Martin Santoro
· 17.01.2022
Frisch überarbeitet verfügt der Polo jetzt über mehr Assistenz und ein optimiertes Infotainment. Hat er mit dem universellen Einliter-TSI mit 95 PS gar das Zeug zum Erstwagen-Allrounder?
Dem Polo wird’s zur Zeit nicht leicht gemacht. Erst stellt Volkswagen dem Klassenprimus den T-Cross zur Seite und kurz vor dem Jahreswechsel auch noch den feschen Taigo. Das Gewusel in der Viermeter-Klasse war nie größer als heute. Ob der seit 47 Jahren amtierende Klein-
wagen-König durch die ebenfalls auf der MQB A0-Plattform basierenden Brüder den Kürzeren zieht? Das soll in naher Zukunft ein geplanter Vergleichstest erst noch zeigen. Heute widmen wir uns gezielt dem Mini-Golf, der nach seiner jüngsten Blutauffrischung dem Trend zu den SUV-Crossovern entgegenwirkt. Nach gut vier Jahren war es ohnehin Zeit für ein sattes Facelift. Über diese Auffrischung berichteten wir ausführlich im Polo- Special in GUTE FAHRT 11/2021.
Und nein, zum neuen Test tritt nicht wiederholt Volkswagens Polo 1.0 TSI mit 110 PS Leistung aus der November-Ausgabe an, obwohl sich Lackierung
(Vibrant Violet Metallic), optionale 17-Zoll-Aluräder und die Ausstattung Style bis ins Haar gleichen. Frisch in den Ring steigt statt dessen der mit 22.895 Euro rund 3.000 Euro günstigere Zwilling in der Leistungsstufe mit 95 PS. Den gibt es, anders als beim Top-Motor, wahlweise mit Fünfgang-Handschaltgetriebe oder mit DSG, wobei der Preisvorteil beim Antrieb mit Automatik auf dann nur noch 1.305 Euro schmilzt. Natürlich wählten wir den preiswerteren Handschalter zum Kennenlernen und schauten nach, inwieweit sich das Minus in Sachen Motorleistung von 15 PS überhaupt bemerkbar macht.
Grundsätzlich wird der Polo aktuell ausschließlich mit Dreizylinder-TSI- beziehungsweise einem Erdgas-
motor (90 PS) angeboten. Die Basis (80 PS) ab 17.115 Euro ist nicht aufgeladen. Unser 95-PS-Turbo liefert seine volle Leistung ab 5.000/min und baut sein maximales Drehmoment von 175 Nm zwischen 1.600 und 3.500 Touren auf. Im Leerlauf ist der kleine Ein- liter-Motor kaum zu vernehmen und überträgt über das gesamte Drehzahlband kaum Vibrationen in den Innenraum. Lastanfragen quittiert das Aggregat zwischen 1.400 und knapp 2.000/min bisweilen mit einem Brummen. Beim Beschleunigen erlebt man das typisch raue Dreizylinder-Knurren, das auch hier wieder charismatisch klingt. Einmal auf Touren dringt aber erfreulich wenig ans Ohr der Insassen.
Laufruhiger und druckvoller Antrieb
Auch der Rest des Antriebserlebnisses kann sich sehen lassen. Der Polo wird zwar nicht zum Torpedo, beschleunigt nach Messprotokoll aber flott in 10,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Damit unterbietet er die Werksangabe um zwei Zehntel und ist nur um ein Zehntel langsamer als die 110 PS-Version vom letzten Test. Dass der Polo mit Topmotor in der Höchstgeschwindigkeit mit 195 km/h nur sieben km/h schneller ist, dürfte dem schwächeren Stadtmobil einerlei sein. In der City überzeugen auch seine fünf Vorwärtsgänge durch präzise und leichtgängige Schaltvorgänge. Die Ganganschlüsse passen prima, bei Tempo 80 dreht der Motor im größten Gang 1.800/min, bei 130 km/h sind es 2.900/min. Knackig bewegt liegen die Schaltpunkte zwischen 5.600 und 6.000 Umdrehungen.
Die Lenkung ist leichtgängig und präzise, vermittelt genügend Rückmeldung für einen dynamischen Fahrstil. Nie wirkt sie diffus oder unmotiviert. Das Dirigieren des kleinen Großen gelingt damit angenehm und selbstverständlich. Dazu passt die sauber abgestimmte Federung. Der Polo rollt komfortabel ab, lässt es gleichwohl nie an der nötigen Fahrwerkspräzision vermissen.
Wolfsburgs Kleiner lässt es im bestmöglichen Sinne ruhig angehen: Mit hohem Komfort, luftigem Raumangebot und erwachsenem Fahrverhalten bietet er enorm viel. Er ist kein Sportler, aber sicher ein kleiner Volkswagen, mit dem man gern auch längere Strecken in Angriff nimmt.
Dazu fügt es sich harmonisch ins Bild, dass sich der Testverbrauch bei durchschnittlich 5,8 Liter eingependelt hat und damit die Top-Version um einen halben Liter unterbieten konnte. Auch knausert der 95 PS-Motor bei äußert moderater Fahrweise mit 4,1 Liter noch mehr als der 110 PS-TSI – Sparfüchse wissen, wo sie ihr Häkchen im Kaufvertrag machen.
Licht aus höheren Klassen
Gleichstand besteht bei beiden getesteten Style-Versionen hinsichtlich ihrer üppigen Ausstattung. Jede Generation des seit 1975 gebauten Polo bekam um die Karriere-Halbzeit die Lampen aufgefrischt. Doch nie steckte mehr dahinter als jetzt. Denn ab dem Style erhält der Polo erstmals famose Matrix-LED-Scheinwerfer (IQ.Light) in Serie. Das System steuert acht LEDs je Scheinwerfer so an, dass der Gegenverkehr oder vorausfahrende Autos aus dem Fernlichtkegel ausgeblendet werden. Nach der ersten Nachtfahrt mit dem blendfreien Dauerfernlicht möchte man es nicht mehr missen.
Zu einer anderen wichtigen Neuerung hoffen wir, dass sie nie eintritt: Denn zwischen den Vordersitzen pufft bei einem Unfall nun ein Mittelairbag auf. Das Luftkissen soll verhindern, dass die Köpfe von Fahrer und Copilot zusammenprallen. Damit es erst gar nicht soweit kommt, ist unser Testwagen mit reichlich Assistenz bestückt. Neben einer serienmäßigen City-Notbremse hält er optional die Pakete „Fahrerassistenz“ (550 Euro) und „IQ.Drive“ (405 Euro)bereit, inklusive des neuen „Travel Assist“, mit dem der Polo automatisiert lenkt, bremst und beschleunigt.
Die volle Punktzahl gibt es auch für’s Infotainment: Das Serienradio bietet bereits AppConnect und DAB+, ist für eine Navi-Funktion und Datendienste vorbereitet. Beides kann auch nachträglich im In-Car-Shop dazu gebucht werden.
Wer darauf und zudem auf Alufelgen sowie Matrix-Licht verzichten kann und 2.340 Euro sparen möchte, der greife zum 95 PS starken Polo
„Life“ für 20.555 Euro.
Test kompakt:
Der Polo ist ein erstaunlich erwachsener Kleinwagen mit tollem Raumangebot und zeitgemäßem Infotainment, das leicht zu bedienen ist. In Sachen Assistenten macht dem Klassenprimus keiner was vor. Ausgewogen gefedert und hochwertig verarbeitet taugt er durchaus als Erstwagen. Dazu trägt auch der universelle Charakter des sparsamen 1.0 TSI bei, der aufzeigt, dass 95 PS völlig ausreichend sind.