TestVW Tiguan eHybrid – Des Kaisers neue Kleider

Arne Olerth

 · 22.01.2021

Test: VW Tiguan eHybrid – Des Kaisers neue KleiderFoto: Jan Bürgermeister

Der Tiguan ist das meistverkaufte Auto des VW-Konzerns. Damit das so bleibt, hat Volkswagen das SUV jetzt aufgehübscht. Neben neuer Optik und breiter Digitalisierung gibt es nun auch einen Plug-in-Hybrid-Antrieb. Ein Test des neuen Tiguan eHybrid

Schluss, aus, vorbei – der Titel des wichtigsten Volkswagens ist für den Golf Geschichte. Die Rolle des Königsmörders fällt dabei dem Tiguan zu: Das Kompakt-SUV gilt jetzt als erfolgreichstes Produkt – nicht nur der Marke Volkswagen, sondern des gesamten VW-Konzerns. So befremdlich der Titelverlust des Golf auf den ersten Blick auch wirken mag, so logisch ist er bei näherer Betrachtung: Das SUV-Segment boomt seit Jahren schon, gerade in der Kompaktklasse. Logisch, dass der universelle Allrounder aus Wolfsburg den Titel des meistverkauften SUV in Europa hält.

Los ging es 2007: Der Tiguan gewann souverän Test um Test und eroberte die Herzen der SUV-Fans im Sturm. Die Nachfrage ging stetig bergauf. 2016 kam Generation zwei – erstmals in MQB-Technik. Damit zogen modernste Technologien ein – und mehr Platz. Jetzt kam der Tiguan in den Genuss einer großen Modellpflege, optisch wie technisch. Dazu wurde das komplette Motoren-Portfolio modernisiert. Erstmals gibt es darin einen Plug-in-Hybrid. Der kombiniert elektrisches Pendeln zur Arbeit mit sorgenfreier Langstrecken-Mobilität am Wochenende. Und er erfreut den Dienstwagen-Fahrer: Wer ihn privat nutzt, muss nur 0,5 Prozent des Neupreises versteuern – bei TDI und TSI liegt der Satz doppelt so hoch. Mit eben diesem Doppelherz-Aggregat rollte der neue Tiguan zum ersten GUTE FAHRT-Test.

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Foto: Jan Bürgermeister

Erfrischend neu und doch vertraut – der geliftete Tiguan gefällt. Das Gesicht wirkt freundlich und entschlossen. Mittig ist der Kühlergrill zu einem Lächeln nach unten gezogen. LED- Scheinwerfer (Serie) mit neuer Tagfahrlicht-Signatur laufen spitz in die Kotflügel aus – Golf, ID.3 und Co. lassen grüßen. Wahlweise machen diese mit Matrix-Licht (IQ.Light) die Nacht zum Tage. Oben sorgt die stärker konturierte Haube des Tiguan für mehr Präsenz, unten ein vergrößerter Kühlluft-Schlund. Nur Kennern werden die optischen Retuschen am Heck auffallen: So wurden die LED-Rückleuchten überarbeitet, sie kommen im Verbund mit IQ.Light jetzt mit der Leuchtgrafik des Luxus-Bruders Touareg. Einen feschen Wischblinker gibt es obendrein. Das Reflektorband unter der

Heckklappe zieht sich über die gesamte Wagenbreite und die Typbezeichnung liegt mittig, edel in Einzel-Buchstaben ausgeführt.

Üppig & variabel: das Raumangebot

An den anerkannt perfekten Proportionen haben die Entwickler nicht gedreht, dem SUV bleibt seine citypraktische Kompaktheit mit 4,51 Metern Länge und 1,84 Metern in der Breite vollumfänglich erhalten. Auch die großzügigen Platzverhältnisse gehen unverändert ins neue Modelljahr. Das heißt vorne hoch sitzen und einen klasse Überblick genießen, hinten zu zweit luxuriös auf der Langstrecke reisen. Ganz gleich ob Kopf-, Ellenbogen- oder Kniefreiheit – der Tiguan verwöhnt seine Fondpassagiere. Auch die großen Fensterflächen tragen zum Wohlbefinden bei. Im üppigen Kofferraum kommt der Familienhund oder das Gepäck unter. Klein-Max möchte den Schlitten mitnehmen? Kein Problem: Einfach einen Abschnitt der zweiteiligen Rückbank ein wenig nach vorn schieben, schon findet der Rodel längs neben dem Gepäck Platz. Und die Beinfreiheit davor zwickt längst noch nicht. Die variable Fondbank mit einstellbarer Lehnenneigung ist ein klasse Problemlöser. In der vorderen Position sichert sie dem Gepäckraum ein Gardemaß von 615 Litern, das durch Umklappen der Rücklehnen auf maximal 1.655 Liter erweitert werden kann. Eine breite Durchlade und eine umlegbare Beifahrerlehne sind ebenfalls an Bord.

Volkswagen ordnet die Ausstattungslinien neu: Ab sofort darf der Kunde unter der Tiguan-, der universellen Life-, der luxuriösen Elegance- und der betont sportlichen R-Line wählen. Sie sind ein Fan der klassischen Bedienung? Greifen Sie zur Einstiegslinie Tiguan mit analogen Instrumenten und einer manuelle Klimaanlage mit Drehknöpfen. Alle anderen Varianten haben serienmäßig ein digi­tales Cockpit und eine Climatronic mit Slider- Steuerung. Im Gegensatz zu Golf und ID stehen hier gleich deren drei zur Verfügung – mit einfacher Belegung zur Temperaturauswahl links und rechts sowie der Gebläseregelung. Das schließt eine Fehlbedie­nung aus. Zudem sind die Slider hier beleuchtet. Ob Drehregler oder Slider – die Bedienung bleibt Geschmackssache. Mit winterklammen Fingern führt aber nicht jedes Touchen beim neuen System zum gewünsch­ten Ergebnis.

Dem Plug-in-Hybrid-Interessenten bleibt die Einstiegslinie verwehrt, unser Test-SUV kam als Elegance für 46.100 Euro. Mit 18-Zoll-Rädern, LED-Scheinwerfern und Kurven-Fahrlicht, beheiztem Multi-Lederlenkrad, 30-farbiger Ambiente-Beleuchtung, Sitzheizung und Alcantara-Bezügen, ACC sowie einer motorischen Heckklappenbedienung demonstriert er einen gehobenen Anspruch. Soll dieser weiter ausgebaut werden, empfiehlt sich die Wahl von Leder mit Memory-Sitzen vorn und dem Winterpaket mit Sitzheizung hinten. Matrix-Scheinwerfer sind quasi verpflichtend, genauso wie die adaptiven Dämpfer DCC. Navi? Logisch: Entweder einfach als Discover Media oder luxuriös in der großen, glasüberbauten Pro-Version. Hier ziehen Festplatte und Sprachbedienung ebenfalls mit ein – schließlich basieren die Systeme ab sofort auf dem modernen MIB3, sind stets online. Passend dazu gibt es vielfältige We Connect-Dienste – ganz gleich ob Online-Navigation, Web-Radio oder Service-Vereinbarung. Ein Kreuzchen darf auch beim Fahrassistenz-Paket Plus gesetzt werden. Es bündelt die wichtigsten elektronischen Helfer wie den Parklenk-Assistenten, den Side Assist, eine Verkehrszeichen-Erkennung und den famo­sen Travel Assist. Hier übernimmt der Tiguan auf Knopfdruck das Kommando, bremst, lenkt und beschleunigt selbst – eine Wohltat bei Stopp&Go.

Abfahrt! Keine Angst: So komplex der Antrieb, so kinderleicht fällt seine Bedienung aus. Einfach den beleuch­teten Wählhebel des DSG (Serie) auf D – und schon schnürt der Tiguan los. Flüsterleise, solange Strom im Akku ist. Erstaunlich behände treibt die E-Maschine mit 85 kW (115 PS) das SUV an, erlaubt lässiges Mit­schwimmen bis Tempo 130. Darüber übernimmt ein 150 PS starker 1.4 TSI, der auch bei spontanem Lastabruf – beispielsweise beim Überholen – blitzschnell erwacht und dem E-Motor zur Seite springt. Die Ingenieure haben ganze Arbeit geleistet, der TSI ist fantastisch gedämmt. Das ruckfreie Wechselspiel zum annähernd lautlosen E-Motor fällt daher wenig auf. Lediglich an sehr steilen Anstiegen dringt der Vier-
Ender akustisch präsenter durch.

Emissionfreies Pendeln

Bei vorausschauender Fahrweise kamen wir elektrisch 42 Kilometer weit. Danach wechselt der Tiguan automatisch in den Hybridmodus, der stets auch manuell gewählt werden kann. Hier kommt es zum meisterlich choreogra­phierten Wechselspiel: Mal treibt der TSI an, mal die E-Maschine.

Trotz leerem Akku – höre ich Sie fragen? Berechtigter Einwand, doch bekommt der Speicher auch im Fahrbetrieb ständig neuen Strom. So verschiebt die als Generator genutzte E-Maschine bei Teillast oft den Lastpunkt des TSI – das steigert seine Effizienz. Und spült genauso frischen Saft in die Zellen wie das Bremsen via Rekuperation. Schließlich nutzt der Tiguan meist die E-Maschine zum Verzögern, legt erst bei harten Bremsmanövern die Beläge an die Scheiben an. Der Übergang zwischen beiden Arten ist im Bremspedal nicht feststellbar.

Möglichkeit drei: der Rekuperationsmodus „B“ des DSG. Einmal kurz am Hebel ziehen – und schon verzögert die E-Maschine bei Gaswegnahme. Das erübrigt im City-Verkehr oft ein zusätzliches Bremsen. Das entlastet den Fahrer und füllt den Akku. Überall sonst ist „D“ das DSG-Programm der Wahl, in dem der Tiguan im Schiebebetrieb bisweilen segelt. Auf Knopfdruck kann der Tiguan auch den Batterie-Lade­stand während der Fahrt erhöhen, um beispielsweise die letzten Kilometer rein elektrisch zurücklegen zu können.

Doch der Tiguan eHybrid beherrscht nicht nur Vernunft sondern auch Spaß: Im GTE-Modus vereinen sich E-Maschine und TSI zu einer wahrlich dynamischen Allianz, stellen 245 PS und 400 Newtonmeter bereit. Aus 1.4 wird gefühlt mindestens 2.0, aus flottem Beat schlicht Rock´n´Roll. Alle Systeme stehen jetzt auf Angriff: Lenkung und Federung werden gestraft, die Gaspedal-Progression angespitzt. Sogar die Ambiente-Beleuchtung kommt in Wallung und wechselt auf stimmungs­volles Blau. In 7,5 Sekunden legt der Tiguan so den Standardsprint hin, klasse. Im GTE-Modus surft er freudvoll-spielerisch auf kurvigem Geläuf, verschnupft beim Ampelsprint lässig manch verdutzten Verkehrs­teilnehmer. Doch sorgen die Momente auf feuchtem Untergrund bisweilen für schlüpfrige Radansprache – den eHybrid gibt es leider nur mit Frontantrieb.

Vernunft und Fahrspaß

Natürlich funktioniert der GTE-Modus nur bei geladenem Akku. Ist der Strom aufgebraucht, ist es auf der Autobahn mit der Souveränität bereits bei Tempo 180 vorbei. Bei etwa 150 km/h fühlen sich eHybrid und Fahrer richtig wohl. Hier bleibt auch der Benzinverbrauch im einstelligen Bereich.

Auf der gemischten GF-Testrunde nahm sich der Tiguan sehr anständige 6,7 Liter. Trotz leerem Akku sorgten die E-Komponenten durch Rekuperation, Boosten und Lastpunktverschiebung für tolle Effizienz. Zudem regelt der Radartempomat ACC prädiktiv, bremst automatisch vor Kurven und Ortseingängen. Das Navi vermeidet bisweilen gar Steigungen.

Für die meisten Pendler wird der Benzin-Verbrauch unter der Woche kaum messbar sein, da in der Regel nur die E-Maschine zum Zuge kommen dürfte. Das Nachladen klappt an der heimischen Steckdose über Nacht oder am Arbeitsplatz – nach maximal fünf Stunden ist der Tiguan wieder bereit für neues Stromern.

Spannend, doch zu teuer? Vergessen Sie nicht die 6.750-Euro-Innovationsprämie. Zudem gibt es den eHybrid auch als clever ausgestatteten Life (43.510 Euro). Doch welches Paket Sie auch wählen, der eHybrid ist mit der Prämie stets günstiger als ein 150-PS-TDI mit DSG, seine Verbreitung daher gewiss.


Test kompakt:

Neben frischer Optik, MIB3-Infotainment und Touch-Bedienung profitiert der neue Tiguan besonders vom brandneuen Plug-in-Hybrid.
Er kombiniert lokal emissionsfreies Pendeln mit sorgenfreier Langstrecken-Mobilität, erlaubt abschnittsweise sehr dynamische Einlagen. Mit Prämie kommt er günstiger als ein 150-PS-TDI mit DSG. Schnell­fahrer, Gespannpiloten und Wintersportler finden aber passendere Antriebe im Aggregate-Portfolio.