Test VW Golf R (Performance)Quer-Lenker

Joshua Hildebrand

 · 17.01.2022

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Foto: H. Mutschler

Der neue Golf R wirbt mit viel Power, tollen Fahrleistungen und einem Drift-Modus. Doch reicht das für einen Platz auf dem Sportwagen-Thron? Der Test wird’s zeigen …

Sicherlich kennen Sie das: Es gibt Arbeitstage, an denen kommt man einfach nicht aus dem Quark. Grundsätzlich ist heute genau so ein Tag. Ein Montag, natürlich. Doch, Moment mal … Was fährt denn da gerade auf den Hof? Etwa ein Testwagen, der in Lapiz Blue Metallic einen Klecks Farbe zu uns bringt? „WOB-GO-383“ auf dem Kennzeichen lässt erahnen: Ja, so ist es! Vielleicht doch kein so schlechter Tag?

Das VW-Emblem tragende Prachtkerlchen – neben dem Fahrer im VW-Shirt – ist wohl nichts Geringeres als der stärkste Serien-Golf aller Zeiten. Denn der 8 R hat mit 320 PS und 420 Newtonmeter mehr Leistung im Strumpf als je ein Golf zuvor. Noch dazu bei uneingeschränkter Alltagstauglichkeit. Ein Erfolgsrezept, das sich seit dem ersten Golf R, dem R32 nicht verändert hat. Damals noch mit 3,2-
Liter-Sechszylinder saugend, seit dem 6 R Turbo-vierzylindrig verdichtend. Fakt ist: Mit dem überarbeiteten Zwoliter-TSI (EA888 Evo4) des Golf 8 R ist man jedenfalls immer noch gut beraten, da es sich um ein sehr solides und ausgereiftes Aggregat handelt, welches zudem die neueste Abgasnorm Euro 6d-ISC-FCM beherrscht.

Schlüssel aufklappen, reinstecken, herumdrehen – so war das noch beim Vierer-R32. Ein fast vergessenes Startprozedere, dass die neueren Golf-Generationen längst abgelegt haben. Vor allem der

Golf 8, der ja so gut wie ohne physische Tasten auskommt und natürlich „keyless“ gestartet wird. Damit erwacht dann auch der Vierzylinder zum Leben, der auf den ersten Lauscher recht leise tönt. Geht da noch mehr? Das werden wir gleich hören…

Besser mit R-Performance-Paket

Im Übrigen ist das Spitzenmodell ab 50.305 Euro zu haben. Eine Stange Geld, für das besser betuchten Golf-Kunden jede Menge erwarten dürfen. So gibt’s bereits ab Werk einige Goodies wie 18-Zoll-Alus namens „Jerez“, das Navigationssystem Discover Media inklusive „Streaming & Internet“ sowie den teilautonomen Fahrassistenten „Travel Assist“ nebst Spurhalteassistent. Lassen Sie uns einen Blick auf das Exterieur werfen: Erkennungsmerkmale wie ein scharf gezeichneter Frontstoßfänger, große Lufteinlässe samt Frontspoiler sind Pflicht. Alle schwarzen Elemente sind hochglänzend ausgeführt und schaffen einen weiteren Kontrast zur Fahrzeug-
lackierung sowie den Spiegeln in mattierter Chrom-Optik. Wie die anderen Golf-8-Sportmodelle trägt nun auch der R standardmäßig eine LED-Lichtleiste an der Front. Immer mit an Bord: die blaue Querspange und das neue R-Logo. Ebenso tragen die markanten Seitenschweller, der Dachkantenspoiler und die Heckschürze mit Diffusor der Sportlichkeit Rechnung. Was nicht fehlen darf: die seit dem Golf 7 R typische Klappen-Abgasanlage mit vier faust- großen Endrohren. Optional kann diese wieder durch eine R-Performance-Anlage von Akrapovic für ersetzt werden – zumindest war das bis vor kurzem noch so. Jenes Extra ist derzeit nämlich nicht im Konfigurator zu finden, auch nicht für den R Variant.

Wir huschen nun zurück ins Cockpit. Jetzt ist „R“ warm. Bedeutet nichts anderes, als dass wir jetzt richtig Gas geben können! Immerhin hat der Golf das R-Performance-Paket für 2.265 Euro an Bord. Damit ziehen ein Heckspoiler in Motorsport-Optik, die 19-Zoll- Leichtmetallräder „Estoril“ in Schwarz sowie das für die Nürburgring-Nordschleife konzipierte Fahrprofil „Special“ ins Auto, dessen Unterpunkt auch einen Driftmodus beinhaltet. Klingt lustig, oder? Probieren wir auch gleich aus. Doch vorher gibt es den klassischen Beschleunigungs- und Vmax-Check – natürlich auf abgesperrter Teststrecke. Per R-Taste auf dem Lenkrad wechseln wir in den Race-
Modus. Damit wird nicht nur das innere Fahrgeräusch, sondern auch die Klappenabgasanlage scharf gestellt. Im Übrigen lässt sich der im Innenraum künstlich verstärkte Sound auch über die Einstellung „Pure“ im Individual-Fahrmodus deaktivieren.

Wir aber belassen den Sound „extrascharf“ und bringen uns in Position. Freie Bahn? Check. Launch Control? Check. 4.000 Touren zeigt die digitale Tachonadel an. Solange, bis wir den linken Fuß vom Bremspedal nehmen. Nach einem kurzen Ruck krallt sich der aktive Allrad mit allen vier Rädern in den Asphalt. Schlupf? Gibt’s nicht. Der Golf R schiebt brachial an, nicht zuletzt auch, weil er auf optionalen Semislicks (235/35 ZR 19) rollt. In Zahlen ausgedrückt: 4,6 Sekunden von null auf Tempo 100 und nur 16 Sekunden auf 200. Bei 2.100 bis 5.350 Umdrehungen liegt das maximale Drehmoment von 420 Newtonmetern an, was zusammen mit dem relativ kurz übersetzten, höheren Gängen die sahnige Beschleunigung erklärt.

Eine fahrdynamische Granate

Und es geht noch weiter: Bei 2,5 bar Ladedruck sprintet nicht nur der Drehzahlnadel in Richtung Begrenzer, wir tun es auch. Knacken wir die Vmax, die mit Wahl des R-Performance-Pakets mit 270 statt 250 km/h angegeben ist? 6.300 Umdrehungen und wir schnalzen den letzten Gang rein. Erstmals seit Einführung des DSG verbleibt das Getriebe übrigens im manuellen Modus, wenn dieser vom Fahrer aktiviert wurde. Unerwünschtes Zurückfallen in den Automatikmodus ist passé. Und zack: Fotofinish mit GPS-gemessenen 273 km/h. Krasse Kiste! Vermutlich gibt es auch nur wenige, die jemals so schnell golfen waren …

Power und Traktion für die Gerade hat er jedenfalls genug. Wie er sich in Kurven schlägt, möchten wir nun auf dem Handlingkurs herausfinden. Doch: nicht einfach nur so. Der Golf 8 R hat eine besonders spannende Neuerung – und die steckt im Heck. Nur wer sich unter den Wagen legt kann es sehen: das neue 4Motion-Allradsystem mit Torque Vectoring. Aha! Jenes mit dem Fahrdynamik-Manager intelligent vernetzte System soll laut Volkswagen eine neue Dimension der Sportlichkeit bedeuten. Na, dann mal los. Zunächst stellen wir das Fahrmodus-System auf Special, der R-spezifische Tacho färbt sich grün. Giftgrün. Soll an die Nordschleife erinnern, wo der Modus für die Rennstrecke appliziert wurde. Wir profitieren von einem weicheren Setup und einer angepassten DSG-Charakteristik, unter anderem mit deaktivierten Zwangshochschaltungen. Mit warmgefahrenen Semis starten wir unsere erste Runde. Sofort fällt auf, dass das adaptive Fahrwerk DCC nun mehr Federweg und Karosserieneigung zulässt. Das wiederum ist deutlich besser, um bei schnellen Passagen genügend Seitenführungskräfte aufzubauen. Die Reifen kleben förmlich am Asphalt, der R kennt keine Gnade. Wer hier wohl wen fährt? Kurzum: Es ist einfach nur erstaunlich, wie hoch die Kurventempi ausfallen.

Dafür gibt es belegbare Gründe: Neben dem gleichgebliebenen Grundlayout bestehend aus McPherson-Vorderachse und Vierlenker-Hinterachse wurden die Feder- und Stabilisatorraten um zehn Prozent erhöht. Dazu wurde das DCC-Fahrwerk neu appliziert und die Vorderachse erhielt einen negativeren Sturz (-1°20). Ein neuer Alu-Hilfsrahmen senkt das Gewicht auf der Vorderachse und auch die neue, leichtere Bremse reduziert die ungefederten Massen. Vollendet wird das Ganze mit dem Fahrdynamikmanager, der beim Golf 8 R erstmals auch den Allradantrieb mit dem DCC, der elektronischen Differenzialsperre und der Progressiv- lenkung vernetzt.

Wir lieben diese Lenkung, weil sie präzise und rückmeldungsfreudig arbeitet. Das Fahrwerk dämpft ausgewogen und der Allradantrieb verteilt die Momente perfekt. Nur das DSG reagiert im Automatik- Modus auf spontane Befehle wie aus dem Schlaf gerissen und genehmigt sich manchmal die ein oder andere Millisekunde zu viel. Schwamm drüber. Dafür liefern die neuen Sportbremsen, gewachsen von 340 x 30 auf 357 x 34 Millimeter, gute Verzögerungswerte – auch, wenn sie heiß gefahren wurden.

Driften im Golf? Ein ganz neues Gefühl …

So drehen wir Runde um Runde und fragen uns: Passiert da noch etwas? Tatsächlich fährt sich der Golf perfekt, langsam wie schnell. Drin in der Stadt wie draußen auf dem Track. Nicht zuletzt dank jeder Menge Hightech vielseitig einstellbar. Gibt’s eigentlich nichts zu meckern, oder? Nunja, vielleicht doch. Etwas eintönig ist es dann auf Dauer schon, weil der Super-Golf nie richtig fordert, von Jedermann und -frau zu fahren ist. Zumal der Sound trotz der Akrapovic-Lösung am Heck präsenter sein könnte.

Wir möchten noch mehr Action! So fühlen wir uns allmählich bereit, den Rest des Gummis herunterzufahren und wechseln in den Drift-Modus. Ob der wohl hält, was er verspricht? Das maximal mögliche Drehmoment ist in diesem Modus auf dem kurvenäußeren Rad verfügbar. Standardmäßig befindet sich das ESC im Drift-Modus im Betriebszustand „Sport“. Die Regel-
elektronik greift dann sehr spät ein. Doch echte Drifts sind nur möglich, wenn man das ESC ganz abschaltet. Während der R sich im jenem Modus vor allem geradeaus wie auf rohen Eiern fahren lässt, macht er an Orten, die Drifts zulassen, umso mehr Freude.

Auf eine Lenkbewegung folgt die schnelle Gegenbewegung, schwupps, schon stellt sich das Heck des Golf quer. Trotz Semislicks und trockener Piste wohlgemerkt. Sitzen wir tatsächlich in einem Golf? Es ist ein vollkommen neues Gefühl und wirklich gut umgesetzt. Für Endlos-Drifts fehlt es aber dann doch etwas an Leistung – 320 PS hin oder her.

Möglich wird das neue Golf-R-Feature (mit Performance Paket) durch das neue Hinterachsgetriebe, dass die Antriebsmomente nicht nur zwischen der Vorder- und Hinterachse, sondern ebenso zwischen den zwei Hinterrädern verteilen kann. Außerdem verlagert der Torque Splitter den Grenzbereich in neue Dimensionen, so dass nun auch das Fahrverhalten bei hohen Geschwindigkeiten neutraler ausfällt als bei den Vorgängern. Damit hat die R GmbH die Messlatte mal wieder sehr hoch gelegt – auch für sich selbst. Stürmt er deshalb den Sportwagen-Thron? Jein. Ein knallharter Sportwagen ist der Golf R nämlich nicht. Dafür aber ein verdammt sportlicher Allrounder, mit dem man definitiv keinen Zweitwagen braucht.


Test kompakt:

Brutal, wie R voran marschiert und jede Menge Spaß bereitet – immerhin eines der wichtigsten Messkriterien. Der R ist im Grunde genommen ein Golf, wie man ihn erwartet. Solide, fahraktiv, vielseitig. Doch das neuartige Hinterachsgetriebe samt Drift-Modus macht ihn zu etwas Besonderem in der großen weiten Golf-Welt. Nur der Motorsound könnte etwas vollmundiger sein.