Ende 1968 erwarb Alois Ruf sen. in Fellbach bei der Firma Hahn einen gebrauchten, alten Elfer mit leichtem Unfallschaden und schenkte ihn seinem Sohn Alois Ruf jr., damit dieser – nach dem lange erwarteten Erwerb des Führerscheins – etwas zum Basteln, zum Lernen und dann zum Fahren hatte. Was die Freude etwas trübte: Der fehlende Sechszylinder musste durch den 90 PS starken Vierzylinder eines 912 ersetzt werden, dessen Leistung nach der Meinung des Vaters für einen jungen Fahranfänger völlig ausreichte.
Für den Sohn war die Einschränkung kein Problem, und sein erster eigener 911 war in den nächsten Jahren das ideale Objekt, den heute zum Klassiker gereiften Elfer intensiver kennenzulernen. Der Elfer mit 912-Herz wurde im 911-S-Trim geschmückt und in Dunkelblaumetallic – »Code 84, meine absolute Lieblingsfarbe« – lackiert. Der Wagen begleitete Alois Ruf ein paar Jahre lang, sollte dann verkauft werden. Doch der Kaufinteressent beschädigte ihn bei der Probefahrt, und Alois Ruf beschloss, ihn auf ewig zu behalten – so blieb er in Pfaffenhausen in einer Halle und legte sich für einen längeren Winterschlaf zur Ruhe. Denn mittlerweile warteten neuere Modelle und viele Projekte auf Alois Ruf – dass er nur wenige Jahre später seine eigenen Fahrzeuge unter dem Namen RUF bauen würde, konnte damals noch niemand ahnen.
»Uns überholte bei dichtem Regen ein blauer Schemen, in eine dichte Gischtwolke gehüllt – wir hatten den neuen Porsche gesehen und gehört.«
»Mein Vater und ich waren schon länger dem Porsche-Virus verfallen, und als wir im Frühjahr 1964 auf der Autobahn nach München unseren ersten 911 – der damals ja noch 901 hieß – sahen und hörten, war die Begeisterung groß. Uns überholte bei dichtem Regen ein blauer Schemen, in eine dichte Gischtwolke gehüllt, und ließ unseren Opel Rekord nur so stehen. Uns war sofort klar: Wir hatten den Prototyp des neuen Porsche gesehen und gehört. Dass dieser blaue Schemen knapp 60 Jahre später in meiner Garage stehen würde, konnte damals natürlich noch kein Mensch ahnen.«
In den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann Alois Ruf sich intensiver um den 911 zu kümmern, ihm mehr Leistung, mehr Individualität zu geben und gern auch die Technik zu modifizieren – so baute er schon vor dem Werk die ersten 911 Turbo mit Fünfganggetriebe. Dann folgten der legendäre »Yellowbird«, der ein paar Jahre lang das schnellste Serienauto der Welt war, und Modelle wie der CTR 2 und CTR 3, die das Haus Ruf in der Welt der Supercar-Owner weltbekannt machten. Modelle, die die Nachfrage nach den Autos »Made in Pfaffenhausen« anheizten – jährlich sollten seitdem etwa 25 bis 30 handgearbeitete Preziosen für anspruchsvolle Kunden in aller Welt entstehen. Parallel dazu entwickelte sich das Unternehmen auch zu einem der besten Restaurierungsbetriebe für ältere Porsche-Modelle. Hier kann man bei der Wiederauferstehung von 904-GTS-Modellen, diverser Carrera-Varianten zusehen – vor ein paar Jahren war sogar der 914/6-GT-Rallyewagen, der 1971 mit Björn Waldegård bei der Rallye Monte Carlo auf Rang drei gefahren war, zur Generalüberholung aus den USA angereist.
Für Hans Mezger konstruierte die Entwicklungsabteilung sogar einen Dachgepäckträger.
So blieb der erste eigene 911 viele Jahre lang in einer Halle verborgen – erst als Ehefrau Estonia anmahnte, dass der Wagen zum 60. Geburtstag des Elfers doch endlich restauriert werden möge, begann sich Alois Ruf mit dem Projekt näher zu beschäftigen. »Mir war immer klar, dass mein erster Elfer ein ganz frühes Modell gewesen sein musste – viele Details versprühten noch den Charme des Unvollendeten, teilweise auch des Improvisierten, und etliche Details schienen nicht zu stimmen. Doch als dann die Restaurierung in Angriff genommen wurde, wurde klar, dass dieser 901 in kein Schema passte – der Wagen war offensichtlich ein echter Versuchswagen, an dem nach Lösungen gesucht und mögliche Lösungen erprobt wurden.« Dann wurde die Chassis-Nummer 13 326 entdeckt, und unter diversen Lackschichten fand sich auch die Originallackierung Emailblau 6403 – langsam wurde klar, dass es sich bei diesem 901 um den sechsten gebauten 901-Prototyp handelte. Nun wurde es spannend: So stellte sich beispielsweise heraus, dass die Chassis-Nummer 13 326 der erste 901 mit einem Armaturenbrett mit fünf Rundinstrumenten war – die ersten fünf Gefährte hatten noch zwei Rundinstrumente.
Im Laufe der Recherchen wurde auch der Werdegang dieses 901-Prototyps klarer: »Der im September 1963 fertiggestellte Wagen erhielt damals den Spitznamen ›Quickblau‹ und diente zuerst als Ausstellungswagen, der am 16. Oktober auf der Earls Court Show in London Premiere feierte. Dann gibt es Anzeichen dafür, dass das Coupé in Stockholm und in Berlin präsentiert wurde – und ab dem 15. März 1964 konnte der Wagen auf dem Autosalon in Genf bewundert werden, wo er jedoch etwas im Schatten der Weltpremiere des 904 Carrera GT stand. Anschließend wurde die Nummer 6 der Entwicklungsabteilung übereignet und erhielt einen echten Motor, für die Ausstellungen war bis dato im Heck lediglich ein Dummy-Triebwerk aus Holz montiert.
»Ob Ferdinand Piëch bei unserem Treffen im Regen am Steuer saß? Wir werden es nie wissen. Aber möglich wäre es, so schnell, wie er fuhr.« Alois Ruf
Nun stand der Wagen dem Versuch zur Verfügung, wo er unter anderem im Herbst 1964 auf dem Hockenheim-Ring bei Reifentests eingesetzt wurde. Im September 1965 wurde »Quickblau« von Hans Mezger als Dienstwagen übernommen, der ihn dann am 30. Dezember 1965 für 7.500 Mark erwarb. Dieser mehr als faire Preis war sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass Ferdinand Piëch als sein Chef den Betrag mitbestimmen konnte.
Hans Mezger fuhr den Wagen zwei Jahre lang und bereiste mit seiner Familie Deutschland und Österreich, wo man regelmäßig Ferien machte – für das Familiengepäck konstruierte die Entwicklungsabteilung sogar extra einen Dachgepäckträger. Hans Mezger verkaufte seinen blauen Porsche Ende 1967 mit 63.381 Kilometern auf dem Tacho an den Unternehmer Walter Vetter, der in Fellbach bei Stuttgart eine Busfabrikation besaß. Nun schließt sich langsam der Kreis, denn Walter Vetter hatte im Sommer des Jahres 1968 auf einer Rennstrecke (Hockenheim?) einen leichten Unfall und erwarb einen neuen 911. Den Unfallwagen bot er dem Autohaus Hahn in Fellbach an, wo ihn Alois Ruf sen. entdeckte, der ihn für seinen Sohn zum Preis von 3.500 Mark erstand. Der wiederum reparierte in den nächsten Monaten den Heckschaden, montierte den 912-Vierzylinder und sorgte in den folgenden Jahren mit viel Liebe zum Detail für die Optik eines 911 S, »obwohl im Heck noch immer der 356-Motor arbeitete – aber das störte mich nicht«.
Nun hatte Alois Ruf in den vergangenen Jahren schon etliche der raren 901-Vorserienwagen restauriert und dabei viel über den Elfer in seiner frühesten Ausprägung gelernt – »aber die Fahrgestell-Nummer 13 326 forderte uns noch mehr, denn zu diesem Fahrzeug gab es ja keine Vorbilder, an denen wir uns orientieren konnten. Dieser Wagen ist das Ur-Modell«.
Und es gab noch ein weiteres Problem: »Schade war, dass Porsche damals, als der Wagen im September 1965 vom Versuch freigegeben und verkauft wurde, bereits über einen Serienmotor verfügte – der ursprünglich montierte Erprobungs-Sechszylinder war zuvor ausgetauscht worden.« So war der Wagen zwar komplett, jedoch ohne ein Triebwerk aus der frühen Erprobungsphase – doch einmal mehr kam der Zufall zu Hilfe: »Ich erhielt einen Anruf von dem Hausmeister einer Berufsfachschule, der den Auftrag hatte, einen alten Porsche-Sechszylindermotor, der als Anschauungsobjekt diente, zum Verschrotten zu bringen. Er hatte gehört, dass ich alte Porsche restaurierte, und bot ihn mir an, falls ich ihn abholen würde.« Der Jahrzehnte zuvor von Porsche gestiftete Motor entpuppte sich als Motor Nummer 22 – womit nun auch ein ganz früher Sechszylinder bereitstand.
Der Aufwand hat sich gelohnt – bei seinem ersten Auftritt in der Öffentlichkeit gewann die Chassis-Nummer 13 326 gleich bei dem prestigeträchtigen Concorso d’Eleganza Villa d’Este die Porsche-Klasse und den Sonderpreis »The Most Iconic Car«. In Pebble Beach dann die Krönung der Arbeit in Form zweier Awards: Best of Porsche – 75th Anniversary und Best of Design – Arts Center Pasadena, womit »Quickblau« zu den höchstbewertesten Porsche der Welt zählen dürfte.
»Wenn man der Marke Porsche seit mehr als einem halben Jahrhundert so eng verbunden ist wie ich, ist der Besitz dieses 901-Prototyps die Krönung meiner Leidenschaft für frühe Porsche-Elfer – und dass ausgerechnet dieser Wagen seit knapp 55 Jahren in meinem Besitz ist, fällt mir noch immer schwer zu glauben. Und ich frage mich noch immer, ob bei unserem ersten Treffen in einer Gischtwolke im Herbst 1964 Ferdinand Piëch am Steuer gesessen ist – so schnell, wie wir damals überholt wurden, müsste er es eigentlich gewesen sein.«