Joshua Hildebrand
· 11.06.2021
Vorhang auf für Volkswagens Lichtgestalt! Im Premieren-Test: der neue Arteon Shooting Brake als extra-stylische R-Line mit neuem 200-PS-TDI und Allradantrieb
Licht aus, Spot an. Trommelwirbel. Und schließlich: Vorhang auf! So geht das doch im Show-Busines, oder?! Ein Terrain, auf dem sich der neue Arteon Shooting Brake auskennen dürfte: fotogen, schick, stylisch. Ganz ehrlich: Auf diesen VW haben wir uns schon lange gefreut. So sehr, dass wir uns am lang ersehnten, ersten Testtag ein lautstarkes „Wow!“ nicht verkneifen konnten. Zweifelsohne geschmackvoll gestylt, ohne übertrieben zu wirken oder gar als Möchtegern durchzugehen, macht die Rucksack-Variante des Arteon einiges her. Kurz: Der neue Kombi mit abfallender Dachlinie ist eine überaus hübsche Bereicherung neben dem Fastback-Modell. Dafür liegen die Preise für den Neuling auch deutlich über Passat-Niveau. So fängt er in der Grundausstattung mit schwächster Motorisierung bei 45.000 Euro an; als Plug-in-Hybrid kostet er abzüglich der Förderung ähnlich viel. Weitaus mehr stand am Ende der Preisliste unseres voll ausgestatteten R-Line-Testwagens geschrieben: über 65.000 Euro!
Doch genug philosophiert! Prägend ist vor allem das avantgardistische Frontdesign mit neuer durchgehender Lichtleiste, markanten Chromstreben und neuen Lufteinlässen unten. Der Kühlergrill und die lange, breite Motorhaube bilden formal eine Einheit und kennzeichnen den Arteon als das Gesicht in der Menge – und das dank spezieller LED-Lichtsignatur an Front und Heck auch nachts.
Das Besondere des 4,86 Meter langen, 1,87 Meter breiten und nur 1,46 Meter hohen Shooting Brake ist jedoch die Seitenansicht bis hin zur C-Säule und natürlich das Heck. Während beim Fastback die Dach- und Fensterlinien parallel ab den B-Säulen in einem Bogen abfallen und so Teil des coupéförmigen Hecks werden, sind beim Shooting Brake die Dach- und Fensterlinien zum Heck hin verlängert und münden in einem neuen Dachspoiler. Im oberen Bereich verläuft die Fensterlinie parallel zum Dach. Unten jedoch steigt die Linienführung zu den D-Säulen hin an; dadurch wird die Fensterfläche im Fond immer schmaler und markanter. Auffällig sind die ausladenden Schultern, die dem Heck eine sportliche Breite verleihen.
Ein Schönling im Rampenlicht
Wissen Sie, woran man ein Designerstück erkennt? Daran, dass man es überall hinstellen kann und es irgendwie immer passt. Noch dazu, wenn es von einem hochfunktionalen Gesamtkonzept geprägt ist. Beim Arteon Shooting Brake profitieren alle Gäste an Bord von richtig viel Platz. Egal, wo und wie wir mit ihm unterwegs sind – es fühlt sich dank des Modularen Querbaukastens (MQB) immer gut an. Nicht nur die rahmenlosen Türen im Coupé-Style sind hübsch, sondern auch die einteiligen R-Line-Sitze der ersten Reihe. Diese bieten bereits serienmäßig einen erstklassigen Komfort, welcher nur mit der Option der Ergo-Comfort-Sitze samt elektrischer 14-Wege-Verstellung und Memory-Funktion auf der Fahrerseite (1.060 Euro) getoppt werden kann.
Der lange Radstand von 2,83 Meter bringt einen leichten Einstieg und großzügige Beinfreiheit für die zweite Reihe. Und obwohl die Dachlinie ab Fahrzeugmitte abfallend ist, bietet der Shooting Brake eine angenehme Innenhöhe, auch für Menschen mit „Übergröße“ – also über 1,90 Meter. Serienmäßig ist seine Rücksitzlehne asymmetrisch umklappbar, dann erschließt sich bei Beladung bis an die Rücksitzlehne und zur Höhe der Gepäckabdeckung ein 565 Liter bis 1.632 Meter großer Stauraum. Ski, Schränke, Pflanzen, Designerlampen … egal, was: Die Ladefläche des schicken Arteon Shooting Brake ist im Falle des Falles mit deutlich über zwei Metern (bis zu den Vordersitzen) eine äußerst praktische Wohltat.
Im Cockpit präsentiert der Arteon seine umfangreiche Technikseite höchst schmackhaft, auch wenn es sich auch nach dem Facelift noch recht „passatig“ anfühlt. Auf der einen Seite ziemlich vertraut, verzichtet der Arteon Kombi auf den Schnickschnack anderer Evo-Plattform-Modelle, wie etwa DSG-Schaltstick oder Touchpanel für das Licht. Dafür aber trumpft er mit einer bewährten Ergonomie auf, die keine Fragezeichen hinterlässt. Zudem fühlt sich der Mix aus modernen Anzeigen, wie 12,3 Zoll großem Digital Cockpit Pro (Serie) und 10,25 Zoll großem Infotainmentsystem Discover Pro (1.690 Euro) nebst klassischen Tasten, gelungen an. Neu sind unter anderem das Lenkrad samt schwarz-glänzender Bedienflächen, die neben Drücken auch auf Touchen und Sliden reagieren. Mit dem Modell-Update ist nun auch eine intuitiv steuerbare Klima-Bedieneinheit in Arteon Fastback und Shooting Brake eingezogen. Diese funktioniert im Großen und Ganzen auch wirklich tadellos, jedoch können etwaige Fehlbedienungen im Eifer des Gefechtes nicht ganz ausgeschlossen werden.
Im Innenraum trifft Tradition auf Moderne
So extravagant, wie der Beau sich außen präsentiert, so geradlinig ist der Innenraum. Und das ist keineswegs schlecht gemeint; wohl eher als ausgleichender Part zu verstehen. Die Materialgüte und dessen Verarbeitung hinterlässt bei uns Zufriedenheit: solide, wertig, aber nicht überkandidelt. Sehr wohlklingend tönt überdies die 700 Watt starke Harman-Kardon-Soundanlage, die das bisherige Dynaudio-Pendant des Fastbacks ablöst.
Auch in Sachen Konnektivität und Ausstattung kann sich der nicht ganz günstige Shooting Brake sehen lassen: So hat die R-Line bereits das „kleine“ Discover Media“-Navi an Bord, ebenso ein DAB+-Radio, das Digital Cockpit Pro und vieles mehr – das ist ziemlich cool! Nicht serienmäßig gibt es das Head-up-Display, dass allerdings noch immer in Form einer etwas günstig wirkenden Scheibe aus dem Armaturenträger herausfährt. Hier hätten wir uns vielmehr eine zeitgemäßere Windschutzscheiben-Projektion gewünscht. Auf Höhe der Zeit ist dafür die nun kabellose Einbindung von Apps via „App-Connect Wireless“ für „Apple CarPlay“ und „Android Auto“ (Google) sowie die bis zu 30 Farben einstellbare Ambientebeleuchtung, die Dekore in den Armaturen und Türverkleidungen hübsch durchleuchten.
Das Spektrum der technischen Neuheiten umfasst über die Antriebe hinaus weitere Assistenzsysteme, die Volkswagen unter dem Namen IQ.Drive anbietet. So hat uns auch bei unserem Testwagen der optionale „Travel Assist“ jede Menge Arbeit abgenommen. Zu empfehlen ist dieser teilautonome Fahrmdous jedoch nur auf Strecken mit leichten Kurven. Ebenfalls zum Funktionsumfang des „Travel Assist“ gehören der Spurhalteassistent „Lane Assist“ mit Spurmittenführung sowie der Notbremsassistent „Front Assist“ mit Fußgängererkennung. Weiterentwickelt wurde die Rückfahrkamera „Rear View“ (optional), die nun zusätzlich unter anderem einen „Cornerview“ (Erweiterung des Kamerabildes von 90 Grad auf 170 Grad Weitwinkel) und eine spezielle „Anhängeransicht“ (von oben auf die Deichsel) bietet. Bitte winken Sie nicht sofort ab, wenn wir mit so viel Technik-Infos um uns schmeißen. Aber: Dieses aufpreispflichtige Assistenz-Geflecht funktioniert nicht nur gut, sondern stellt auch eine praktische Erleichterung im Alltag dar, über die man bei Kauf nachdenken sollte. Die Sicht nach hinten leidet unter dem schick abfallenden Heck und der schmalen Heckscheibe. Aber, wer schön sein will … Sie wissen ja.
Souveräne Fahrleistungen
Nun aber Bühne frei für den großen Auftritt unseres Testobjektes, der antriebsseitig einem modernen 2.0 TDI mit mehrstufiger Abgasnachbehandlung (Twindosing) vertraut. Natürlich alles, um die aktuelle Abgasnorm Euro-6D-ISC-FCM zu erfüllen. Bedeutet im Klartext: Oxi-Kat, DPF, zwei mal SCR-Kat nebst AdBlue-System. So kommt der motornahe SCR-Kat schnell auf Betriebstemperatur und wandelt Stickoxide schon kurz nach dem Start und bei geringer Last um, der motorferne am Unterboden bei hoher Last – clever!
Der neue Evo-Motor hat auch mehr Dampf: 200 PS, 10 mehr als bisher. 400 Newtonmeter Maximaldrehmoment liegen bereits bei 1.750 Umdrehungen an, was jeden Gaspedalbefehl in spürbaren Schub ummünzt. Wer nun an zackige Ampelstarts denkt, der muss dem Arteon Shooting Brake jedoch stets eine kleine Gedenksekunde einräumen. Dennoch war WOB-RL-133 schneller als von Volkswagen angegeben und unterbot die Werksangabe von 7,4 Sekunden um 0,2. Stets hilfreich werkelte das 7-Gang-DSG mit flinken und vorausschauenden Schaltvorgängen.
Spritsparend und absolut verträglich sind die Drehzahlen bei Autobahn-Richtgeschwindigkeit: Gerade einmal 1.800 Umdrehungen im siebten Gang fördern nicht nur den Geräuschkomfort, der dank Akustikpaket (580 Euro) ein oberklassiges Level erreicht. Zufrieden waren wir auch mit dem Testverbrauch von durchschnittlich 6,8 Litern Diesel auf 100 Kilometer und einer Reichweite von knapp 1.000 Kilometern – 66-Liter-Tank sei Dank. Immerhin müssen beim Shooting Brake gut 1,7 Tonnen in Wallung und auf maximal 230 km/h beschleunigt werden. Selbst bei längerfristigen Vollgas-Orgien bleibt der Verbrauch stets unter der Zehn. Die zusätzliche Antriebsunterstützung von Seiten der Hinterhand steuert der 4Motion-Antrieb über eine elektro- hydraulische Kupplung situativ bei, was nicht nur Traktion, sondern auch enorme Fahrstabilität bringt.
Die Federung ist trotz der optionalen Adaptiv-Dämpfer für das Sportfahrwerk der R-Line-Ausstattung vor allem im Sport-Modus recht straff, was durch die Niederquerschnitt-bereiften 20-Zöller verstärkt wird. Während sich „Comfort“ als langstreckentauglicher Fahrmodus erweist, bringt „Sport“ andere Eigenschaften des Arteon Shooting Brake zu Tage: mit gestraffter Progressivlenkung und wachsamer Elektro-Differenzialsperre XDS (210 Euro) stieg der Lustfaktor beim Fahren auf solch ein hohes Maß, dass die morgendliche Fahrt zum Bäcker schon mal länger dauerte – und das ist ein gutes Zeichen. Ebenso, wenn der schreibende Redakteur traurig darüber ist, dass der Testwagen nicht mehr auf dem Redaktionsparkplatz steht. Dann war‘s mit Sicherheit ein gutes Auto! „Sagen Sie mal, Chef, wann kommt denn der nächste Arteon?“