Florian Neher
· 08.06.2023
Ursprünglich sollte dieser Einzeltest mit folgender Zahl beginnen: 61.251 – der Einstiegstarif in Euro für den Porsche 718 Boxster. Kaum die Hälfte des Preises eines 911 Carrera Cabrio in Grundausstattung. Was in der GUTE-FAHRT- Redaktion die Frage aufkommen ließ: Ist ein 300-PS-Basis-Boxster wirklich nur halb so viel wert – oder gar nur halb so gut – wie ein 385 PS starkes Carrera Cabrio?
Dann, wenige Tage vor Redaktionsschluss, hat Porsche die Preise saftig angehoben: Der 718 Boxster startet jetzt bei 65.968 Euro, eine Preiserhöhung um beachtliche 4.717 Euro. Doch das Carrera Cabrio zog freilich mit, sein Basiskurs kletterte mal eben um 9.000 auf 136.773 Euro. Die Paritäten sind also gewahrt: Der offene Elfer ist nach wie vor mehr als doppelt so teuer wie der offene 718, womit der Aufhänger dieser Geschichte derselbe bleibt. Wenngleich der Boxster, kürzlich noch finanziell „vielleicht irgendwann gerade so“ erreichbar, jetzt wieder enteilt ist wie der Schmetterling dem Netz.
Und doch fällt es schwer, für nun eben 65.968 Euro etwas fahrdynamisch Vergleichbares zu finden. Okay, S-GO 2040 rollte nicht wirklich im Basistrimm auf unseren Hof, denn solche nackigen Modelle halten die Testwagenfuhrparks der Hersteller gar nicht erst bereit. Man könnte ja den Unmut der Redakteure auf sich ziehen, wenn etwa keine Lenkradheizung an Bord wäre oder der sogenannte Fachjournalist gar selbst schalten müsste. Dabei hätten wir am liebsten genau das getan: einen Handschalter in Minimalausstattung getestet – eben die puristischste, leichteste und preisgünstigste Variante. Sozusagen ein cleveres Clubsport-Modell durch Verzicht, ein selbst gemachter Boxster CS.
Pustekuchen! Der Testwagen hatte unter anderem an Bord: Doppelkupplungsgetriebe (PDK), Tieferlegung mit zweistufiger Adaptivdämpfung (PASM), Torque Vectoring, Sperre, Sport-Chrono-Paket, 20-Zoll-Räder, Ledersitze mit unnötiger elektrischer Verstellung samt noch unnötigerer Memory-Funktion, Parkpiepser mit Rückfahrkamera, Navigations- und Soundsystem. Was ihn knapp 90.000 Euro teuer machte – vor der Preiserhöhung, wohlgemerkt.
Immerhin ist der Motor ganz basic – was man angesichts der Fahrleistungen kaum glauben mag: Dank PDK und der im Sport Chrono Paket enthaltenen Launch Control schießt der Zweiliter-Boxer den mit Fahrer immerhin 1.440 Kilo schweren Roadster mit perfekter Traktion in gemessenen 4,6 Sekunden auf Landstraßentempo, nach 16,7 Sekunden liegen 200 km/h an. Das waren vor nicht allzu langer Zeit Supersportwagen-Fahrleistungen. Heute erledigt das ein Einstiegsmodell. Klar, mit manuellem Sechsganggetriebe würde es etwas länger dauern, das Werk gibt hier 5,1 respektive 18,3 Sekunden an. Mit dem Handschalter hat man so gesehen etwas mehr Zeit, die Beschleunigung zu genießen. Die Vmax beträgt hier wie da 275 km/h, die zwar mühelos erreicht werden, beim heutigen Autobahnverkehr aber schlicht lebensgefährlich sind.
Zum Glück ist die serienmäßige Stahlbremsanlage mit innenbelüfteten und gelochten Scheiben rundum auch ganz ohne Keramik höchst wirksam und standfest, zudem perfekt dosierbar bei steinhartem Druckpunkt. Mit den sehr sportlichen Pirelli P Zero in der Porsche- Spezifikation N1 sind damit Bremswege von nur 32 bis 33 Metern aus 100 km/h drin – auch zehnmal in Folge, ohne dass die Bremswirkung nachließe. Derart gerüstet, gelingen auch Nordschleifen-Runden in achtbarer Zeit, selbst ein Basis-718 kann hier zumeist mehr als sein Fahrer.
Dennoch ist auch die Anreise zum Nürburgring keine harte Tour wie etwa in einem GT- oder RS-Modell, das ständig auf Krawall gebürstet ist und erst richtig Freude bereitet, wenn man schon mit einem Bein im Gefängnis steht. Nein, nein, im 300-PS-Boxster schnürt man genussvoll offen über die Landstraße und ist erstaunt, wie viel Restkomfort die Adaptivdämpfung angesichts des doch eher geringen Federwegs ermöglicht. Und wie gut das Stoffverdeck im geschlossenen Zustand den Schall dämpft, so dass der gleich schwere 718 Cayman eigentlich keine Vorteile bietet. Der 718 macht also schon innerhalb der Tempolimits richtig Spaß. Darüber natürlich auch, denn er baut fast schon überirdischen Grip auf, verzahnt sich bombenfest mit dem Asphalt und folgt wie ein Slotcar der gewählten Linie. Man lässt ihn mit kleinen, sanften Schwüngen der ultrapräzisen, direkt übersetzten Lenkung laufen, dann ruht er wie ein Buddha in sich. Mit hektischem Rupfen am Lenkrad und gefühllosen Gastapsern fährt man hingegen nur unschöne Ecken in die Ideallinie.
Klar, bei vollständig deaktivierter Stabilitätskontrolle kann er auch gut kontrollierbar driften, ganz ohne Mittelmotor-Tücke, doch dazu muss man ihn brutal überfahren, was einer Zweckentfremdung gleichkommt. Der 718 ist und bleibt ein extrem schnelles Linienauto, das sich bis an die Grenzen der Haftung kaum bewegt, praktisch kein Eigenlenkverhalten an den Tag legt. Kurven aller Radien werden nach dem Prinzip „rein, rum, raus“ abgehakt. Dabei profitiert der Testwagen freilich von seinen Extras, dem PASM-Fahrwerk, der Differenzialsperre und dem Torque Vectoring, das den Wagen durch Bremseingriffe am kurveninneren Hinterrad noch williger in die Kurve zwirbelt.
Es gab schon Motorjournalisten, die dieses vollkommen neutrale Handling als langweilig bezeichneten – wir finden es schlicht perfekt, denn dieses Setup entspricht dem eines Rennautos, Unter- und Übersteuern kosten schließlich nur Zeit.
Jetzt müssen wir natürlich noch über den Sound sprechen. Der seit 2016 produzierte 718 des Typs 982 wurde von Anfang an wegen seines Klangs scharf kritisiert. Freilich kann ein Boxermotor mit vier Zylindern nicht so klingen wie einer mit sechs Töpfen. Die Wurzeln von Porsche liegen allerdings im Vierzylinder-Boxer, wie er etwa in den Typen 356, 550 und dem 718 von 1957 zum Einsatz kam. Ob der Klang des bis 7.500 (!) Touren drehenden Zwoliters nun wirklich naturschön ist, sei einmal dahingestellt– in jedem Fall klingt er sehr sportlich. Denn über das mechanisch-harte Timbre legt sich, insbesondere im Teillastbereich, ein dicker Turbo-Teppich aus appetitlichem Rauschen, Seufzen und Zischen – ein Fest für Lader-Liebhaber. Die Sechszylinder-Saugboxer der Vorgängermodelle verblassen in unserer Erinnerung schließlich endgültig angesichts des satten Durchzugs des Turbomotors, der schon knapp über 2.000 Touren 380 Nm stemmt, womit es sogar im als Overdrive ausgelegten, ultralangen siebten Gang noch akzeptabel vorwärts geht.
Ein perfektes Auto also? Bekommt der Neher etwa Geld von Porsche für diese Lobhudelei? Nein. Es gibt tatsächlich etwas zu kritisieren. Nämlich die schmalen, nach vorn runden Kopfstützen, die den Kopf bei einem Heckaufprall wohl eher seitlich abrutschen lassen anstatt ihn aufzufangen, wie es eine breite, löffel-förmige Stütze täte. Abgesehen davon sind die Sitze ebenso ideal wie die Sitzposition an sich: Das Popometer nimmt Platz im fahrdynamischen Zentrum, wo es alle Beschleunigungen genauestens spürt. Die auftretenden G-Kräfte kann sich der Fahrer im rechten der drei ansonsten analogen Instrumente ebenso anzeigen lassen wie die sinnvollen Infos zu Reifen-, Lade- und Öldruck sowie -temperatur. Auch sonst ist die Bedienung herrlich oldschool und tastenbasiert, getoucht wird allenfalls auf dem kleinen Navi-Bildschirm. Ebenso erfreulich die weitgehende Abwesenheit von Assistenzsystemen: Gegen Aufpreis sind neben Parkpiepsern und Rückfahrkamera ein Radar-Tempomat sowie ein optischer Totwinkelwarner erhältlich – das war´s. Keine Eingriffe ins Lenkrad, keine ungewollten Vollbremsungen, keine Bevormundung. Den 718 fährt man noch selbst.
Um den roten Faden wieder aufzunehmen: Für echtes Porsche-Feeling braucht es keinen Elfer, der mit 1,85 Meter für die Landstraße mittlerweile fast zu breit ist. Viel schlanker und leichter wäre ein handgeschalteter Basis-Boxster mit Sitzheizung (417 Euro), Tempomat (321 Euro), 64-Liter-Tank (statt 54 Liter, 119 Euro) und Reifenpannenset (60 Euro). Die Schwaben verschenken sogar etwas: Wer möchte, bekommt das Ablagenetz im Beifahrerfußraum gratis. Navigation? Würden wir per Smartphone vornehmen, gilt der Entfall des Navis bei Porsche doch als Leichtbaumaßnahme. Während der für 2025 avisierte vollelektrische Nachfolger bereits als Erlkönig seine Runden dreht und bis unters Verdeck mit Assistenzsystemen vollgepackt sein wird, sprechen wir also jedem, der es sich leisten kann, eine klare Empfehlung aus: Jetzt noch einen Verbrenner-Boxster kaufen. Einen der letzten echten Roadster für Alltag und Rennstrecke.
Motor
Leistung
Drehmoment
Fahrwerk
Serienbereifung:
Testwagen:
Kraftübertragung
Übersetzungen:
Jahreskosten
Karosserie
Assistenten
Serie:
Optional:
Test kompakt
Oldschool im allerbesten Sinne: Der 718 Boxster hat seinen geradlinigen Charakter über die Jahre gerettet, ohne allzu viele Assistenzsysteme davonzutragen. Das Ergebnis ist eines der letzten Autos für Selbstfahrer, fahrdynamisch überlegen und selbst mit „nur“ 300 PS sauschnell. Mit dem vollelektrischen Nachfolger wird 2025 die Ära des puristischen Verbrenner-Roadsters Geschichte sein.