Porsche-DNAHappy Birthday, 993 Targa

Roland Loewisch

 · 23.02.2023

Porsche-DNA: Happy Birthday, 993 TargaFoto: Heiko Simayer
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Der Aufschrei war groß, als Porsche vor 25 Jahren seinen neuen 911 Targa präsentierte: kein klassischer Bügel mehr – dafür ein Glasdach, das sich unter die Heckscheibe schiebt. Heute ist die Fahrt im halboffenen 993 ein ganz besonderer Genuss.

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Foto: Heiko Simayer

Klick machen sie. Ein sattes Klick. Die Kippschalter in die Freiheit. Der eine öffnet das Dach, der daneben das Sonnenrollo. Am besten etwas Zeit dabei lassen. Zelebrieren – eine fast schon mechanische Gegenbewegung zum Zeitalter der digitalisierten Slider und Tasten. Zuerst kann man den mittleren unteren Kippschalter auf der Mittelkonsole nach vorn drücken – ein Kälte- und Sonnenschutzrollo verschwindet jetzt vorn im Formteil des Dachhimmels. Dann drückt man den linken unteren Kipphebel auf der Mittelkonsole, aber nach hinten. So gleitet gleichzeitig der schmale gläserne Windabweiser nach oben und das große Glasdach ein Stück nach hinten. Dann muss man den Knopf erneut drücken und gedrückt lassen. Das Geräusch halbiert sich, weil sich nur noch das Glasdach bewegt und sich unter die im Vergleich zum Coupé deutlich größere und damit luftig wirkende Heckscheibe schiebt. Auch das dauert insgesamt sechs Sekunden – man kann es aber auch stufenlos positionieren.

Das Sonnenrollo besitzt einen eigenen Kippschalter und kann stufenlos geöffnet werden. Es verschwindet auch automatisch, wenn man das Targa-Dach öffnet.

Für den kompletten Luftgenuss bei voll geöffnetem Dach müssen jetzt noch die Seitenfenster heruntergefahren werden. Und dann? Holt man sich einen Sonnenbrand. Weil man sich in einem Coupé wähnt, aber wie in einem Cabriolet gebraten wird: Targa at its best.

Letzteres allerdings haben viele Fans zunächst bezweifelt. Als Porsche 1996 mit der dritten Generation eines Targa kam (die am Anfang der Modellreihe 993 gar nicht geplant war), zeigten sich manche sogar entsetzt. Besaßen die Vorgänger allesamt einen echten Targa-Bügel und ein herausnehmbares Dachmodul, war beim 993 plötzlich alles anders. Elektrisch! Verglast! Praktisch statt porschig! Frevel! Dabei hatten sich die Porsche-Ingenieure mit Absicht alle Mühe gegeben, etwas völlig Neues zu kreieren. So griffen sie zu einer sieben Millimeter dicken Glasscheibe und tönten sie so stark, dass nur 62 Prozent des auftreffenden Lichtes passieren konnten. Auch sonst hat es die Konstruktion in sich – neben den drei Hauptkomponenten Dreischichten-Verbundglasdach mit UV- und Wärmeschutz, Glaswindabweiser und Rollo mussten noch unter anderem die hinteren Seitenfester der Targa-Konstruktion angepasst, eine linke und eine rechte Antriebswelle für das Rollo designt und deren Antriebsmechanismus untergebracht werden.

Das Sonnenrollo besitzt einen eigenen Kippschalter und kann stufenlos geöffnet werden. Es verschwindet auch automatisch, wenn man das Targa-Dach öffnet.

Hinzu kommen zwei Antriebe für das Glasdach (die befinden sich unter der Hutablage), ein Steuergerät mit fünf separaten Anschlüssen in einer kleinen Aussparung hinter der Rücksitzlehne, ein Brückenadapter sowie ein Relais im zentralen Sicherungs- und Relaiskasten. Nicht zu vergessen Drainageschläuche und ein Dichtgummisystem. Zusammen sorgen sie noch heute in genialer Manier dafür, dass man das Dach auch nach einem Regenguss öffnen kann, ohne dass Wasser in den Innenraum gelangt. Hinzu kommen noch ein paar mechanische Bauteile wie Führungen und Tragschienen sowie zwei Schalter zur Bedienung. Kurzschlussschäden verhindern die Sicherungen 13 und 35. Die in Wagenfarbe lackierten Längsträger fungieren als Überschlagschutz. Porsche überließ Dachspezialist Webasto die Umsetzung der Konstruktion und den Bau des gesamten Dachmoduls und schraubte und klebte es selbst am Band auf Basis von verstärkten 993-Cabrios. Die Linie des Daches orientierte sich am einst umstrittenen Konzept des Prototyps Panamericana. Das Konstrukt an sich war Porsche übrigens nicht ganz unbekannt: Bereits Ende der 70er

Jahre hatte Porsche am 924 ein Dach erprobt, bei dem sich ein Glasdach bewegte – in diesem Fall schob es sich aber über die Heckscheibe. Die Kritiker des Glasdachprinzips zeterten beim 993, das Dach wäre zu schwer, der Schwerpunkt recht hoch und damit würde der Targa schlechtere Fahrleistungen bieten. Ein Vergleich zwischen dem (grundsätzlich) heckgetriebenen 993 Targa mit Tiptronic wie bei unserem Testwagen und dem 993 Coupé mit Hinterradantrieb und gleicher Viergang-Automatik bringt Klarheit: Das Coupé wiegt 1.395 Kilogramm, der Targa 1.425. Damit ist der Targa um 30 Kilogramm schwerer. Allerdings ändert das laut Werksangaben nichts an den Fahrleistungen trotz leicht unterschiedlichem Leistungsgewicht (Coupé 4,89 und Targa 5 Kiloramm pro PS): Beide beschleunigen gleich schnell, nämlich in 6,4 Sekunden. Auch der Top-Speed beträgt einhellige 270 km/h.

Selbst bei den unwissenden Heißspornen, die glaubten, man würde unter dem Glas gebraten werden, brachen die Ingenieure das Eis: Tests in den Tropen ergaben, dass sich ein Targa mit gespannter Jalousie nicht stärker aufheizt als ein Coupé. Und die Kopffreiheit ist im Targa sogar größer als in den anderen Karosserievarianten (im Cabrio selbstverständlich bei geschlossenem Dach), besonders für die meist kleinen Fahrgäste im Fond. Das liegt an der leicht geänderten Dachlinie, die hinten für eine lichtere Höhe sorgt. Genug Theorie. Hinein in die Typnummer 993-410, den Targa der dritten Generation, in unserem Fall gepflegt und an uns ausgeliehen vom Porsche-Museum. Keine 8.200 Kilometer hat das Auto auf der Uhr, und einen genauso ungebrauchten Eindruck macht der Targa. Offen ist er schon (siehe oben), also die wunderbaren fünf Einzelinstrumente im Blick links den Zündschlüssel drehen – nachdem wir die doch sehr altmodisch wirkende externe Wegfahrsperre mittels Knopfdruck am Schlüsselanhänger deaktiviert haben. Der Sechszylinder-Boxer im Heck gurgelt luftig und hofft, dass wir bald seine 285 PS (dank variablem Ansaugsystem »Varioram«, das es im 993 ab 1996 gibt, vorher waren es 272 PS) auf die Hinterräder loslassen. Wir versuchen, mit dem Gangwählhebel »D« zu treffen und merken, dass so etwas heute dann doch eine ganze Ecke exakter geht. Die winzige Ganzanzeige im Hauptinstrument weist aus: Der Tiptronic-Targa (der 993 war optional mit Viergang-Tiptronic zu haben) fährt im Automatikmodus stets im zweiten Gang an – dank des 340 Newtonmeter starken Drehmoments.


TECHNISCHE DATEN

Porsche 911 Targa (993)

  • Motor: Sechszylinder-Boxer
  • Hubraum: 3.600 cm³
  • Gemischaufbereitung: DME, sequenzielle Benzineinspritzung
  • Zündung: DME, Doppelzündung mit Klopfregelung
  • Maximale Leistung: 285 PS bei 6.100/min
  • Höchstgeschwindigkeit: 275 km/h (Tiptronic 270 km/h)
  • 0–100 km/h: 5,4 Sekunden (Tiptronic 6,4 s)

Bis auf die aus heutiger Sicht recht langsamen Gangwechsel der Tiptronic zeigt sich der 993 noch absolut modern: Steifer als seine Vorgänger – zum Beispiel durch eine geklebte Frontscheibe – zieht er seine Bahnen durch den Schwarzwald, wohin wir das gute Stück bei bestem Sonnenschein gelenkt haben. Der Targa hängt gut am Gas, aber erst beim Kick-down zeigt er, was wirklich in ihm steckt. Die Lenkung ist so präzise, dass man auch ohne Übung in den ersten Kurven keinen Millimeter am gewählten Lenkradeinschlag korrigieren muss – nur der Wendekreis von fast zwölf Metern erscheint recht groß. Dann die Bremse – bei Porsche schon immer aus dem obersten Regal, aber im 993 so perfekt dosierbar und vertrauenswürdig, als könne sie auch in modernen 911 adaptiert werden.

Und so rauschen wir auf den Targa-exklusiven, zweiteilig verschraubten 17-Zöllern durch den Schwarzwald und nerven das Targa-Dach mit allen möglichen Versuchen wie Bedienung bei jedem Tempo und stoppen an jeder Stelle. Auch wenn’s total idiotisch ist, machen wir das Auto auch mal inklusive Seitenfenster völlig zu bei 24 Grad und heftigster Sonneneinstrahlung – so was gehört leider zum Test. Nur um (wie erwartet) festzustellen, dass sich das Dach wie ein Coupé-Dach verhält inklusive Schalldämmung. Also schnell wieder auf, was die Laune sofort verbessert, die Sicht nach hinten aber verschlechtert. Denn rechnet man die Sonnenbrille mit, geht der Blick nach hinten erst durch getönte Gläser auf der Nase, dann in den Rückspiegel, dann durch das dunkle Glas des Targa-Daches und letztlich noch durch das dicke Heckscheibenglas. Das Ergebnis: eingeschränkte Rücksicht. Aber ein Porsche wird ja seit jeher dazu gebaut, nach vorn zu blicken.

Vielleicht ist der 993 Targa tatsächlich nicht so urtümlich und eigenwillig wie seine Vorgänger, aber er ist zweifellos eleganter. Das liegt übrigens nicht nur am Dach: Die Entwickler hatten beim 993 im Vergleich zum Vorgänger 964 zum Beispiel alle Fensterrahmen schmaler gemacht. Die Frontscheibe rückte um drei Millimeter nach außen, die hinteren Seitenscheiben um sieben Millimeter. Das Ergebnis: mehr Platz im Innenraum, weniger Windgeräusche, weniger Luftwiderstand und eben ein grundsätzlich eleganteres Auftreten. Das alles gab es beim Targa zum Preis von 145.000 Mark. Damit war er um 12.000 Mark teurer als das Coupé, aber noch rund 6.000 Mark billiger als das Cabrio. In zweieinhalb Jahren Bauzeit entstanden lediglich 4.585 Stück. Entsprechend hoch wir der 993 Targa heute, zu seinem 25. Geburtstag, gehandelt. Los geht es bei um die 50.000 Euro. Wer einen Wagen mit unter 100.000 Kilometer Laufleistung sucht, liegt schnell bei 70.000 Euro. Für ein Exemplar der letzten luftgekühlten Targa aller Zeiten scheint jedoch auch das nicht zu viel.