Dino Medic
· 11.03.2025
Im vergangenen Jahr schickte Audi seinen absoluten Topsportler quasi in den Ruhestand. Die Produktion des R8 wurde eingestellt, auch im Kundensport wird er seitdem nicht mehr fortgeführt. Das große Prestigeprojekt Formel 1 bindet offenbar alle Ressourcen der Ingolstädter. Die Lücke, die der R8 im Privatgeschäft hinterlässt, scheint schwer zu füllen zu sein. Dachte man – bis Audi die neueste Version seines elektrischen Sport Grand Tourer, den RS e-tron GT performance, präsentierte, eine Art geistigen Nachfolger. Augenrollen folgte mancherorts: eine E-Sportlimousine als Ersatz für den vollblütigen Sportler? Meinerseits herrschte indes keine Skepsis, sondern blanke Neugier auf das erste vollelektrische RS performance Modell. Wie würde sich der neue stärkste Audi schlagen? Passt der alte Ausspruch: Der König ist tot, es lebe der König?
Als ich dann in diesem Auto sitze, tanzen alle möglichen Beschreibungen in meinem Kopf herum. Doch von allen Begriffen trifft es ein Wort am besten: mühelos. Der Wagen funktioniert einfach. Einfach ganz mühelos. Das fängt schon beim Einsteigen in den Gran Turismo an. Mit einer Höhe von nur 1.379 Millimetern ist er fast ungewöhnlich niedrig im Vergleich zu all den übrigen Autos und insbesondere SUVs – und könnte möglicherweise das für Sportwagen übliche Reinschwingen benötigen.
Doch Audi hat hier schon das erste von vielen Komfort-Features verpackt: Die Hydraulik des Wagens hebt ihn um bis zu 77 Millimeter an. Möglich macht dies das serienmäßig verbaute Luftfederfahrwerk, optional gibt es ein Aktivfahrwerk. Und wenn beim Nähern an die Fahrertür die 4.997 Millimeter lange, 1.964 Millimeter breite und ein Leergewicht von 2.395 Kilogramm aufweisende Karosse auf und ab wippt, fühlt man sich gleich edel und freudig empfangen.
Doch so willkommen wir uns beim Start fühlen, so unwirtlich empfängt uns der Winter bei der Fahrt aus der Garage. Frostige Temperaturen und glatte Straßen prägen alsbald unsere Testfahrt, die unseren Fotografen und mich an einen Sehnsuchtsort führen wird: die Rennstrecke des Salzburgrings. Dort, wo große Rekorde aufgestellt werden, soll der e-tron GT performance sein ganzes sportliches Können zeigen. Auf dem Weg dahin können wir erst mal seine Langstreckentauglichkeit testen. Auf den ersten gut 200 Kilometern über Stadt- und Landstraßen und natürlich über die Autobahn lernen wir die Vorzüge des Audi kennen. Egal bei welcher Geschwindigkeit: Schon das geringste Drücken des Gaspedals lässt uns mühelos an allen Fahrzeugen vorbeiziehen. Lkws werden in Augenblicken abgehängt, Wankbewegungen beim Beschleunigen konsequent ausgeglichen, da rüttelt nix.
Einzig die Sicht um das Fahrzeug herum ist begrenzt. Flüchtige Blicke durch die Seiten- und das Rückfenster genügen nicht, fast schon zu klein geraten sind die Scheiben. Dafür sorgen die Assistenzsysteme, die auf unserer mehrere Hundert Kilometer reichenden Fahrt durchweg gut funktionieren, für eine entspannte Reise. Die lassen sich für sogenannte Puristen aber zu einem Großteil auch einfach abschalten.
Komplett auf die Tube drücken? Geht natürlich, aber der e-tron GT verlangt nach stil- und würdevollem Vorankommen. Wie auch immer: Die zwei PSM-E-Motoren, jeweils an Vorder- und Hinterachse, und das Fahrwerk leisten ganze Arbeit. Vorn wirken 252 kW (342 PS), hinten drücken 415 kW (564 PS) – zusammen eine Systemleistung von bis zu 680 kW (925 PS) bei 995 Nm. Der Topspeed liegt bei 250 km/h. Um eine solche Leistung dauerhaft abzurufen, wurde das Thermomanagement in den e-tron GT Modellen nachgebessert und für das performance Modell nochmals verfeinert. Gleiches gilt für die Zellchemie der Batterie. Das lässt den Boliden mit Launch Control und Allrad in 2,5 Sekunden von null auf 100 schießen. Beim R8? Da stand immer eine Drei vorm Komma.
Innen setzt sich das Bild eines Luxussportlers fort. Gefühlt fast schon lautlos schwebt man im Komfort-Modus über die Straßen – kaum mehr als ein leises Surren ist zu hören. Nicht nur, dass der E-Motor und alle Gewerke erstaunlich leise arbeiten, auch die Abschirmung von Außengeräuschen funktioniert tadellos. Immer wieder lassen wir den Blick über die Armaturen schweifen. Das Cockpit ist edel gestaltet, zahlreiche nachhaltige Materialien kommen zum Einsatz.
Mikrofasern und Kunststoffe wie Dinamica oder Kaskade ähneln Veloursleder und Naturfasern. Tatsächlich machen sie einen sehr wertigen Eindruck. Unser Testfahrzeug zieren außerdem matte Carbon-Camouflage-Elemente. Nun ja, über Geschmack lässt sich nicht streiten, die optionalen Topsportsitze überzeugen hingegen sehr: Über 18 Wege lassen sie sich einstellen. Zusammen mit der niedrigen Sitzposition bekommt man schnell ein sportliches Feeling.
MIT DEM NEUEN TOP-MODELL HEBT AUDI E-SPORTLICHKEIT AUF EINE NEUE EBENE
Die Navigation durch das Bordsystem funktioniert nach einer kurzen Einarbeitungszeit ruckelfrei. Die ist aber dringend nötig, denn nicht sofort erschließt sich einem jede Einstellung. Doch viele Bedienelemente wie zum Beispiel die Klimaanlage oder die Massagefunktion werden über haptische Knöpfe gesteuert oder gestartet. Nützlich: Beim Drücken der Massagefunktion am Sitz öffnet sich automatisch ein Bedienfenster am Display. Hier können Intensität und Massageart eingestellt werden. Nach dem zweiten Durchmassieren finden die Finger ihren Weg zu den richtigen Einstellungen, ohne dass man den Blick von der Straße nehmen muss.
Wie sieht es mit dem Komfort für Mitfahrende und Gepäck aus? Fond und Rückbank bieten trotz lang gezogener und flacher Linie vergleichsweise viel Platz. Durchschnittlich groß gewachsene Menschen haben selbst bei komplett nach hinten geschobenen Vordersitzen genügend Knie- und Kopffreiheit.
Mit 350 Litern ist der e-tron GT performance für einen Grand Tourer jedoch recht knapp proportioniert. Zwei Sachen stören zudem: Einerseits sind Ladekabel an Bord und nehmen dadurch schon ein wenig Platz ein, andererseits ist durch die Bauform der Kofferraum lang und breit, aber nicht hoch. Selbst ein zusammengeklappter Kinderwagen bereitet Kopfzerbrechen. Für erwachsene Insassen und mehrere Handgepäckkoffer genügt das Ladevolumen jedoch allemal.
Bevor wir ans Ziel gelangen, zieht es uns – natürlich für den Test – an die Raststätte am malerischen Mondsee zum Laden. Hier warten sechs Schnellladesäulen von Ionity und eine grandiose Aussicht auf die Natur. Mühelos gleiten wir in den letzten verbliebenen freien Platz und stecken das Ladekabel rechts vorn an die DC-Ladestelle. Nach nicht einmal einem flüchtigen Blick auf den See erkennen wir eine Ladeleistung von über 270 kW. Audi gibt bis zu 320 kW bei idealen Bedingungen an, aber der eisige Wind am See dringt durch Mark und Bein. So sind die 270 kW als Topwert zu lesen, der unserem Akku 62 kWh in 26 Minuten beschert. Die maximale Akkukapazität liegt bei 105 kWh, also 97 kWh netto. Auch die Zeit, in der ein sehr schneller Espresso serviert und getrunken worden wäre, hätte uns für das Laden und einige Hundert Kilometer genügt. Allein der Ausblick war’s …
Unser Ziel liegt, umgeben von der Kulisse der Salzburger Berge, inmitten einer kleinen Senke. Am Salzburgring angekommen, fühlen wir uns gleich wie zu Hause. Schon die sportliche Form auf dem Asphalt zu sehen, passt einfach. Während der S e-tron und der RS e-tron im Gegensatz zum Vorgänger schon sportlich geschärft wurden, springt die performance Version noch mal weiter: Eigene Front, eigenes Heck samt Diffusor mit vertikalem rotem Reflektor in der Mitte – die Zukunft von Audi im Formel-Rennsport lässt grüßen. Komplettiert wird der sportliche Auftritt von einem serienmäßigen Carbondach und den optionalen 21-Zoll-Felgen. Und die sind so gigantisch, wie sie aussehen.
Wir drehen einige Runden auf der Strecke. Die Kurven schmiegen sich in die Wände des kleinen Tals. Das Thermometer zeigt Temperaturen teils unter null. Das bedeutet in diesen Gefilden: Eis, viel Eis. So müssen wir ein wenig Vorsicht walten lassen und können hier nur erahnen, welche Kräfte wirklich im performance Modell schlummern. Doch wir genießen einfach diese ungewohnte Stille auf der Strecke, auch wenn es trotz allem in den Fingern kitzelt. Wie von Geisterhand wählen diese nach und nach alle drei RS Fahrmodi aus. Der Klang verändert sich, wird rauer. Futuristisch. Kühl. Dennoch liegt etwas Magisches darin. Die Gasannahme wird noch direkter, die Lenkung und das Fahrwerk sind auf maximales Feedback und Präzision ausgelegt. Lenkbewegungen werden sofort agil auf dem Asphalt umgesetzt, von knapp zweieinhalb Tonnen Gewicht keine Spur. Mühelos eben. Das alles fühlt sich gar nicht so synthetisch an, wie man es bei einem Elektro-Sportler vermuten könnte. Emotion geht also auch bei E.
Zurück in München lesen wir am Bordcomputer nach: Unser Verbrauch lag – für den Durchschnittsfahrer kaum als Vergleich tauglich – bei knapp 24 kWh auf 100 Kilometer. Audi gibt 19 kWh nach WLTP an. Auf die gesamte Kapazität hochgerechnet, sind das im tiefsten Winter 400 Kilometer. Die RS Modi fordern im Alltag ihren Tribut. Trotzdem bleibt die reale Reichweite durchaus in einem angebrachten Bereich.
Mein Fazit: Mich überzeugt der stärkste Serien-Audi aller Zeiten. Ausstattung, Leistung, Fahrverhalten – das alles gehört zum Besten, was man gerade bekommen kann. Und auch im Vergleich zum R8 schlägt er sich wirklich wacker. Die alte Rennsemmel hat einen würdigen Nachfolger, der dem Anspruch an die Zukunft absolut genügt. Selbst beim Preis schlägt der e-tron den R8. Die performance Version gibt’s ab 160.500 Euro. Wahrlich kein Schnäppchen, aber der R8 startete erst deutlich über 200.000 Euro. Alles Argumente für den e-tron. Aber eine Sache stört dann doch: Wie kriege ich als junger Vater jetzt den Kinderwagen rein?