Joshua Hildebrand
· 18.12.2020
… dem VW ID.3 einen SUV-Bruder zur Seite zu stellen. Dieser heißt nun ID.4 und ist das allererste vollelektrische Sports Utility Vehicle von Volkswagen. Volle Watt voraus!
Es geht um viel. Für Volkswagen und Markenchef Ralf Brandstätter, der vor allem hinter der Idee des ID steht. Lange ist es noch nicht her – gut drei Monate – , da wurden die ersten ID.3 1st Edition ausgeliefert und läuteten somit ganz offiziell die Kehrtwende der Mobilität ein. Bis zu 75 reine E-Modelle und 26 Millionen verkaufte E-Autos planen die Wolfsburger bis zum Jahr 2029 – ambitionierte Pläne. Klar ist, dass Volkswagens Elektro-Offensive zunehmend an Fahrt gewinnt. Eine kurze Verschnaufpause? Ist nicht. Bereits wenige Monate nach Launch des VW ID.3, haben wir schon die nächste „ID-ale“ Einladung von VW im Postfach. Betreff: ID.4 Fahrveranstaltung. Wolfsburg. Los geht’s …
Das wird jetzt mal richtig spannend! Auch wenn wir auf dem Weg in die Auto-Stadt bei weitem nicht an Zwickau vorbeikommen. Da ist nämlich der SOP (Start of Production). Mit Investitionen von rund 1,2 Milliarden Euro hat Volkswagen den Standort komplett auf die Produktion von E-Autos umgemünzt und zu einer der leistungsfähigsten E-Auto-Fabriken Europas gemacht. Der ID.4 wird bilanziell ganz CO2-neutral gefertigt, versichern die Wolfsburger. Der Neue in der ID-Familie ist nicht einfach nur ein weiterer Teil der niedersächsischen Elektromobilitätsoffensive, er bildet für den Konzern auch einen wichtigen strategischen Meilenstein und soll die E-Mobilität damit gänzlich aus der Nische holen. Er ist das zweite Modell auf Basis des Modularen E-Antriebsbaukastens (MEB) und zugleich das erste vollelektrische SUV der Marke Volkswagen. Gut, denn kompakte SUV sind eben auch das weltweit größte Marktsegment. Noch dazu wird der ID.4 nicht nur hierzulande eine wichtige Rolle spielen, denn er wird zukünftig fast auf der ganzen Welt zu haben sein: bei uns in Europa, aber auch den USA und China. Aha! Deswegen sagen sie also Welt- auto dazu …
Wir bleiben aber erst einmal im eigenen Land – nicht zuletzt wegen Corona. Gleich erreichen wir Wolfsburg. Mit der Hoffnung im Gepäck, dass die frösteligen Temperaturen alsbald verpuffen. Nun ja, es ist Dezember,
die Chancen stehen also schlecht. Ob es nicht bessere Rahmenbedingungen für ein so wichtiges Elektroauto gäbe, fragen wir uns. Mit Sicherheit! Jedoch hat das hier eine unschlagbare Aussagekraft: Der ID.4 geht immer, besser gesagt: fährt immer. Egal ob es Minusgrade hat oder nicht. Soll auch heißen, dass man sich für ein Elektroauto wie den ID.4 gar nicht groß verbiegen muss. Dann schauen wir doch mal …
Fast so groß wie ein Tiguan Allspace
Da steht er nun: in Blue Dusk Metallic. Fast so groß wie der Tiguan Allspace. Für alle Zahlen-Fans: 4,58 Meter lang, 1,85 Meter breit und 1,63 Meter hoch. Typisch SUV, auch wenn das Design leichter wirkt. Fließend, mit vielen Rundungen versehen ist das Blechkleid, hinter welchem eine aufwändige Entwicklung mit Schwerpunkt Aerodynamik steckt. Einen verbrenner-typischen Kühlergrill gibt es zum Beispiel auch bei ihm nicht, weil ein Elektromotor nicht so viel Abwärme produziert und leichter gekühlt werden kann.
Beim Licht nutzt der ID.4 neuartige Technologien. Zu ihnen gehören die IQ.Light-LED-Matrix-Scheinwerfer (Serie beim ID.4 1st Max), die uns wie beim ID.3 mit einem Schwenk der Linsenmodule begrüßen. Die 3D-LED-Rückleuchten stechen besonders ins Auge, weil sie dank einzelner, freistehender LED-Platinen sehr plastisch wirken und für einen Volkswagen etwas komplett Neues sind. Eine Stahl-Alu-Bauweise senkt das Gewicht auf unter zwei Tonnen. Ohne diese gewichtssenkende Baulösung läge der ID.4 sogar deutlich darüber. VW nennt das Außendesign „wie vom Wind geformt“. Ein gewichtiger Marketing-Spruch, der die Windschnittigkeit suggeriert – und Windschnittigkeit bedeutet bei einem E-Auto auch Reichweite. Deshalb beträgt der cw-Wert nur 0,27.
Schon beim Öffnen der Tür fällt uns etwas auf: Die Griffe liegen bündig in der Karosserie und entriegeln serienmäßig elektrisch. Der Einstieg nach schräg oben gelingt dank großer Ausschnitte äußerst bequem. Dank der kurzen Überhänge und des langen Radstands von 2,77 Meter merken wir erneut, was dank der MEB-Archtiektur raumtechnisch alles machbar ist. Übrigens fällt der Kofferraum mit 543 bis 1.575 Litern (bei umgeklappter Rückbank) ordentlich groß aus.
Gefühlt sitzen wir in einem SUV der nächsthöheren Klasse mit einem wirklich hübsch-aufgeräumten Innenraum samt Lounge-Charakter. Durch ein riesiges Panoramadach (Serie 1ST Max) schauen wir – und alle anderen Mitfahrer – in den heute etwas trüben Himmel. Trotzdem kommt jede Menge Tageslicht bei uns an, was das Gefühl vermittelt, noch mehr Raum zu besitzen. Besitzen tun wir auch das wirklich bequeme Gestühl. Die zweifarbig ausgeführten Ergo-Aktiv-Sitze (Serie 1St Max) mit vielfältigen Verstellmöglichkeiten sind besonders rückenfreundlich, was sich vor allem nach längerer Fahrt bemerkbar macht. Volkswagen verzichtet im Innenraum – bis auf das Lenkrad – auf tierische Produkte wie Leder und nutzt stattdessen das Mikrofaservlies namens ArtVelours.
Luftig gestaltet ist die Mittelkonsole, die keine direkte Verbindung zum Armaturenträger hat. Der zeigt sich so aufgeräumt wie im ID.3, besitzt allerdings ein noch größeres Touchdisplay mit zwölf – ja, zwölf (!) – Zoll Bildschirmdiagonale. Da kommt Kinofeeling auf!
Neben der Touchbedienung lässt es sich auch in bekannter Weise per Sprache bedienen. Mit „Hallo ID“ hört das System fleißig zu und bildet die zweite Bedienebene. Die Anzeigen der fahrrelevanten Daten ist auf ein Minimum reduziert, hinter dem kapazitiven (berührungsempfindlichen) Multifunktions-Lederlenkrad findet der Fahrer auf dem gleich kleinen Display des ID.3 Infos wie Geschwindigkeit, Reichweite und aktivierte Fahrassistenzen. Vor allem von letzteren hat die 1St Edition reichlich. Am beeindruckensten ist aber sicherlich der teilautonome Travel Assist, bekannt aus Passat und Co.. Eine echte Hilfe bietet zudem das in unserem Testwagen serienmäßig verbaute Head-up-Display mit Augmented Reality, das Anzeigen für die Fahrassistenz oder Navigationshilfen virtuell auf die Straße vor dem VW projiziert.
Ohnehin vielseitig präsentiert sich die gesamte Konnektivität im ID.4: Online-Sprachbedienung, App Connect sowie We-Connect-Online-Dienste machen ihn quasi zu einem rollenden Computer, den man übrigens dank „Online Remote Update“ auch stets über das Mobilfunknetz updaten kann.
Noch besser mit DCC
Updaten hin oder her. Wir interessieren uns jetzt für das Fahrverhalten – deswegen sind wir ja auch hier … Vor allem im Vergleich zum ID.3 dürfte das eine interessante Angelegenheit sein, da es ja ziemlich viele Gleichteile gibt. Die permanent erregte Synchronmaschine etwa, die unmittelbar vor der Hinterachse liegt und über ein 1-Gang-Getriebe die Räder antreibt. Das SUV leistet ebenfalls 204 PS und bringt
310 Nm Drehmoment auf die Hinterräder. Pssst … Es soll bald sogar noch eine stärkere Allrad-Variante geben! Mit voller Batterie huschen wir vom Hof, ab auf die nächste Landstraße. Der erste Eindruck: ein zum ID.3 ähnliches Fahrgefühl bei kräftigem E-Punch. Dank des properen Drehmoments ab Umdrehung null des E-Motors wirkt die Beschleunigung ohnehin noch kräftiger. Der flotte ID.4 ist mit 8,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 etwa eine Sekunde langsamer als der ID.3. Die Geschwindigkeit ist genauso elektronisch auf 160 km/h begrenzt.
Zum Einsatz kommt eine 77-kWh-Lithium-Ionnen-Batterie (netto), die aufgrund ihrer Bauweise gern als Schokoladentafel bezeichnet wird. Sie wiegt rund 500 Kilo und sorgt laut WLTP-Herstellerangabe für zirka 490 Kilometer Reichweite. Ob das stimmt, wird der bevorstehende Test zeigen. Während unserer begrenzten Fahrzeit widmen wir uns vor allem dem Fahrverhalten. Hier fällt das leichte und ruhige Handling auf, dass eine gute Spur verbindlicher ausfällt als im kompakteren ID.3. Das liegt daran, dass wir hier in der Max-Ausführung serienmäßig die adaptive Fahrwerksregelung DCC mit variabler Dämpfung mit an Bord haben. Und den Fahrdynamikmanager. Damit wirkt sich das DCC-System jetzt auch umfassend auf die Fahrdynamik aus. Und das macht sich sehr positiv beim Fahren bemerkbar: Der ID.4 federt extrem sanft im Comfort-Modus, liefert aber deutlich reduzierte Wankbewegungen und sportliche Straffheit bei „Sport“. Zudem profitiert der neue ID von einer elektronischen Quersperre XDS und einer Progressivlenkung, die schon in der Mittellage knackig ist. Deren Übersetzung wird immer direkter, je weiter man das Lenkrad einschlägt. Zwar vermittelt diese nicht so viel Gefühl wie in einem Sportwagen, dennoch arbeitet sie präzise und ist schön straff abgestimmt. Mist … vor lauter Erzählen sind wir jetzt falsch abgebogen. Wie gut, dass der Wendekreis des ID.4 mit rund zehn Metern so klein ausfällt. Damit lässt sich auf einer etwas breiteren Straße mit nur einem Zug wenden – das ist großartig!
Wer bremst, gewinnt!
Auch wenn der ID.4 nicht das allerleichteste Automobil der Wolfsburger ist, scheint die E-Technik einen entscheidenden Vorteil mitzubringen. Dank des unterflur angeordneten Li-Ion-Akkus liegt der ID.4 für ein SUV trotz Winterräder in 235/50/20 Zoll ziemlich satt auf der Straße und begeistert mit einem fast schon untypisch hohem Grippniveau. Mit einer ausgeglichen verteilten Achslast und 21 Zentimetern Bodenfreiheit fährt er nicht nur sahnig, sondern empfiehlt sich auch für leichtes Gelände. Und noch etwas: Was wäre ein SUV ohne die Möglichkeit des Hänger-Ziehens? Eben. Bis zu 1.000 Kilogramm (gebremst, bei zwölf-prozentiger Steigung) bietet das Elektro-SUV.
Ein wichtiger Faktor für das Einhalten der Reichweite ist die Rekuperation. Wir entscheiden selbst, ob wir mit dem Gangwahlschalter Energie zurückgewinnen möchten oder nicht. Wer am Display vor dem Lenkrad die Wippe und somit die
Fahrstufe „D“ wählt, segelt verzögerungsfrei durch die Welt. Wer „B“ (für Brake) einlegt, braucht kaum noch das Bremspedal zu betätigen. Die E-Maschine wird dann nämlich zum Generator und speist Strom in die Batterie zurück. Erst bei stärker Verzögerung kommen die Bremsen ins Spiel – eine verschleißarme Methode, die gerade in der City Vorteile zeigt.
Blitz-Laden mit 125 kW
Und weil es so schön ist, drehen wir noch ein paar Runden. Dass wir die Batterie heute nicht mehr leer kriegen, war uns fast klar. Nichtsdestotrotz checken wir noch das Laden – ein nicht ganz unerheblicher Teil der E-Mobilität. Das geht mit bis zu 125-kW-Gleichstrom (DC), sofern die Säule das auf die Reihe bekommt. Rein theoretisch bekäme man so den Akku in rund 30 Minuten voll. Wer den Luxus eines eigenen Parkplatzes samt Wallbox genießt, der lädt mit maximal 11-kW-Wechselstrom – folglich dauert es hier etwas länger.
Lange dauern dürfte es jedoch nicht, bis die beiden Editionsmodelle ID.4 1St und Id.4 St Max verkauft sein dürften: Beide sind limitiert, insgesamt wird es nur 27.000 Exemplare geben. Los geht es für die Basisausstattung (Pro Version) bei 43.329 Euro, für den ID.3 1St werden 48.691 Euro, für den ID.3 1St Max werden 58.439 Euro fällig. Alle Preise beinhalten 16 Prozent Mehrwertsteuer, zudem qualifizieren sie sich für eine Förderprämie von 9.000 Euro.