FahrberichtVW Golf Variant 1.5 eTSI – Ein Golf für alle Fälle

Joshua Hildebrand

 · 20.11.2020

Fahrbericht: VW Golf Variant 1.5 eTSI – Ein Golf für alle FälleFoto: Jan Bürgermeister, VW (4)

Der Variant ist und bleibt der Golf für Praktiker: Die neue Generation macht einiges anders, vieles aber auch nicht. Wie gut sein Komplettpaket ist, klärt unser Fahrbericht mit dem 150 PS starken eTSI

2020 mag nicht das beste Jahr sein. Aber es ist das Jahr des Golf. Während bisher vor allem neue Antriebe, insbesondere sportlichen Topmodelle, der Weltöffentlichkeit präsentiert, folgt nun die Praktiker-Version namens Variant. Dass diese gern mal etwas länger auf sich warten lässt, wissen wir seit dem Jahr 1993: Denn erst mit der dritten Golf-Generation folgte eine noch praktischere Rucksack-Version. Inzwischen ist der „Lange“ eine echte Institution und überhaupt nicht mehr wegzudenken. Höchste Zeit also, den Newcomer mit neuem Antrieb zu fahren: als Mild-Hybrid eTSI mit 1,5-Liter-Turbo-Vierzylinder, 7-Gang-DSG und 150 drehfreudigen PS. Check!

Der jüngste Golf Variant ist vor allem länger und flacher geworden
Foto: Jan Bürgermeister, VW (4)

Länger, größer, großzügiger

Eine der größten Variant-Tugenden ist das enorme Platzangebot. Volkswagen täte also nicht gut daran, das zu ändern. Und – keine Sorge – das machen sie auch nicht. Im Gegenteil: Er folgt dem Trend und wird sogar noch ein bisschen größer. Mit 4,63 Metern ist er 66 Millimeter länger als der Vorgänger, um den gleichen Wert legt auch der Radstand zu. Optisch ist er ganz klar ein Golf 8, denn er erhält die selbe schnittige Formsprache, die bis zur B-Säule identisch zum Hatch Back ist. Die Schulterpartie ist hingegen aufgrund des Bürzels kraftvoller gezeichnet, die gewachsene Länge und der damit ausladendere Überhang am Heck fällt Variant-Liebhabern sofort ins Auge. Mit knapp 1,50 Meter Höhe (mit Dachreling) baut er zudem etwas flacher auf, was den Proportionen gut tut. Ganz nebenbei bemerkt sinkt auch der cW-Wert 0,3 auf 0,28. Hübsch ist er, nicht wahr!? Vor allem im sportivem R-Line-Trimm, mit der Lackierung Limonengelb-Metallic (740 Euro) und den serienmäßigen 17-Zöllern (R-Line) namens Valencia qualifiziert er sich nicht nur für den Einsatz als praktischer Lademeister, sondern umso mehr nun auch als Lifestyle-Kombi.

Doch die neue Größe hat zum Glück nicht nur optische Auswirkungen, was wir bei Betrachtung des Kofferraums feststellen können. Bei voller Bestuhlung gehen hier mit 611 Litern jetzt sechs Liter mehr rein, mit per Fernentriegelung umklappbaren Rücksitzen (60/40) steigt das maximale Stauvolumen um 22 auf enorme 1.642 Liter. Wie schon beim Vorgänger setzen die Wolfsburger wieder auf geteilte Rücklichter, so dass die Kofferraumklappe samt -öffnung äußerst großzügig ist. Hinzu kommt eine niedrige Ladekante, was in Summe zu einer angenehmen Belade-Situation führt. Dank doppeltem Ladeboden ist zudem die Kofferraumfläche ebenerdig, ein weiterer Pluspunkt.

Doch nicht nur das: Im Vergleich zum Vorgänger ergibt sich ein deutlicher Raumgewinn im Fond. Die Beinfreiheit ist um Zwei-Finger-Breite gewachsen, was sich vor allem auf längeren Strecken bemerkbar macht. Sitz- und Platzkomfort sind auf der dreisitzigen Rückbank enorm – auch mit Fotograf und Ausrüstung.

Stets im Kofferraum verfügbar sind praktische Taschenhaken und Verzurrösen. Zudem gibt es auch eine Netztrennwand für 175 Euro oder eine 230-Volt-Steckdose für 122 Euro. Und falls beide Hände mal mit Einkäufen oder Gepäck beladen sein sollten, hilft die optinale, elektrische Heckklappe (Easy Open, 506 Euro) per Fußschwenk unterhalb der Heckschürze. Ebenfalls praktisch und fast schon Pflicht ist die optionale Anhängerkupplung, welche per Taste im Kofferraum elektrisch entriegelt werden kann. Sie merken: Was die Flexibilität des (neuen) Variant angeht, könnten wir Bücher füllen …

Wohl auch über den neuen Innenraum, der selbstverständlich die neue, displayreiche Bedienlandschaft des Golf 8 übernimmt und stets über eine Online-Anbindung verfügt. So lässt sich beim serienmäßigen Infotainmentsystem Composition Media auch noch nachträglich die Navifunktion upgraden. Unser Test-Exemplar legt sogar noch einen drauf und verfügt neben dem serienmäßigen Digital Cockpit Pro über das 10,25 Zoll große Top-Navi namens Discover Pro für 1.861 Euro. Die Kombination beider Komponenten nennt VW übrigens „Innovision Cockpit“.

Egal wie: Alle Systeme werden – beim Golf 8 typisch – in Volkswagen-Manier weitgehend inutitiv und meist per Fingerwischen und -tippen bedient. Neben einfachen Aufgaben wie der Lautstärkenregelung erledigt die Touch-Slider-Fläche unterhalb des Displays auch Aufgaben wie die Temperaturverstellung der Klimaanlage oder der Sitzheizung. Letzteres wird zum Beispiel mit dem gleichzeitigen Tippen zweier Finger aktiviert oder deaktiviert – als Neuling muss man sich ein wenig darauf einstellen.

Helfen kann hier die gut funktionierende Sprachbedienung, die mithilfe der Aussprache von „Hallo Volkswagen“ aktiviert wird. Sie reagiert intuitiv auf Aussagen wie „Mir ist kalt“, steuert die Klimaanlage und reagiert letztlich mit einem warmen Luftstrom. Gefallen hat uns auch das Head-up-Display (682 Euro), das fest im Armaturenträger verbaut ist und nicht wie beim Passat aus einer ausfahrenden Scheibe besteht. Es sieht hochwertig aus, funktioniert perfekt und ist eine absolute Entlastung beim Fahren.

Das neue Innenraumdesign des Golf 8 tut auch dem Variant gut, denn dadurch wirkt der Arbeitsplatz aufgeräumt und modern. Die Verarbeitung ist VW-typisch sehr solide, die Ergonomie mustergültig. Die R-Sitze fühlen sich bequem an und kneifen nicht. Aber: Die Materialauswahl fällt stellenweise etwas einfacher aus als beim Vorgänger – etwa an den Türen.

Neue Fahr-Qualitäten

Bei den Antrieben orientiert sich VW am Standard-Golf, allerdings muss beim Variant auf den 90-PS-Einstiegs-Benziner sowie die echten Hybrid-Modelle verzichtet werden. Effiziente Mild-Hybride wie unseren 1.5 eTSI gibt es aber – und zwar als 110-, 130-, und 150-PS-Variante. Logisch, dass wir uns das Topmodell mit 250 Nm Drehmoment geschnappt haben …

Neben dem 1,5 Liter große Vierzylinder-Turbo-Benziner besitzt unser Variant ein 48-Volt-System mit Energie-Rückgewinnung. Dieses Antriebskonzept bietet gleich mehrere Vorteile auf einmal: der Riemen-Starter-Generator startet den Motor sehr sanft, eliminiert Anfahrschwächen und wirkt beim Beschleunigen wie ein elektrischer Boost. Darüber hinaus ermöglicht das System das Segeln, während der Verbrennungsmotor ausgeschaltet und das 7-Gang-DSG abgekoppelt ist.

Mit diesem effizienten Hightech-System ausgestattet, zeigt sich der Golf nicht nur ziemlich agil, sondern auch ganz schön effizient. Dank der Unterstützung des kleinen Elektromotors kennt der 1.5 TSI kein Turboloch, setzt alle Gaspedal-Befehle unmittelbar in Vortrieb um und dreht freudig in Richtung der Siebentausend.

Das Maximal-Drehmoment steht ab 1.500 Umdrehungen früh zur Verfügung, was ihn zum einem dynamischen Weggefährten macht – „spritzig“ würde der Volksmund sagen. Dass die Maschine obendrein genügsam werkelt und sich bei unserer Ausfahrt laut Bordcomputer nur rund sechs Liter genehmigte, stimmte uns äußerst zufrieden. Einen grünen Haken machen wir auch an die Erfüllung der aktuellen Emissionklasse Euro 6AP (Norm 6d-ISC-FM).

Perfekt austariertes Fahrwerk

Mit genügend Erfahrung im Gepäck, einer Progressiv- lenkung (Serie R-Line) und einem DCC-Fahrwerk (1.018 Euro) im Schlepptau, scheint den Variant kaum etwas aus der Ruhe zu bringen – Fahrdynamikmanager sei Dank. Dazu sei angemerkt: Das Fahrwerk besteht aus einer Mehrlenker-Hinterachse, die erst ab den 150-PS-Modellen verbaut wird. Dies wirkt sich besonders positiv auf das Fahrerhalten aus. In Kombination mit der komfortabel und fein arbeitenden Lenkung präsentiert er sich gut austariert und meistert den Spagat zwischen agilem und komfortablem Fahren. So beherrscht er die gemütliche Gangart in der Stadt ebenso wie die schnelle Reise auf der Autobahn. Der große Radstand bringt vor allem noch mehr Ruhe beim Geradeauslauf als beim normalen Golf. Apropos Ruhe: Die Geräuschdämmung erweist sich für die Kompaktklasse als vorbildlich.

Sowohl das Einfeder- als auch Ausfederverhalten ist für die meisten Situationen der pefekte Kompromiss. Nicht zu hart und nicht zu weich abgestimmt, hat er immer ein paar fahrdynamische Reserven parat. Kaputte Straßen oder Kopfsteinpflaster – die Höchststrafe für Mensch und Maschine – werden erst auf längeren Abschnitten etwas unangenehm.

Erfreulich ist der Blick auf die Ausstattungsliste: Bereits die günstigste Ausführung namens „Golf“ kommt serienmäßig mit Lane Assist, Front Assist mit City-Notbremsfunktion, Car2X-Kommunikation, mit der sich Autos gegenseitig warnen können, schlüsselloser Zentralverriegelung, Air Care Climatronic mit Aktivkohlefilter, LED-Scheinwerfer und vielem mehr …

Nah dran am Passat

Unsere R-Line hatte zudem zahlreiche Zusatzausstattungen, wie den teilautonomen Travel Assist (482 Euro) bis 210 km/h oder das intelligente IQ.Light samt LED-Matrixscheinwerfer (2.056 Euro). Eine Frage bleibt allerdings noch – die nach dem Preis. 33.128 Euro kostet der stärkste eTSI mit 150 PS und R-Line-Ausführung. Und damit wird er als Passat-Alternative umso interessanter!