Gute Fahrt
· 17.09.2025
Der VW Tiguan ist ein Erfolgsmodell – nicht umsonst hat sich der Wolfsburger Hochsitz im vergangenen Jahr 67.057 Mal in Deutschland verkauft und führt damit das SUV-Segment an. In Zeiten der Elektromobilität hat Volkswagen mit dem ID.4 jedoch einen direkten Konkurrenten aus dem eigenen Haus ins Rennen geschickt, der auf die gleiche Kundschaft abzielt. Mit 21.611 Neuzulassungen im Jahr 2024 kann der elektrische Ableger zwar noch nicht mit dem Verbrenner-Bestseller mithalten, doch die Ähnlichkeiten im Format machen einen direkten Vergleich interessant.
Auf den ersten Blick sind die Unterschiede in der Karosserie überschaubar. Der ID.4 ist mit 4584 mm Länge nur 4,5 Zentimeter länger und mit 1852 mm einen Zentimeter breiter als der Tiguan. Deutlicher fallen die Unterschiede beim Radstand aus: Fast zehn Zentimeter mehr Abstand zwischen den Achsen (2771 mm beim ID.4 gegenüber 2677 mm beim Tiguan) verschaffen dem Elektroauto spürbar mehr Beinfreiheit im Fond. Konkret bedeutet das 35 Millimeter mehr Kniefreiheit bei gleicher Einstellung des Vordersitzes.
Dieser Raumvorteil wird allerdings durch die geringere Dachhöhe relativiert. Der ID.4 trägt sein Dach 24 Millimeter niedriger und lässt es zudem flacher auslaufen als der Tiguan. Das führt dazu, dass größere Passagiere auf der Rückbank leicht gebeugt sitzen müssen. Der Tiguan punktet hier mit seiner variablen Raumnutzung: Seine Rückbank lässt sich geteilt in der Länge verschieben und die Lehnenneigung anpassen – beides Funktionen, die der ID.4 nicht bietet. Auch beim Kofferraumvolumen hat der Verbrenner mit 652 bis 1650 Litern die Nase vorn gegenüber den 543 bis 1575 Litern des Elektroautos.
Das höhere Gewicht des ID.4 macht sich bei der Zuladung bemerkbar. Mit 2157 kg Leergewicht bringt er über 500 kg mehr auf die Waage als der Tiguan (1615 kg). Die Zuladung fällt mit 533 kg entsprechend geringer aus als beim Verbrenner mit 555 kg. Noch deutlicher ist der Unterschied bei der Anhängelast: Während der Tiguan bis zu 1800 kg ziehen darf, muss sich der ID.4 mit 1000 kg begnügen – ein wichtiges Kriterium für viele Käufer in diesem Segment.
Bei der Bedienung setzen beide VW-Modelle auf moderne Touchscreens, wobei der Tiguan immerhin noch einen zentralen Drehknopf für Fahrmodi und Lautstärkeregelung bietet. Die Sprachassistentin IDA erweist sich in beiden Fahrzeugen als hilfreich und reaktionsschnell. Sie reagiert zuverlässig auf Befehle zur Temperaturregelung, Radioauswahl, Navigationsziele oder zur Aktivierung der Sitzheizung. Wer äußert, dass ihm kalt oder warm ist, bekommt umgehend eine Anpassung der Klimaanlage um ein Grad.
Das Fahrerdisplay fällt im ID.4 deutlich kleiner aus und liefert nur die wichtigsten Informationen. Immerhin wird es durch ein Head-up-Display ergänzt, das zusätzliche Fahrdaten ins Sichtfeld des Fahrers projiziert. Der Tiguan verwöhnt dagegen mit einem großzügigen Digitalcockpit, das verschiedene Anzeigestile und sogar eine vollformatige Navigationskarte darstellen kann.
Die Touchbedienung auf dem zentralen Bildschirm überzeugt in keinem der beiden Modelle vollständig. Besonders die Slider für Temperatur und Lautstärke erfordern zu viel Aufmerksamkeit während der Fahrt. Im ID.4 kommen zusätzlich die überempfindlichen Schaltflächen im Lenkrad negativ zum Tragen, während der Tiguan hier auf konventionelle Tasten setzt.
Bei den Fahrleistungen zeigen sich die konzeptionellen Unterschiede am deutlichsten. Der zum Vergleich angetretene ID.4 Pro mit 286 PS (210 kW) ist fast doppelt so stark wie der Tiguan 1.5 eTSI mit 150 PS (110 kW). Das spiegelt sich in der Beschleunigung wider: Während der heckgetriebene Elektro-SUV in 6,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h sprintet, benötigt der frontgetriebene Tiguan dafür 9,1 Sekunden. Bei der Höchstgeschwindigkeit liegt allerdings der Verbrenner mit 210 km/h deutlich vor dem auf 180 km/h begrenzten ID.4.
Zusammen mit dem außerordentlich komfortabel abgestimmten Fahrwerk hinterlässt der ID.4 den geschliffeneren Fahreindruck. Der Tiguan bietet zwar ausreichend Kraftreserven für den Alltag, wirkt Last aber akustisch präsenter. Auch bei der Federung zeigt sich der Elektro-SUV von seiner besseren Seite und meistert selbst schlechte Straßenbeläge souveräner als sein Verbrenner-Pendant.
Die Achillesferse des ID.4 bleibt die Reichweite. Im Praxistest wurden 351 Kilometer ermittelt – weniger als die Hälfte der 797 Kilometer, die der Tiguan mit einer Tankfüllung schafft. Der Testverbrauch des ID.4 lag bei 24,8 kWh/100 km, deutlich über dem WLTP-Wert von 15,8 kWh/100 km. Auch der Tiguan verbrauchte mit 6,9 l/100 km etwas mehr als die WLTP-Angabe von 6,1 l/100 km.
Interessanterweise würde auch die schwächere ID.4-Variante "Pure" mit 170 PS keine bessere Reichweite bieten. Diesem Basismodell steht nur ein 52-kWh-Akku zur Verfügung (gegenüber 77 kWh beim Pro), was laut WLTP zu einer Reichweite von lediglich 357 Kilometern führt. Der stärkere Pro verspricht nach WLTP immerhin 556 Kilometer. Auch bei der Ladeleistung gibt es Unterschiede: Der ID.4 Pure lädt serienmäßig nur mit 50 kW (145 kW für 650 Euro Aufpreis), während der Pro standardmäßig mit 135 kW lädt.
Bei den Anschaffungskosten liegt der ID.4 Pro mit 46.335 Euro über dem Tiguan 1.5 eTSI, der für 42.880 Euro zu haben ist. Allerdings bieten teilnehmende Volkswagen-Partner aktuell einen Elektrobonus von 3570 Euro, der diesen Unterschied nahezu ausgleicht. Für den ID.4 empfiehlt sich die Wärmepumpe für 990 Euro als sinnvolles Extra. Derzeit muss allerdings das Infotainment-Paket für 2300 Euro mitbestellt werden, da vorkonfigurierte Modelle ohne dieses Paket nicht verfügbar sind.
In der Gesamtkostenbetrachtung über vier Jahre und 60.000 Kilometer zeigt sich der Tiguan als wirtschaftlichere Alternative. Zwar fallen für den Verbrenner höhere Kraftstoffkosten (7783 Euro gegenüber 6547 Euro für Strom) und Wartungskosten (1600 Euro gegenüber 1000 Euro) an, und die Kfz-Steuer von 504 Euro für vier Jahre entfällt beim Elektroauto komplett. Doch die höheren Versicherungskosten des ID.4 (6132 Euro gegenüber 4872 Euro für den Tiguan) und vor allem der deutlich höhere Wertverlust (24.483 Euro gegenüber 17.658 Euro) führen zu Gesamtkosten von 38.163 Euro für den ID.4 gegenüber 32.417 Euro für den Tiguan.
Pro Kilometer ergibt sich damit ein Kostenvorteil von zehn Cent für den Verbrenner (0,54 Euro gegenüber 0,64 Euro). Kombiniert mit der höheren Alltagstauglichkeit durch größere Reichweite, mehr Variabilität im Innenraum und höhere Anhängelast spricht die Gesamtbilanz trotz der besseren Fahrleistungen und des komfortableren Fahrwerks des ID.4 aktuell noch für den Tiguan mit konventionellem Antrieb.
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