Text: Matthias Kriegel
Ein verheißungsvolles Versprechen macht Stefan Bogner gleich zu Beginn: „Japan ist echt. Kein Klischee“, notiert er im Editorial. „Auf unserer Reise haben wir auch aus diesem Grund versucht, dieses Japan zu sehen. Kein Entlanghangeln an touristischen Sehenswürdigkeiten, kein Abhaken von UNESCO-Weltkulturerbe-Punkten, kein sentimentales Segeln durch Wunsch- und Traumbilder, sondern Unterwegssein im Flow des Landes.“ Die Kurzversion dieser ausführlich formulierten Marschroute heißt bei Bogner: „Soulful Driving“ – mit diesem Motto ist jede „Curves“-Ausgabe bereits auf dem Cover überschrieben. Denn es geht nicht nur ums Fahren, sondern um das „Dazwischen“, das bewusste Erleben – von Straßen, Natur, Kultur, Kulinarik und all den Dingen, die eben nicht plan-, sondern nur erlebbar sind. Und so wird auch die neueste Ausgabe der „Curves“-Reihe zur spannenden Kombination aus Reisejournalismus, Fotokunst und Automobilkultur.
Auf 304 Seiten nimmt uns Bogner im Hochformat von 21,1 x 28 Zentimetern mit nach Japan. Fünf Etappen, knapp 25 Tage und rund 5.000 Kilometer: von den Vulkanlandschaften auf der nördlichen Insel Hokkaidō über die Tsugaru Iwaki Skyline auf der Hauptinsel Honshu, einer der gefährlichsten Berg- straßen der Welt; von den Küstenstraßen im Osten bis ins Hinterland von Fukushima; von den Japanischen Alpen in der Provinz Nagano über das Hakone-Gebiet bis ins pulsierende Tokio. Schon das Cover fasziniert mit einem Wunderwerk japanischer Infrastruktur: dem Nanataki-Viadukt – einer spiralförmigen Brücke, die an die Carrera-Bahn aus der Kindheit erinnert. Doch so sehr all diese Highlights beeindrucken: Das Überraschende findet sich dazwischen. Das Ungesehene, das auf keiner Bucketlist steht.
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CURVES JAPAN
Delius Klasing, 2025, 304 Seiten, 19,90 €
Jeder Etappe wird ein Kapitel gewidmet. Ergänzt wird sie von praktischen Details wie Karten, Routenempfehlungen, gefahrenen Höhenmetern und Hoteltipps. Die fast 400 Bilder geben den visuellen Rahmen vor, flankiert von Erzählungen, die das Gesehene ein Stück weit erlebbar machen. Die Beschreibungen geben den Bildern Kontext, gerade so viel, dass es nicht überladen ist, man die Motive auf sich wirken lassen kann. Dass das Buch zweisprachig herausgegeben wird, linke Spalte Deutsch, rechts Japanisch, verleiht dem Ganzen kein Störgefühl, sondern Authentizität. Es ist fast schon als grafischer Kniff zu verstehen – die japanischen Schriftzeichen fügen sich ins Layout so harmonisch ein wie die Straßen in die unberührte Natur. Und wenn der Autor beschreibt, wie der Sushi-Meister den frischen Fisch zubereitet, ist es, als ob man mit am Tisch säße.
Sobald er dann über das Fahren schreibt, wechselt man auf den Beifahrersitz. „Die Straße schmiegt sich wild und stürmisch zugleich in die Hügel, taucht mit großer Geste in Wälder ein, die wie Gemälde wirken, und zappelt sich dann wieder in Tälern frei. Jede Kurve ist wie der Takt einer Symphonie mit immer neuen Themen: mal ein lang geschwungener Kurvenbogen, dann ein enges Karussell, das Crescendo einer Serie von Kehren oder das Stakkato harter Richtungswechsel.“ Es ist fast schon Poesie, mit der uns der Autor die Etappe auf Hokkaidō miterleben lässt. Die gewählte Sprache steht dabei im Einklang mit der Fotografie – die in ihrer ganz eigenen Art poetisch ist.
Das Leitmotiv der Kurven gibt von Beginn an die Richtung vor. Auf rund drei Vierteln aller Bilder ist irgendwo eine Straße zu sehen, die sich ihren Weg durch die Landschaft bahnt – gerahmt von spektakulären Panoramen. Mal ist die Straße Hauptdarsteller des Motivs, man ist sofort auf sie fokussiert. Sie stört nicht, sie ist das gewisse Etwas, das das Bild in seiner Einzigartigkeit bestärkt. Dann ist die Straße wieder leise, nur ein kleines Detail der großen Komposition, in der man sich verliert.
Einige Motive verzichten auch komplett auf das Narrativ der Straße – aber nicht auf die Kurven. Natürliche Kurven, von der Landschaft geformt. Auch in diesen Bildern achtet Bogner auf sein Leitmotiv, das ihm als grafisches Element eine Orientierung gibt. Diese Kurven können wir nicht mit dem Auto erfahren. Aber wir lassen uns von ihnen leiten in unserer Art, das Motiv zu betrachten. Kurven wie der schmale Grat der Gebirgskette, der sich um den türkisblauen See im Tal windet. Die Steine im Vordergrund, die als Brücke über den Fluss führen und uns das entdecken lassen, was sich im Hintergrund verbirgt. Es scheint, als wären wir nur kurz aus dem Auto ausgestiegen, um die Schönheit am Wegesrand für einen Moment zu genießen.
In „Backstage“, dem letzten Kapitel, lässt Bogner die Details glänzen. Hier bestimmt die Vielfalt das Geschehen, wir sehen Fahrzeuge, Menschen, Überraschendes. Porsche-Modelle, die vor leuchtender Kulisse in Szene gesetzt werden. Streetart, kulinarische Highlights, Kirschblüten – kleine Details am Straßenrand, die nur das aufmerksame Auge wahrnimmt. In der Collage wird jedes Detail zum kleinen Kunstwerk. „Curves Japan“ ist eine Einladung an all jene, die dem Alltag für einen Moment entfliehen möchten, die das Smartphone beiseitelegen und all die Bilder und Erlebnisse intensiv auf sich wirken lassen – und für einen Moment völlig abtauchen.
Eines haben all diese Bilder gemein: Sie provozieren mit einer konsequenten Leere – und genau das ist das Konzept von „Curves“. Erst dadurch entsteht ein faszinierender Effekt. Die Leere ist nicht langweilig, sie ist aktivierend. Für gewöhnlich würde man noch etwas anderes erwarten: Fahrzeuge, vielleicht Passanten. Doch genau darauf verzichtet Bogner. Autos wären nur Details, die die Ästhetik verderben und von der Schönheit der Umgebung ablenken. Eine leere Straße aber, die funktioniert auch als Symbol. Für Reisedurst, für Fernweh, für Abenteuerlust. Man denkt sich selbst in diese Leere hinein, als ob man das Bild zum Leben erwecken möchte.