Der Spaß am Offenfahren gehört zu Porsche wie der Boxermotor. Schon das allererste Auto des jungen Sportwagenherstellers, die 1948 im österreichischen Gmünd noch von Hand geformte und gefertigte »Nr 1, Typ 356«, war ein reinrassiger Roadster und mithin für dachlose Fortbewegung bestimmt. Die Serienversion des 356 erfreute sich als Cabriolet besonderer Nachfrage, von den Speedster-Varianten ganz zu schweigen. Anfang der 60er-Jahre rollte jeder sechste Porsche in einer Open-Air-Variante vom Hof. Damit stand eigentlich fest, dass es auch vom neuen Modell – die Entwicklung des noch 901 genannten 911 lief auf Hochtouren – eine offene Version geben musste. Doch so einfach lagen die Dinge nicht.
Denn zum einen schöpfte schon das 911 Coupé die Kapazitäten in Stuttgart-Zuffenhausen vollends aus – ein wie auch immer gearteter Cabrio-Ableger genoss zunächst keine Priorität. Zum anderen schwappten aus den USA, dem entscheidenden Exportmarkt der aufstrebenden Marke, besorgniserregende Nachrichten über den Atlantik: Dort waren offene Autos ins Kreuzfeuer einer Sicherheitsdebatte geraten. »Unsafe at Any Speed« hieß das Buch, das der selbst ernannte Verbraucheranwalt Ralph Nader 1965 veröffentlichte. Es sollte den US-amerikanischen Automarkt schwer in Schwierigkeiten bringen und, so schien es, dem automobilen Frischluftvergnügen den Garaus machen.
Porsche reagierte wie immer: pragmatisch – mit einem »Sicherheits-Cabriolet«, das die Idee des Überrollbügels aus dem Motorsport für die Serie adaptierte, allerdings viel formvollendeter als die plumpen Rohrkonstruktionen von der Rennstrecke. Am 11. August 1965 ließ sich der Sportwagenspezialist die revolutionäre Verdecklösung patentieren. Der Name für die neue Karosserieform entpuppte sich ebenfalls als Glücksfall: »Targa«. Die Kurzform des sizilianischen Langstreckenrennens »Targa Florio«, das Porsche in fünf Jahren viermal gewonnen hatte, heißt auf Deutsch übersetzt »Schild« …
Auch der 1969 eingeführte 914 erhielt ein herausnehmbares Dachmittelteil. Anfang 1970 bestellten vier von zehn Käufern ihren Elfer in der Offen-Variante. Doch das 911 Cabriolet, ab Modelljahr 1983 erhältlich und mit elektrischer Verdeckbetätigung viel praktischer, stürzte die Beliebtheit des Targa in Turbulenzen. Ende 1993 kam das vorläufige Aus. Der letzte klassische 911 Targa entstammte der Baureihe 964. Zeit für eine Neubesinnung.
Das neue Dachkonzept ließ nicht lange auf sich warten, schon 1995 war es für den Neunelfer vom Typ 993 so weit. Und es stellte das bisher Gesehene nach 30 Jahren auf den Kopf: Der Sicherheitsbügel läuft nicht mehr quer über das Auto von B-Säule zu B-Säule, sondern reicht – quasi um 90 Grad gedreht – als seitliche Stahlblechstrebe jeweils vom vorderen Windschutzscheibenrahmen nach hinten. Besonderheit dieser Bauweise: Sie schafft Platz für ein geradezu riesiges und aus zwei Teilen bestehendes Glasdach, das sich bis zum Heck erstreckt. Porsche hat die eigene Idee noch mal neu gedacht und neu erfunden.
Wer seinen Targa nicht fortlaufend über Rundstrecken prügelt, wird den höheren Schwerpunkt beim Fahren kaum merken.
Die Reinkarnation des Targa überzeugt mit markanten Vorteilen. Vielleicht der wichtigste: Auch wenn die transparenten Panoramascheiben geschlossen bleiben, weil vielleicht das Wetter nicht mitspielt, sorgt das luftig helle und lichtdurchflutete Interieur für gute Laune – solange das Rollo zum Schutz vor Sonne und Kälte elektrisch eingefahren wurde. Andernfalls bewahrt es den Innenraum vor zu starker Aufwärmung und sorgt für ein intimeres Ambiente.
Ein zweiter Druck auf den Kippschalter in der Mittelkonsole, schon gleitet das Targa-Dach bei jedem Tempo fast lautlos nach hinten, wo es sich unter die Heckscheibe schiebt. Dann ist der Eindruck unbegrenzter Kopffreiheit nahezu komplett – und beinahe ungestört, denn der Windabweiser am oberen Scheibenrahmen hält Luftverwirbelungen im Innenraum unter Kontrolle. Die Sommerfrische gelangt sozusagen geräusch- und turbulenzfrei ins Auto.
Gegenüber dem 911 Cabriolet kommen ganz praktische Eigenschaften hinzu. Etwa das niedrigere Geräuschniveau bei geschlossenem Dach, das tatsächlich das Level des Coupés erreicht. Die bessere Sicht nach hinten inklusive des Heckscheibenwischers. Der höhere Widerstand, den das sieben Millimeter starke Verbundglas des Targa gegenüber Einbrechern und Waschanlagen leistet. Oder auch die etwas großzügigere Kopffreiheit, von der besonders die Mitfahrer auf den beiden Notsitzen profitieren. Und, nicht zu vergessen, natürlich die ausgeprägte Sicherheit speziell bei einem Überschlag: Die seitlichen Bügel schützen die Passagiere ebenso effizient wie das Stahldach des Coupés.
Naturgemäß bringt der neue Targa viel Licht mit, da lässt sich etwas Schatten nicht verbergen: 30 Kilogramm wiegt der Glasdach-Elfer mitsamt seiner drei Elektromotoren mehr als das Coupé – puristische Sportfahrer runzeln die Stirn. Zudem fällt das Mehrgewicht genau da an, wo es am ungünstigsten ist: weit oben in der Karosserie, wo es sich besonders auf den Schwerpunkt auswirkt. Richtig ist aber auch: Wer seinen 286 PS starken Targa nicht fortlaufend über Rundstrecken prügelt, wird den Unterschied kaum merken.
Das neue Dachmodul kommt an. Und wird weiterentwickelt: Auch die nächste Elfer-Generation, die 996-Baureihe mit erstmals wassergekühltem Boxermotor, erhält 2001 eine 320 PS starke Targa-Variante. Die wartet mit einer ganz eigenen Besonderheit auf: Erstmals besitzt ein Porsche 911 eine Heckklappe. Schwingt sie auf, ergibt sich ein freier Zugang zur Gepäckablage im Fond, die bei umgeklappten Rücksitzlehnen immerhin 230 Liter anbietet. Dies bedingt aber auch zusätzliche Karosserieverstärkungen, die Gewicht kosten: 70 Kilo bringt der Targa mehr auf die Waage als das 996 Coupé.
2006 feierte der nächste Targa Premiere, nun auf Basis der 997-Generation. Wieder schiebt sich das Glasdach innerhalb von nur sieben Sekunden um fast einen halben Meter nach hinten und öffnet der Sonne eine 0,45 Quadratmeter große Luke zum Hineinscheinen. Dafür ist der komplette Auftritt anders: Diesen 911 Targa bot Porsche ausschließlich mit Allradantrieb und der 44 Millimeter breiteren Karosserie des S-Modells an – ganz gleich, ob der 325 PS starke 3,6-Liter-Sechszylinder (später mit Direkteinspritzung 345 PS) oder das 3,8 Liter große S-Aggregat mit 355 PS (mit Direkteinspritzung 385 PS) im Heck für Furore sorgt. Die elegante Seitenlinie des Dachrahmens wird auch von der seitlichen Zierleiste aus poliertem und eloxiertem Aluminium betont.
Die drei Testexemplare zeigen: Anstatt ihn dem 911 Cabriolet zu opfern, hat Porsche den Targa rechtzeitig neu erfunden. Die Kulturrevolution des Offenfahrens ist gelungen.