Arne Olerth
· 22.01.2021
Unter den Familien- Kombis war der Golf Variant immer schon ein Tipp! Jetzt bietet er noch mehr Platz, kommt maximal digitalisiert. Als Alltrack gesellen sich SUV- Tugenden und ein Power-Diesel dazu
Wie heißt der Familien-Kombi von Volkswagen? Jede Wette, dass als Antwort „Passat Variant“ kommt. Doch der niedersächsische Autobauer führt neben dem populären Bestseller noch eine zweite Variant-Baureihe, eine, die der Familien-Kasse zudem beträchtlich entgegenkommt: den Golf Variant. Der konnte bisher kaum aus dem Schatten des übermächtigen, großen Bruders hervortreten. Jetzt schickt Volkswagen eine ganz neue Generation auf Basis des Golf 8 um die Gunst der Kombi-Kunden ins Rennen.
Diese sind traditionell nutzwertorientiert – und da hat der neue Golf Variant einiges zu bieten: Mit 611 Litern Volumen fällt sein Gepäckraum wahrlich opulent aus. Zum Vergleich: Ein Audi A4 Avant bietet hier nur 494 Liter. Der Golf Variant rückt damit ganz nah ran an den Raumkönig Passat Variant (650 Liter). Der Verstand sagt folglich: „Passt!“, doch das Herz möchte mehr? Vielleicht mehr Sport oder doch lieber ein SUV? Bitteschön: Der Golf Variant Alltrack kombiniert die praktischen Kombi-Tugenden mit zünftigem SUV-Ornat, Allrad-Kompetenz und krönt das Ganze mit dem 200-PS-Powerdiesel aus der Golf GT-Baureihe. Logisch, dass der schmucke Alleskönner der Golf-Familie seinen Preis hat. Doch der fällt mit 40.355 Euro knapp 10.000 Euro günstiger aus als der des Passat Variant Alltrack – bei gleichem Antriebsstrang wohlgemerkt. Dennoch zu teuer? Lesen Sie nichts desto trotz bitte weiter: Das Karosseriekapitel mit der Bewertung von Raumangebot und Variabilität gilt 1:1 auch für den Einstiegsvariant der Golf-Familie ab kontofreundlichen 23.715 Euro. Der Test eines zivilen Golf Variant wird zeitnah nachgereicht!
Erster Eindruck des Alltrack: Dieser Volkswagen gefällt – und wie! Mit 4,63 Metern ist er in der Länge knapp sieben Zentimeter gewachsen, im gleichem Maße im Radstand. Die Dachlinie verläuft rund zwei Zentimeter niedriger als beim Golf 7 Variant, die Breite nahm um einen Zentimeter ab. Dadurch wirkt der Youngster sichtbar gestreckter, deutlich eleganter als bisher. Vorne kommt der Alltrack in den Genuss der prestigeträchtigen Optik der Golf GT-Familie mit weit aufgerissenem unterem Kühlluftschlund. LED-Plus Scheinwerfer sind Serie, kommen mit Schlechtwetter- und Abbiegelicht. Wie bei GTI und Co. läuft das Tagfahrlicht über die komplette Front, selbst die Nebelscheinwerfer in charismatischer Fünf-Punkt-Optik haben die VW-Jungs ins Ausstattungspaket gepackt. Lecker.
Schwarze Kunststoff-Beplankungen am unteren Teil der Schürzen, an den Radhäusern und Schwellern sorgen für hemds- ärmelige Offroad-Folklore, größere Räder und längere Federn für 15 Millimeter mehr Bodenfreiheit und besseres Durchkommen auf dem Feldweg. Das Frachtabteil bedingt einen großen Heck- Überhang, die enorm schräg stehende Scheibe und die horizontale Ausrichtung der Linien bringen hier dynamische Eleganz. Der Ausschnitt der Klappe fällt breit aus, die Ladekante niedrig – die Praktikabilität wurde bei allem lifestyligen Chic nicht vergessen.
Neue Bewegungsfreiheit im Fond
Und innen? Macht sich der Längenzuwachs der neuen Generation enorm bemerkbar – gerade in Reihe zwei. Nicht dass hier bisher drangvolle Enge geherrscht hätte – doch gerade auf langen Reisen wird jeder zusätzliche Millimeter Raum dankbar als Komfortgewinn registriert. Und Volkswagen zeigt ein Herz für die Fondpassagiere: Vom üppigen Zuwachs des Radstands im Vergleich zum Vorgänger (+66 Millimeter) profitieren die hinteren Reisenden ganz besonders. Ihr Knieraum misst nun 38 Millimeter mehr – hallo Langstrecke. Um es klarzustellen: Der Hatchback, also der klassische Golf kommt mit kürzerem Radstand (-56 mm) und bietet entsprechend weniger Knieraum im Fond. Auch Kopf- und Ellenbogenfreiheit im Alltrack passen, die großen Fenster ebenso.
Auf der großzügig bemessenen Bank richten sich zwei Erwachsene wahrlich komfortabel ein. Zwei Sitzmulden sorgen für ein Plus an Komfort und Unterstützung. Gleichwohl wird einem dritten Fond-Passagier die Mitfahrt nicht verleidet.
In Reihe eins glänzt der Kombi mit der ganzen Kompetenz des Königs der Kompaktklasse. Kein Wunder, bauen Golf und Golf Variant (Alltrack) doch bis zur B-Säule identisch. Für den Piloten heißt das: Platz satt, der Golf passt einfach jedem – auch wenn die Aufenthaltsdauer einmal länger ausfallen sollte. Zumal hier die klasse Komfortsitze an Bord sind, die gleichermaßen kompetent unterstützen wie auf der Langstrecke punkten. Eigenständige Sitzbezüge mit dem Modellschriftzug „Alltrack“ zeugen von Liebe zum Detail.
Die Parallele zum Golf Hatchback bedeutet zudem: Das Hightech-Cockpit mit digitaler Bedienlandschaft ist auch im Alltrack an Bord – mit einem 10-Zoll-Instrumentendisplay und einem rechts davon platzierten Touchscreen in gleicher Größe. Die Bedienung ist größtenteils darauf konzentriert, bietet eine enorme Breite und Tiefe. Handy-Spiegelung, DAB+ und Navi sind in Serie mit an Bord.
Vor dem Touchscreen sitzt der mittlerweile bekannte Slider zum Steuern von Lautstärke, Temperatur und Sitzheizung (Serie). Warum dieser bei Nacht unbeleuchtet bleibt, lässt sich aber nicht wirklich nachvollziehen. Direkt darunter haben die Ingenieure prominent ein Touchfeld zur blickgeführten Wahl der wichtigsten Funktionen platziert. Eine große Bereicherung ist die fortschrittliche Sprachbedienung: Auf „Hallo Volkswagen, mir ist kalt!“ kommt „Alles klar, vorne links wird es gleich wärmer.“ Via E-Sim ist der Golf stets online, empfängt durch Car2X zudem Gefahren-Informationen aus dem direkten Umfeld.
Auch ein Spurhalteassistent gehört zum opulent geschnürten Ausstattungspaket, genauso wie Parkpiepser, eine Ambiente-Beleuchtung mit 30 Farben und eine Climatronic. Darf es etwas mehr sein? Bitteschön: Wir empfehlen die 3-Zonen-Version mit separatem Bedienteil hinten und die Rückfahrkamera. Abgedunkelte Scheiben sorgen für ein Plus an Eleganz und Blickschutz. Fast schon ein Muss ist der Travel-Assist (495 Euro), mit dem der Golf auf Knopfdruck Lenken, Bremsen und Gasgeben übernimmt – eine echte Entlastung im zähfließenden Verkehr. Eine Nummer einfacher: der Radartempomat ACC (320 Euro). Dem gehobenen Anspruch des Autos entsprechend sollte auch das Adaptiv-Fahrwerk DCC gewählt werden, hebt es doch Fahrkomfort und Präzision ungemein. Dann können auch 18 Zoll-Felgen die 17-Zöller ersetzen und so neben Optik auch Handling-Tugenden verfeinern – ohne den Komfort zu kasteien.
Nur mit 200-PS-TDI erhältlich
Startknopf (Serie) drücken, und schon erwacht der neue Superdiesel des VW-Konzerns zum Leben. Mittels Twin-Dosing streberhaft sauber gehört er zur ultramodernen Motorengeneration EA288 evo. Extrem laufruhig agierend leistet er glatte 200 PS, wuchtet stramme 400 Newtonmeter auf die Kurbelwelle. Und die sorgen für satte Souveränität im täglichen Verkehrsgetümmel. Ungemein lässig schiebt die Wuchtbrumme den Kombi vorwärts, pariert jedes Zucken am Pedal direkt mit bärigem Punch. Das sorgt beim Fahrer für tiefe Entspannung – alles kann, nichts muss. Überholvorgänge werden souverän abgehakt, sorgen kaum für beschleunigten Puls. Wind- und Motorgeräusche halten sich dezent im Hintergrund, die Komfortstufe des DCC-Fahrwerks wandelt den Alltrack zur Sänfte. Hier weht das Verwöhnaroma aus bedeutend höheren Fahrzeugklassen.
Driften erlaubt
Zu wenig Pepp, sagen Sie? Nicht´s wie rauf auf den Handlingparcours! Mit 7,2 Sekunden bei der Standardsprint-Längsdynamikmessung empfiehlt sich der Alltrack auch für die ganz eilige Familie. Angeschnallt sind hoffentlich alle, denn jetzt darf der Wolfsburger auf kurvigem Geläuf sein Können demonstrieren. Und der Alltrack liefert, schindet wahrlich Eindruck. Trotz längerem Radstand zeigt er sich kaum weniger flink als der Hatchback, gibt seinem Piloten mit der Progressiv-Lenkung (215 Euro) ein höchst effektives Werkzeug an die Hand. Befehle am Volant werden direkt umgesetzt, die Rückmeldung passt, nervt nicht mit übertriebener Geschwätzigkeit. Klasse: Beim Wedeln durch den Parcours bedarf es nur vergleichsweise kleiner Lenkwinkel. Traktion ist durch den Allradantrieb mit bewährter Lamellenkupplung sowieso kein Thema, der Fahrdynamik-Manager sorgt Hand in Hand mit den DCC- Dämpfern für geringes Wanken. Die hohe Fahrpräzision rührt zudem von der steifen Karosserie.
Das DSG im Sportmodus hält den TDI im perfekten Drehzahlbereich, wer will kann natürlich via Schaltpaddles (Serie) dirigieren. In Summe sorgt das gleichermaßen für hohe Geschwindigkeiten und satten Fahrspaß. Der ist stets sicher, wird etwaiger Tempo-Überschuss doch zunächst durch Schieben über die Vorderachse, danach vom super regelnden ESC eingefangen. Das bietet sogar einen Sportmodus und damit die Möglichkeit zum beschwingten Sidestep, sollte den Fahrer der Hafer stechen. Fahrspaß kann der Alltrack, und zwar mächtig! Die Adelung durch die GT-Front hat also ihre Berechtigung.
Doch die meisten Eigner werden den schicken Kombi eher als flotten Reisegleiter nutzen. Sie können sich auf gediegenes Raumangebot, klasse Verarbeitung, wertiges Design und einen günstigen Verbrauch freuen: 6,2 Liter Diesel rannen auf der GF-Testrunde im Schnitt durch die Düsen – sehr anständig für einen Allrad-Kombi mit 229 km/h Spitze. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig moderne Diesel für eine CO2-arme Mobilität sind. Zumal vorausschauend bewegt gerne auch mal eine vier vor dem Komma stehen kann.
Keine Frage: Mit seinem noch feineren Handling und dem erweiterten Platzangebot wird der Golf Variant viele Freunde finden – nicht nur als Alltrack.
Test kompakt:
Der Golf Variant Alltrack vereint Handling, Assistenz und Wertigkeit mit lifestyligem SUV-Schick, der Universalität eines Kombi, Allrad-Traktionsvorteilen, dem heißen GTI-Gesicht und – en top – dem 200-PS-Superdiesel des GTD. Nicht zu vergessen: die reichhaltige Ausstattung. Er serviert ein enorm souveränes Fahrgefühl, räubert kompetent auf kurvenreichen Strecken und verwöhnt mit dem Komfort aus höherer Klassen. Das relativiert den Einstandspreis überdeutlich.