Dino Medic
· 19.06.2025
Manchmal schwirrt einem ja der Kopf bei all den Modellpaletten der Hersteller. Ganz besonders trifft das selbst für Versierte auf den Porsche Taycan in der zweiten Generation zu. Die Zuffenhausener bieten ihrer Klientel – und allen, die es noch werden wollen – die ganz große Wahl: drei mögliche Karosserien von der schlanken Limousine bis zum angehauchten Offroad Shooting Brake, 16 verschiedene Modellkonfigurationen, 300 bis 760 kW Leistung, Allrad-und Hinterradantrieb. Mit dabei auch noch der absolute Topsportler Turbo GT mit oder ohne Weissach-Paket, also mit Carbon und ohne Rücksitze für maximale Performance. Zu guter Letzt wird der Taycan 4 ins Rennen geschickt, die Einstiegsvariante mit Allrad, die wir jetzt in den Bergen unter die Lupe genommen haben.
Doch erst mal zurück zu seinen Anfängen. Der erste Taycan erschien 2019 und ergänzte das Portfolio von Porsche um eine schnittige Viersitzer-Elektro-Limousine. Die ersten Modelle der zweiten Generation kamen 2024 in den Handel und finden nun ihren vorläufigen Abschluss im Taycan 4. Von Anfang an war das Modell als reiner E-Flitzer konzipiert – was man in erster Linie am Design merkt. Die Aerodynamik der Sportlimousine, die auch die erste Karosserievariante war, spielt im absoluten Topfeld mit: Der Luftwiderstandsbeiwert cW liegt bei 0,22. Zum Vergleich: Der 911 GT3 kommt hier auf 0,35.
Das alles wirkt noch einmal zurückgenommener als beim Vorgänger. Gerade die Front mit den neuen Lufteinlässen profitiert von der Kur und wirkt ruhiger, das Heck mit illuminiertem Porsche-Schriftzug ist ein nächtlicher Blickfang. Mit 4.963 Millimetern Länge und 1.966 Millimetern Breite ist er beileibe kein Kleiner. Die sportliche Höhe von 1.379 Millimetern klebt ihn aber optisch auf die Straße. 19-Zoll-Aeroräder sind serienmäßig dabei, optional geht es bis 21 Zoll. Bei unserem Testwagen waren 20-Zoll-Räder verbaut, die proportional und edel wirken und deren Pneus auch beim Einstiegsmodell insbesondere eines brauchen: ordentlich Grip.
DER TAYCAN HAFTET AUF DEM ASPHALT, IST IN JEDER LAGE HERR DER STRASSE
Das spüren wir auch bei unserer Tour hinaus in die bayerischen Berge, die wie von einem anderen Kontinent scheinen. Fast schon in die kanadischen Rocky Mountains fühlen wir uns versetzt, als wir von Lenggries aus mit dem Taycan die Windungen und Kuppen der Straßen zum Sylvensteinspeicher bis zur Vorderriss nehmen. Wir wählen den Sport-Modus, das Fahrwerk senkt sich merklich ab. Genüsslich treten wir aufs Gaspedal fast schon vor Kurvenausgang, typisch elektrisch drückt es uns sofort in die Sitze. Die 300 kW (408 PS) und 585 Nm liefern bei 2.245 Kilogramm Leergewicht genau die richtige Leistung auf alle vier Räder. Der Antrieb besteht aus je einer permanenterregten Synchronmaschine an Vorder- und Hinterachse und dirigiert die Limousine von null auf 100 in 4,6 Sekunden.
Sportlich kann der Lange also. Und was ist mit Nässe und – trotz des Frühlings – Temperaturen um den Nullpunkt? Kein Problem, der Taycan haftet auf der Straße, ohne auch nur ein My seiner Beherrschbarkeit zu verlieren. Das liegt am Zusammenspiel mehrerer Komponenten: der Servolenkung Plus, des Allradantriebs mit Porsche Traction Management und vor allem der adaptiven Luftfederung inklusive Porsche Active Suspension Management PASM. Während die Lenkung nur beim Einparken eingreift, haben die anderen Komponenten massiven Einfluss auf Komfort und Leistungsvermögen des Wagens. Gerade die Luftfederung mit aktivem Management reagiert extrem konstant auf jede Bewegung.
FAST SCHON MAGIE: DANK LUFTFEDERUNG SCHLUCKT DAS FAHRWERK SO GUT WIE ALLES
Über Schlaglöcher heizen, bremsen, neigen, einschlagen, beschleunigen: alle Karosseriebewegungen werden ausgeglichen – fast schon Magie. Die Zweikammer-Luftfedern arbeiten mit Zweiventil-Dämpfern. Dabei ist ein Ventil für die Zug- und eines für die Druckstufe zuständig. Feedback über den Sitz und das Lenkrad sind im Sport-Modus merk-, aber nicht stark spürbar, im Normal-Modus schluckt das Fahrwerk so gut wie alles. Luxuriöses Gleiten? Auch dabei. Die Passagiere im Fond merken selbst beim zügigen Dahingleiten wenig von der Straße – und können sich ganz dem vorbeiziehenden Panorama hingeben.
Dass die Mitfahrenden so entspannt bleiben, liegt außer dem Bord-Infotainmentsystem auch an den Sitzen. Schon die serienmäßig elektrischen Achtwege-Komfortsitze bieten guten Seitenhalt in Kurven als auch den Komfort einer Premium-Klasse. Deren Design würde manch einer schlicht nennen, andere wiederum sehen darin eine Hommage an den 911 früherer Tage mit dem Pepita-Stoffmuster und viel Wollanteil. Auf denen benötigte man noch richtig Sitzfleisch, doch die Zeiten sind auch beim Taycan vorbei.
Für einen Extraobolus gibt es adaptive Sportsitze. Und dazu auch eine kleine Überraschung – denn Features, die eigentlich auf dieser Ebene Standard sein sollten, sind Option: Das Head-up-Display wurde in dieser Konfiguration schmerzlich vermisst. Dafür gleicht das Infotainmentsystem samt optionalem Beifahrerdisplay einiges aus. Die Bedienung, die nur über Schaltflächen und Displays läuft, ist mittlerweile Geschmackssache. Einige Hersteller sind wieder zu haptischen Knöpfen zurückgekehrt, hier werden die Klimaanlage sowie der Hauptscreen über Touchdisplays bedient. Das funktioniert nach der üblichen Einarbeitungszeit tadellos, die Menüs sind übersichtlich gestaltet.
Ebenso optional gibt es für den Fond eine eigene Klimaanlagenbedienung per Screen, der großzügige und vor allem auch reichlich Kopffreiheit bietende Raum hinter dem Fahrer wird dadurch noch mal aufgewertet. Ebenso gibt es im Kofferraum Platz zur Genüge. Er ist nicht sonderlich hoch, aber angenehm lang. Porsche gibt das Volumen mit 407 Litern für den Trunk und 84 Litern für den Frunk an.
Auf der nächtlichen Rückfahrt testeten wir schließlich auch die Lichteinstellungen, die links neben dem Cockpit-Bildschirm auf dem Screen auswählbar sind. Den angenehm weit ausleuchtenden Lichtkegel bestätigten uns einige Lichthupen von entgegenkommenden Fahrzeugen. Serienmäßig sind Matrix-LED-Hauptscheinwerfer installiert, die auch eine automatische Fernlichtabblendung beinhalten – welche aber wohl dem einen oder anderen zu spät kam.
Zum Laden: Jedes Elektroauto muss früher oder mit frischem Strom versorgt werden. Beim Taycan 4 ist das allerdings vergleichsweise spät. Die Batterie hat eine Bruttokapazität von 89 kWh und nach Herstellerangaben eine Reichweite kombiniert von 560 Kilometern nach WLTP. Der Durchschnittsverbrauch soll also bei 17,6 bis 20,6 kWh auf 100 Kilometern liegen. Das ist angesichts der Leistungsdaten auch durchaus vertretbar, wer jedoch einen druckwilligen Knöchel sein Eigen nennt, landet wie wir auf der kombinierten Route über Stadt, Land und Autobahn bei 22,5 kWh – das allerdings auch bei teils eisigen Temperaturen, wohlgemerkt aber im reichweitenoptimierten Range-Modus.
Apropos eisig, die durch die Kälte schneller geleerte Batterie wollte natürlich schon unterwegs wieder geladen werden. Was sich allerdings als kleines Problem entpuppte, das auch schon den Vorgänger mitunter heimgesucht hatte: klemmende elektrische Ladeklappen. Nach etwas Zeit, Geduld und einem kleinen Spaziergang – denn neben dem „Trick“, die Ladeklappe von innen über den Bildschirm zu öffnen, hilft auch etwas Entfernung des Schlüssels zum Auto – funktionierte es dann. Normalerweise und bei besten Bedingungen lädt die Batterie bei maximal 270 kW in etwa 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent.
Gut gefüllt verlassen wir das bayerische Kanada, wie die Gegend um den Sylvensteinsee auch genannt wird, und machen uns Richtung München auf. Wieder auf städtischem Boden wieseln wir uns locker durch den Verkehr. Denn trotz der niedrigen Bauform haben wir nach vorn und zu den Seiten einen guten Überblick.
Und was bleibt sonst als Fazit? Nun, die elektrische Zukunft von Porsche bereitet uns keine Sorgen. Sportfeeling und der Luxus, den die Marke verkörpern will, kommen zweifellos rüber. Kleinigkeiten, die aber per Update ausmerzbar sind, trüben den Gesamteindruck ein ganz klein wenig. Doch das Gesamtpaket ist wahrlich premium. Ebenso wie der Preis. Denn der beginnt für den Taycan 4 bei 106.200 Euro. Das ist allerdings bei all den Taycan-Modellen angesichts des Gebotenen auch das beste Preis-Leistungs-Verhältnis.