ABSCHIED VOM AUDI R8Meine Ehrenrunde

Dino Medic

 · 16.10.2024

ABSCHIED VOM AUDI R8: Meine Ehrenrunde
Im Sommer rollte der letzte Audi R8 vom Band. GUTE FAHRT-Redakteur Dino Medic durfte ihn nochmal fahren. Ein „Nachruf“ auf ein jetzt schon legendäres Modell und einen zukünftigen Klassiker

Erinnern Sie sich noch an diesen Werbespot? Ein feuerroter Wagen fährt durch eine italienische Kleinstadt. Ein Vater hält bei diesem Anblick seinem Kind schockiert die Augen zu, alte und junge Männer recken ihre Fäuste dem Auto entgegen, auf ihren Lippen Flüche. Denn der feuerrote Wagen ist ein Audi R8, der am Ende des Clips an einem Ortsschild vorbeischießt: Maranello, Heimat von Ferrari.

Der Audi R8 war ein Angriff auf die Supersportwagen-Welt. Man wollte sich nicht mehr „nur“ mit Mercedes-Benz und BMW messen, sondern mit aller Welt, allen voran Italien. So schickten die Ingolstädter einen mutigen Konkurrenten in den Ring. Und der zog von der ersten Sekunde an alle in seinen Bann. Seine Form war für einen deutschen Produzenten auffällig auffällig, das Design modern und dennoch zeitlos, die Leistung enorm. Ein Blickfang – und für einen Jüngling wie mich damals ein wahr gewordener Traum.

Bissiger Blick: Der Single-Frame-Grill definiert seit dem Design-Konzept Le Mans quattro das Modell. Im Hintergrund eine der Parabolantennen der Erdfunkstelle Raisting am Südende des AmmerseesFoto: Dominik LangeBissiger Blick: Der Single-Frame-Grill definiert seit dem Design-Konzept Le Mans quattro das Modell. Im Hintergrund eine der Parabolantennen der Erdfunkstelle Raisting am Südende des Ammersees
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Das erste Serienmodell wurde im September 2006 auf dem Pariser Autosalon vorgestellt. Anfangs mit einem V8-Motor ausgestattet, war der Wagen nur als reines Coupé erhältlich. Ab 2009 kam eine Cabrio-Version hinzu, der Spyder, mit leicht angepasstem Aussehen – und mit geschlossenem Verdeck für mich die schönste Bauform. Das Design blieb unglaublich nah an dem futuristischen Design-Konzept Le Mans quattro aus 2003 und dem Filmauto RSQ aus dem Science-Fiction-Film „I, Robot“. Es geht unter anderem auf die Automobildesign-Ikone Walter de Silva und unter seiner Aufsicht auf den Designer Julian Hönig zurück – und setzte sich mit der zweiten Generation R8 4S ab 2016 fort. Und genau dieses Modell, in seiner stärksten Serienvariante als Facelift mit Allradantrieb, durften wir ein letztes Mal auf die Probe stellen.

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TOPLEISTUNGEN MIT ZEITLOSEM DESIGN – DER R8 IST BEREITS JETZT EIN KLASSIKER
Blaue Ziernähte unterstreichen das schnittige Renn-InterieurFoto: Dominik LangeBlaue Ziernähte unterstreichen das schnittige Renn-Interieur

Der Audi R8 Spyder V10 performance quattro in Arablau Kristalleffekt leistet 456 kW, also 620 PS. Bei 329 km/h Top-Speed ist Schluss. Mit einem maximalen Drehmoment von 580 Newtonmetern bei 6.600 U/min spurtet der Spyder von null auf 100 in 3,2 Sekunden, in 9,8 Sekunden von null auf 200 km/h. Kein Bemmerl, wie man in meiner Wiener Heimat sagt, keine Kleinigkeit. Das Gewicht liegt bei 1.770 Kilogramm – also 2,85 Kilogramm pro PS. Ermöglicht wird das durch das „Audi Space Frame“ aus Aluminium und kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff. Um Oliver Hoffmann, den Technischen Geschäftsführer der Audi Sport GmbH, zu zitieren: „Mit rund 50 Prozent Gleichteilen zum R8 LMS GT3 ist kein anderes Auto so nah am Rennsport wie der R8.“

Und das merkt man auch an allen Ecken und Enden: beim Preis von knapp einer Viertelmillion Euro beim Testmodell, beim Hinsehen, beim Einsteigen. Und vor allem aber am Sound: Denn der 5,2-Liter-V10 mit 5.204 Kubikzentimetern Hubraum zieht als Saugmotor selbst beim dezenten Losfahren am Straßenrand durch sein Röhren alle Blicke auf sich.

20-Zoll-Felgen, rote Keramikbremssättel und schicke Chromelemente: Beim R8 fährt Audi nur das Beste aufFoto: Dominik Lange20-Zoll-Felgen, rote Keramikbremssättel und schicke Chromelemente: Beim R8 fährt Audi nur das Beste auf

Für meine persönliche Verabschiedung verschlägt es mich in die weite Landschaft, ins Grün-Blau des Fünfseenlands südlich von München, auf Straßen, die sich durch die Gegend schlängeln. Hier lassen wir dem Motor freien Lauf und genießen bei offenem Verdeck die Fahrt. Der Allradantrieb und das Aero-Paket schlucken jede Kurve, man klebt förmlich auf der Straße. Die eigens abgestimmte und vollvariable Momentverteilung des quattro leistet ganze Arbeit: Je nach Situation können bis zu 100 Prozent an die Vorder- oder Hinterachse fließen. Das Siebengang-Automatikgetriebe S tronic schaltet, wie man es sich in einem solchen Flitzer erwartet, blitzschnell und ohne Kompromisse.

Das geschlossene Verdeck verändert die Silhouette und unterstreicht damit das HeckFoto: Dominik LangeDas geschlossene Verdeck verändert die Silhouette und unterstreicht damit das Heck

Doch ich schalte lieber selbst mit den Schaltpaddles hinter dem Lenkrad, auch wenn es wahrscheinlich langsamer ist. Die Federung leistet ebenfalls ausgezeichnete Arbeit: Was ich von der Straße merken soll, merke ich auch. Steigt man in die Eisen, greifen die Hochleistungs-Keramikbremsen sofort und die G-Kräfte wirken auf den Körper. Die Sportsitze in der niedrigsten einstellbaren Sitzhöhe fangen meinen Körper bestens auf, während mein Kreuz beim explosiven Beschleunigen ins Leder katapultiert wird.

Der Verbrauch? Komplett egal. Heute denke ich nicht daran, wie viel Sprit der Spaß kostet, wie viel die Versicherung oder gar die Kfz-Steuer. Beim Audi R8 geht es um Emotion, um Sport und um Luxus. Audi gibt 13,1 bis 13,3 Liter auf 100 Kilometer an. Nun, der Durst ist stärker. Nach meiner Fahrt kann ich gut ein paar Liter draufpacken, Super Plus, versteht sich. Der „Kofferraum“ unter der vorderen Haube reicht für einen Tagesrucksack. Ein Smoking, um stilgerecht in Monte Carlo aufschlagen zu können, hat also gerade noch Platz.

Wie in einem Rennwagen: Im schlichten Cockpit ist alles auf den Fahrer ausgerichtetFoto: Dominik LangeWie in einem Rennwagen: Im schlichten Cockpit ist alles auf den Fahrer ausgerichtet

Es weht eine leichte Brise, als ich in den Zielort, die Erdfunkstelle Raisting, einbiege. Melancholie breitet sich aus, die schmalen Straßen zerschneiden die totenstillen Felder. Kein Vogelzwitschern, nichts. An den ausladenden Antennenschüsseln nagt der Zahn der Zeit, zwischen den Betonplatten wuchert das Unkraut. Hier lebt die Vergangenheit vor sich hin, der Audi R8 ist nun ein Teil davon. Die Gegend kontrastiert gewaltig mit dem R8, mit seiner Sportlichkeit, die sich überall manifestiert. Das angenehm aufgeräumte Cockpit mit Monoposto mimt überzeugend einen Rennwagen. Alles ist auf ästhetische Funktionalität getrimmt. Keine überbordenden Zweitbildschirme, keine flimmernden Elemente. Erfrischend zurückgenommen, an alte Zeiten erinnernd.

Das Urmodell: Der Prototyp Le Mans quattro aus 2003 setzte Maßstäbe. Die Linie zog sich bis zum Schluss durchFoto: AudiDas Urmodell: Der Prototyp Le Mans quattro aus 2003 setzte Maßstäbe. Die Linie zog sich bis zum Schluss durch

Die letzte Fahrt ist vorbei, der Motor aus. Im Rückspiegel flirrt die Hitze aus dem Motorraum. In der Stille knistern die sich langsam abkühlenden Teile. Ich muss gestehen: Die Nachricht, dass Audi dieses Modell einstellt, betrübt mich, besonders nach der letzten Runde. Und doch ist dieser Weg verständlich. Neue Modelle treten an seine Stelle, die noch mehr Leistung versprechen. Neue Herausforderungen in neuen Motorsportklassen warten auf Audi. Jede Epoche hat ihre großen Autos. Der R8 ist eines von ihnen.