erlaubte beide Varianten. Nach dem Le-Mans-Sieg mit dem GT1-Rennwagen im Jahr 1998 war Singer aber klar, dass man am Limit angekommen war. Der Pluspunkt für den Prototyp: Mit den vorgeschriebenen breiteren Reifen stand ein geringerer Reifenverschleiß zu Buche. Damit hatte man das Ass im Ärmel, Triple-Stints zu fahren und sich im Vergleich zur Konkurrenz Boxenstopps zu sparen. Daneben spielte das Thema Verbrauch eine Rolle. Es war klar, dass der 3,2-Liter-Biturbo-Boxer nicht mehr zeitgemäß war. Nach der Turbo-Ära schwang das Pendel wieder zugunsten des Saugers aus. In diesem Fall zum V10-Sauger, der von einem früheren von Porsche entwickelten Formel1-Motor inspiriert wurde. Dass ein offener Prototyp mehr Abtrieb als eine geschlossene Variante bringen würde, war eher eine Zufallsentdeckung. „Wir haben im Windkanal mit einem GT1-Modell getestet. Es gab allerdings ein Problem, weshalb wir kurzerhand etwas weggeschnitten haben – so wurde ein offenes Auto daraus. Die Ergebnisse haben uns gezeigt, dass auf Anhieb mehr Abtrieb vorhanden ist.“

McNISH: „ ES IST, ALS WÄRE ICH WIEDER 25“

Obwohl es in Le Mans lange Geraden gibt, ist der Anpressdruck doch eine wichtige Größe. Beispielsweise beim Thema Bremsen oder beim Säubern der Reifen vom Pick-up. Weitere Vorteile des offenen Autos: Das Ein- und Aussteigen ist leichter und man riskiert keine Probleme mit dem Scheibenwischer oder dem Schließmechanismus von Türen. Wie zu Gruppe-C-Zeiten arbeitete Singer auch bei diesem Projekt mit der sogenannten Singer-Delle im vorderen Bereich des Rennwagens. Eine Art Diffusor in Form einer Wölbung im Unterboden. Weil die allerdings nicht nur für mehr Abtrieb, sondern auch für mehr Luftwiderstand sorgte, musste sich Singer mit seitlichen Öffnungen am Auto behelfen. Als schließlich das entwickelte Auto am 2. und 3. November 1999 zur Testfahrt in Weissach ausrollte, war bereits klar, dass es nie ein Rennen fahren wird. Schon im August hatte der Porsche-Vorstand Wendelin Wiedeking den Stecker gezogen. „Wir wussten damals nicht, warum. Es gab keine Begründung“, erinnert sich Singer. Erst Jahre später hat er den damaligen Entwicklungsvorstand Horst Marchart getroffen, der das Geheimnis lüftete: „Er hat gelacht und gesagt: ‚Ach, das wussten Sie nicht? Man hat das Geld für den Cayenne gebraucht.‘“

Die Techniker erkennen das Potenzial des LMP 2000 schnell

Kurios: Als im September 1999 das Karbon-Chassis für den LMP 2000 angeliefert wurde, war das Projekt bereits tot. Doch man durfte es zumindest so weit fertigstellen, wie es ohnehin schon geplant war. Für Singer war klar, dass Bob Wollek – mit dem er jahrelang verbunden war – als Erster den neuen Renner fahren würde. Der rückte bei nur zwölf Grad Celsius und Regen aus. Die Mängelliste umfasste 38 Punkte. Darunter, dass der intern bezeichnete „9R3“ Öl verlor. „Wir hatten einen Posten an die Strecke gestellt, um zu beobachten, wie viel Öl er schmeißt“, erinnert sich Singer. „Nur ein paar Mal gab es das Zeichen, dass er weiterfahren kann. Deshalb gab es nicht viele Versuche für eine gezeitete Runde.“ Owen Hayes, damals Fahrzeugingenieur unter der Projektleitung von Singer und heute noch im Motorsport aktiv, erinnert sich an den zweiten Tag, an dem Allan McNish im Auto saß. „Das Auto erreichte einen Topspeed von 302 km/h, das war damals für die kurze Strecke extrem schnell – und keine Situation, in der man voll gepusht hat.“ Singer ergänzt: „ Auch die Rundenzeiten von 46,62 und 45,15 Sekunden waren recht schnell. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass wir mit rund 822 Kilogramm statt der vorgeschriebenen 900 Kilogramm untergewichtig waren. Es war nicht ganz realitätsnah, es hat uns aber definitiv das Potenzial aufgezeigt.“ Entfaltet wurde es nie. Nur ein Teil des LMP 2000 lebt bis heute weiter. Der Motor wanderte in modifizierter Form in den Carrera GT.

gutefahrt/porklas_20250320_202501_new-img_32-1-img

LMP 2000

  • Motor: V10-Sauger
  • Hubraum: 5,5 Liter
  • Leistung: 600 PS
  • Gewicht: 822 Kilogramm (vorgeschrieben waren 900 kg)