Florian Neher
· 07.03.2023
Er ist der Trennstrich zwischen den klassischen Elfern und der Neuzeit, spaltet die Szene in die Gusseisernen und die Modernen, denen Performance mehr bedeutet als Tradition. Der zum Modelljahr 1998 debütierte Typ 996 verdient also eine genauere Betrachtung
Auch wenn die luftgekühlte Fraktion alle Elfer nach dem 993 scheut wie der Teufel das Weihwasser: Fakt ist, dass der 996 die erste vollständige Neukonstruktion nach dem Urmodell von 1963 war. Mag ein 993 Turbo oder gar GT2 noch so breitbeinig daherkommen, das kleine Greenhouse mit der steilen Frontscheibe verrät, dass der Urtyp buchstäblich noch in ihnen steckt. Damit war 1997 endgültig Schluss. Auf der IAA in Frankfurt stand neben dem bereits ein Jahr zuvor präsentierten Boxster der neue 911 – und sie glichen sich von vorn wie ein Ei dem anderen.
Tatsächlich wurden der Boxster-Typ 986 und der 996 gemeinsam entwickelt und Chefdesigner Harm Lagaaj stand vor der Herausforderung, einen Mittelmotor- sowie einen Heckmotor-Sportwagen bis zur B-Säule identisch zu gestalten. Das kostensparende Gleichteilekonzept betrifft beim Vorderwagen alle Abteilungen, vom Fahrwerk über Scheinwerfer und Kotflügel bis hin zur Elektrik und dem Cockpit. Gegenüber dem 993 wächst der 996 in der Länge um 19 cm bei acht cm mehr Radstand, auch in der Breite legt der Elfer ein paar Fingerbreit zu. Und endlich, endlich steht, nein, liegt die Frontscheibe deutlich flacher, was nicht zuletzt für einen von 0,34 auf 0,30 verbesserten cW-Wert sorgt. „Neben dem neuen 911 wirkt der alte wie ein Relikt aus vergangenen Tagen“, schrieb ein Motorjournalist anlässlich des ersten Tests im Oktober 1997.
Schock: Wasserkühlung!
Die ganz große Revolution findet allerdings im Heck statt: „Mit der Motorisierung haben wir herumprobiert, denn die luftgekühlten Zweiventiler waren technologisch in Sachen Emissionen und Leistung am Ende. Luftgekühlte Vierventil-Boxer haben aufgrund diverser nicht in den Griff zu bekommender Wärmenester nicht funktioniert. 1989 steckte versuchsweise sogar ein kompakt bauender V8 im Heck, aber auch diese Idee wurde verworfen. Und so kamen wir auf wassergekühlte Boxermotoren als Vierventiler“, sagt August Achleitner, damals Leiter der Abteilung „Technische Produktplanung, Fahrzeugkonzepte und Package inklusive Sonderprojekte“ und somit strategischer Chef der 996-Gesamtfahrzeugkonzeption. Wasserkühlung – für viele 911-Traditionalisten ein noch größerer Schock als die „Spiegeleier“-Scheinwerfer, die Porsche anno 2002 per geändertem Leuchtendesign und weißen Blinkern entschärfte.
Einen brauchbaren 996 Carrera bekommt man heute schon für 25.000 Euro. Nicht jedoch Turbo, GT3 und den seltenen Targa (rechts) – die sind längst in festen Händen ...
Im April 1998 wurde das Cabriolet nachgereicht – mit einem vollelektrischen Verdeck, das sich in 20 Sekunden öffnet oder schließt. In geöffnetem Zustand verschwindet es unter einer Blechklappe, sodass keine Persenning nötig ist. Rund sechs Monate später stellt Porsche dem Duo einen allradgetriebenen 911 Carrera 4 als Coupé und Cabrio zur Seite – mit der jeweiligen Karosserie des Basis-911. Dieser Allrad-Carrera und der 305 km/h schnelle, vierradgetriebene 911 Turbo, der ab Januar 2000 mit einem 420 PS starken Biturbo-Motor zu haben ist, gehören von Anfang an in die Produktplanung. Achleitner: „Bei der Konzeption des 996 haben wir den Tunnel in der Karosserie so groß gemacht, dass dort ein Allradstrang hineinpasst. Das erforderte Kompromisse: Wegen des Gleichteilekonzeptes besaß der Boxster auch dieses Detail, obwohl er nie mit vier angetriebenen Rädern zu haben war.“ Der 911 GT3 hingegen, der im Mai 1999 auf den Markt kommt, entsteht eher zufällig: Weil sich das Motorsportreglement ändert, baut Porsche einen 360 PS starken Ableger des 911 als Homologationsfahrzeug für die Straße und als Nachfolger des 911 Carrera RS.
Die Geburtsstunde des GT3
„Der wirtschaftliche Erfolg sowie die Stückzahlen waren anfangs nicht groß,“ verrät Achleitner. „Und trotzdem markierte der 911 GT3 den Anfang der Etablierung einer eigenen Marke – weil wir mit dem 911 GT3 der Generation 996 für einen deutlichen Unterschied von alltagstauglichem Elfer und Motorsport für die Straße sorgten.“ Im Januar 2001 folgt der 911 GT2 auf Basis des 911 Turbo mit 3,6-Liter-Boxer und 462 PS, der erstmals mit serienmäßigen Keramikbremsen verzögert.
Im Modelljahr 2002 wird die Generation 996 überarbeitet. Der Hubraum wächst von 3,4 auf 3,6 Liter, die Leistung des Carrera steigt von 300 auf 320 PS. Neu zur Familie stößt der 911 Targa sowie das 911 Carrera 4S Coupé mit der breiten Karosserie des 911 Turbo. 2003 folgt die offene 4S-Version. Zum Modelljahr 2004 bietet Porsche den Turbo auch als Cabriolet an sowie – als eines von diversen Sondermodellen – das 911 Carrera Coupé „40 Jahre Porsche 911“ mit 345 PS, Sportfahrwerk und elektrischem Schiebe-Hebedach. Ab dem Modelljahr 2005 ist der Turbo S als Coupé sowie als Cabriolet mit 450 PS erhältlich. Nie vorher gibt es so viele Varianten eines 911 wie bei der Generation 996. Porsche verkauft insgesamt etwa 175.000 Exemplare.
Jetzt noch einen gepflegten 996 wegstellen!
Und heute? Nun, derzeit stellt der 996 die günstige Möglichkeit dar, an einen 911 zu kommen, die Preise beginnen bei 20.000 Euro. Höchste Zeit einzusteigen, denn auch der 996 hat seinen festen Platz in der 911-Geschichte. Spricht man vom 993 ehrfürchtig als „der letzte Luftgekühlte“, so könnte der 996 durchaus als „erster Wassergekühlter“ Kultstatus erlangen. Also am besten jetzt noch einen Handschalter wegstellen, der wenige Vorbesitzer, viele Scheckheft-Stempel und unter 100.000 Kilometer auf der Uhr hat …