Der Bulli für Jedermann?

Arne Olerth

 · 17.10.2023

Der Bulli für Jedermann?Foto: Tino Pauli
VW Multivan 1.5 TSI DSG Multivan kurz
Basis-Ausstattung und Einstiegsmotor – damit wird der Multivan für Viele erreichbar. Doch reicht das zur Bewältigung des Familienalltags?
Ein Hauch von Oberklasse: das zweifarbige, piekfein verarbeitete Armaturenbrett. Das obere Handschuhfach ist eine Reminiszenz an den T2-Bulli der Siebzigerjahre
Foto: Tino Pauli

Volkswagen hat ein Herz für die Familie: Ganz gleich, ob Einzelkind oder Geschwisterpaar – die Eltern können aus dem großen Produktportfolio des Autobauers wählen. Selbst Großfamilien werden fündig, und das gleich mehrfach. Satte sieben Sitzplätze etwa bietet auf Wunsch der Referenz-Van Touran, das große, lifestylige SUV Tiguan Allspace oder der vergleichsweise rustikale Caddy. Mit optionalem DSG startet dieser als Siebensitzer bei 34.796 Euro, der Touran bei 41.055 Euro und der Tiguan Allspace bei 43.805 Euro – jeweils mit dem Vierzylinder-Turbobenziner 1.5 TSI.

Doch seien wir ehrlich: Mit jedem Kind steigt gerade auf großer Fahrt auch das Gepäckaufkommen gewaltig. Schnuffeltier und Lieblingsbuch, vielleicht noch ein spezielles Spielzeug? Und auch der Roller darf nicht vergessen werden. Ein üppiges Laderaumvolumen beruhigt an dieser Stelle ungemein. Nicht umsonst gilt der Multivan daher seit Generationen schon als Traumauto eines jeden Familienvaters. Die neue Version in schmucker Zweifarblackierung, einem kräftigen Motor – etwa der 2.0 TSI aus dem Golf GTI oder der eHybrid –, dazu eine edle Lederausstattung, große Alu-Felgen und das Panoramaglasdach – das ist der Stoff, aus dem automobile Träume der Großfamilie gestrickt sind. Doch die Preisliste holt deren Finanzvorstand schnell in die Gegenwart zurück: Solch ein Luxus-Bulli überschreitet schnell die Marke von 60.000 Euro – zu viel für manch Haushaltskasse.

Doch beginnen wir mit der Bulli-Konfiguration noch einmal von vorn, lassen die Luxus-Ausstattungen links liegen, wählen die Einstiegsvariante „Multivan“. Die kombinieren wir mit dem Basismotor 1.5 TSI – und landen mit dem optionalen Siebensitzer-Paket bei einem Basispreis von gerade einmal 46.589 Euro. Damit sind wir gerade noch in Schlagdistanz von Tiguan Allspace und Touran. Neben seinem deutlich größeren Raumangebot im Fond kann der Multivan mit seinen Sitzplätzen Nummer sechs und sieben punkten, die genauso großzügig vollwertig ausfallen wie die ersten fünf. Das ist bei den erwähnten Volkswagen aus dem Pkw-Programm nicht der Fall: Auf Teenager mag die letzte Sitzreihe zwar einen ganz eigenen Reiz ausüben, Erwachsenen möchte man diese Plätze aber nicht zumuten – erst recht nicht auf längeren Strecken. Doch sind 136 PS nicht eben üppig bemessen für einen ausgewachsenen Bulli mit knapp zwei Tonnen Leergewicht. Zudem haftet einer Basisausstattung stets auch der Ruf von Verzicht an – etwas, das man bei einer Investition von über 46.000 Euro so gar nicht haben will. Wie tauglich ist das Angebot also wirklich? Werden damit nur Asketen glücklich, oder kann sich der Basis-Multivan gar das Etikett „Geheimtipp“ an die schnittig geformte Karosserie heften?

Multivan zum Pkw-Tarif

Glauben Sie uns, wir waren schon lange nicht mehr so gespannt auf den Test-Bulli, hatten sich bis dato doch nur hochkarätig ausstaffierte Multivans dem GF-Test gestellt. Und hoppla, trübe Tristesse will so gar nicht das Thema von WOB-NK-137 sein. Auch ohne Zweifarblackierung kann der Multivan seine Wirkung entfalten. Sicher: Die Optionslackierung in Blaumetallic hat ihren Anteil daran, doch kostet sie mit 1.065 Euro nur einen Bruchteil der stimmungsvollen Zweifarblackierung (3.094 Euro). Wer an dieser Stelle sparen möchte: VW Nutzfahrzeuge lackiert den Multivan aufpreisfrei in den Farben Weiß und Grau. Um den günstigen Bulli-Preis zu realisieren, setzt der Hersteller auch bei den Rädern den Rotstift an. Kamen die bisherigen Test-Multivans auf schicken 18- beziehungsweise 19-Zoll-Alufelgen, so rollt dieser Bulli auf vergleichsweise schmächtigen 16-Zoll-Felgen. Die Alu-Option (625 Euro) sorgt zumindest für etwas Glanz, in Serie kommt der Multivan mit Stahlfelgen und Kunststoffradkappen.

Dafür packt Volkswagen leuchtstarke LED-Scheinwerfer mit in das erstaunlich großzügige Ausstattungspaket, Matrix-Licht (IQ.Light) ist optional verfügbar. Doch so famos dieses System auch arbeiten mag, 1.660 Euro Aufpreis wiegen bei unserer preissensiblen Betrachtung doch schwer. Zumal die Serien-Leuchteinheiten einen richtig guten Job machen. Auch achtern gibt es LED-Technologie, passt.

Fünf Sitze sind Serie, sechs oder sieben möglich – stets in freundlichen, bicoloren Bezügen
Foto: Tino Pauli
LED-Scheinwerfer sind Serienstandard. Optional gibt es Matrix-LED-Scheinwerfer (IQ.Light) mit maskiertem Dauerfernlicht
Foto: Tino Pauli

Innen kann die Einstiegslinie das volle Multivan-Verwöhnaroma entfalten: Hell und freundlich wirkt das zweifarbig gehaltene Interieur – oben in Beige und unten in einem hellen Grau. Das Konzept wurde konsequent umgesetzt, sowohl bei den Verkleidungen als auch bei den Sitzbezügen. Dazu gibt es eine hochwertige Armaturentafel, ebenfalls zweifarbig konzipiert. Verarbeitung und Materialwahl sind über jeden Zweifel erhaben. Digitale Anzeigen, ein Lederlenkrad mit haptischen Multifunktionstasten und der schlüssellose Startknopf „Keyless Start“ – alles Serie. Genauso wie das Multimediasystem mit Touchscreen, das eine Sprachbedienung genauso mit sich bringt wie eine Freisprecheinrichtung. Praktisch: Die Unit spiegelt auch das Smartphone, via USB oder kabellos. So kann mit gespeicherten Podcasts oder Lieblingsliedern die Stimmung der Reisenden hochgehalten werden. Neben „Pettersson und Findus“ oder „Benjamin Blümchen“ lässt sich auf diese Weise auch die Smartphone-Navigation integrieren. Wer bei stärkerer Nutzung dann doch auf die ergonomisch sinnvollere Werkslösung umsteigen will, kann diese im Nachhinein freischalten. Smart! Der Multivan erkennt Verkehrszeichen, gibt Hinweise, etwa zu Tempolimits. Auch Parkpiepser, der Spurhalteassistent „Lane Assist“ und ein Tempomat sind mit an Bord. Sogar an eine Höhenverstellung für die Vordersitze wurde gedacht, sowie an eine Klimaanlage. Sollte noch Luft im Budget sein, so würden wir dieses Paket um die Dreizonen-Climatronic und die Sitzheizung vorne (488 Euro) erweitern.

Fünf Sitze und ein geniales Schienensystem

Der wahre Trumpf des T7 Multivan aber ist sein raumgewaltiger Fond mit variabler Möblierung. Schiebetüren an beiden Seiten (Serie) erleichtern dabei den Zugang. Drei (Serie Multivan) bis fünf Einzelsitze lassen sich auf einem Schienensystem blitzschnell verschieben, genial. Auch ihr Ausbau gelingt flott, sie lassen sich etwa umgedreht wieder einclipsen. Bei voller Besetzung schrumpft der verbleibende Kofferraum freilich flott, Volkswagen schafft das Problem auf Wunsch mit einem verlängerten Aufbau (1.880 Euro) aus der Welt. Damit steigt die Aufbaulänge von 4,97 Meter auf 5,17 Meter, das Kofferraumvolumen hinter der dritten Sitzreihe wächst dadurch von 469 auf 763 Liter. Doch wie passt der 1.5 TSI zu solchen Gedankenspielen, die das Gewicht des Multivans weiter erhöhen?

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Mit seinen schwarzglänzend lackiertenAußenspiegeln, denLED-Scheinwerfernund der schwarzenDekorblende dazwischen macht auchder Basis-Multivaneine gute Figur
Foto: Tino Pauli

Um das zu bewerten, schicken wir den Bulli auf die Messstrecke. Der Sprint auf Tempo 100 sorgt für erstaunte Gesichter – und eine direkte Wiederholung der Prozedur: Mit 12,5 Sekunden stößt der Multivan nicht nur in etablierte Pkw-Regionen vor, er unterbietet auch die Werksangabe glatt um eine Sekunde – ganz offensichtlich stand der TSI gut im Futter. Doch einerlei ob 12,5 oder 13,5 Sekunden – der Basismotor stempelt den Multivan keinesfalls zum Verkehrshindernis. Mit 182 km/h Spitze eignet er sich durchaus auch für flotte Autobahnetappen. Flotter bis sportlich sind der TDI beziehungsweise der eHybrid und der 2.0 TSI, doch für die Bewältigung der täglichen Transportprobleme ist der 1.5 TSI allemal tauglich. Und das ist wohl die eigentliche Aufgabe eines Multivans. Ein früh anliegendes Drehmomentplateau von 220 Newtonmetern erlaubt lässiges Mitschwimmen im Verkehrsgewühl, ohne dass der Turbo-Otto nervenaufreibend hoch drehen muss. Die Siebengang-DSG schaltet daher flott die Gänge hoch, ohne spürbare Gangwechsel – perfekt.

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Handling auf Pkw-Niveau

Dazu serviert das klasse abgeschmeckte Fahrwerk ein Handling auf Pkw-Niveau: Präzise setzt der Multivan Befehle der mitteilsamen Lenkung um, durcheilt Kurven ohne störendes Eigenlenkverhalten, schmeichelt den Passagieren mit tollem Komfort. Die 16-Zöller unterstützen diesen, ohne die Präzision zu kasteien. Kurz: Das Fahrwerk ist so gut wie in keinem Bulli davor, macht Appetit auf mehr. Grenzen setzt der 1.5 TSI. Er empfiehlt sich als Allrounder für den entspannten Fahrer, doch für sportliche Ambitionen mangelt es dem Motor schlichtweg an Punch. Wer aber lieber reist statt rast, kommt mit dem kleinen TSI gut zurecht – selbst bei voller Besetzung –, wird mit Verbräuchen um die acht Liter belohnt. Es kommt eben immer auf die Einstellung an. Alle anderen greifen zum TDI, der mit seinen 360 Newtonmetern die Massen leichtfüßiger pariert.

Bild 1
Foto: Tino Pauli
Optional kommen die äußeren Sitze mit Schubladen (132 Euro inklusive zwei Abfallbehälter)
Foto: Tino Pauli
Leichtfüßige Präzision und Pkw-ähnlicher Komfort, ganz ohne das bekannte Bulli-Wanken – der Multivan serviert ein klasse Fahrerlebnis. Noch besser kann das nur der ID. Buzz

Achtung: Der Multivan 1.5 TSI ist aktuell nicht bestellbar, zumindest bis Sommer 2024. Dennoch lohnt es sich, bei den Händlern nach Ausstellungsfahrzeugen zu fahnden, bietet er doch volle Multivan-Kompetenz zum Pkw-Preis. Da werden selbst Touran und Tiguan Allspace neidisch.


Test kompakt

Multivan-Fahren muss nicht teuer sein: Mit dem 1.5 TSI-Motor und der Basisausstattung ist der Bulli für Viele erreichbar. Das großzügig geschnürte Ausstattungspaket passt genauso wie die Motorleistung, die für lässiges Bulli- Cruisen allemal ausreicht. Wer freilich gerne voll beladen auf der linken Autobahnspur räubert oder Luxus-Attitüden hegt, sollte einen anderen Multivan wählen.