Martin Santoro
· 05.08.2022
Schenkt man dem Kennzeichen IN-RM 666 Glauben, könnten diabolische Mächte am Werk gewesen sein. In Wahrheit aber bevollmächtigte MTM den Audi RS6 Avant mit 1001 PS aktuelle Supercars aufzumischen. Ist das noch fahrbar?
Audis brachialer Sportkombi RS6 Avant ist bereits ab Werk so etwas wie ein Supercar im familienfreundlichen Gewand. Was er darüber hinaus ist: ein Liebling der Tuning-Branche. Schließlich hält sein Vierliter-Biturbo-V8 trotz 600 Serien-PS noch Unmengen an Reserven bereit. Einen aktuellen Beweis dafür liefert wieder einmal Roland Mayer mit dem wohl extremsten RS6, den der MTM-Chef je mit seinem Team modifiziert hat. Audis Power-Kombi ist grundsätzlich eine Art Markenzeichen für den bayerischen Tuning-Ingenieur im Vorgarten des Ingolstädter Hauptquartiers. Jedes der drei Vorgänger-Modelle hat Mayer kompetent veredelt und mit dem neuen C8 ein solch respekteinflößendes Auto geschaffen, das es der gesamten Sportwagen-Gemeinde das Fürchten lehrt. Eine Art „RS6 drei mal Plus“, den Audi nebenan so nie anbieten würde. Der RS6 als solcher hat sich in seiner inzwischen 20-jährigen Karriere den Ruf als absolutes Speedmonster für alle Tage und jedes Wetter erworben. Zuletzt wurde auch die Optik immer brachialer. Die Menschen lieben diese Kombination und MTM setzt in Richtung Performance nochmal gehörig einen drauf, ohne den Alltagsnutzen aber brutal einzuschränken.
Das auf dem 2021er Modell basierende Erprobungsfahrzeug mit gültiger Straßenzulassung würde vermutlich bei einem Drag Race wohl nicht mal vor einen Bugatti Veyron zurückschrecken. Immerhin hat der Power-Kombi aus Wettstetten so viel Schmalz wie das Hypercar aus Molsheim.
Dank eines sogenannten „Stage 4“-Kits mit ellenlanger Liste an Modifikationen leistet der monströse Lastesel exakt 1.001 PS und tritt mit einem maximalen Drehmoment von 1.250 Newtonmeter an. Das klingt haarsträubend, zumal das Serienauto satte 401 PS sowie 450 Nm weniger leistet. Dem extremen Kraftschub liegt ein umfassendes Upgrade der beiden Twinscroll-Turbolader zugrunde. Dort haben die MTM-Techniker mit größerer Turbinenwelle und größerem Verdichterrad sowie verstärktem Axialllager und vergrößertem Turboladereingang gearbeitet. Dazu kommen geänderte Ladedrucksensoren, großvolumigere Ansaugschläuche und ein vergrößertes Luftfiltergehäuse mit strömungsoptimiertem Luftfilter. Die Getriebesoftware wurde radikal geändert. Die Schaltdrehzahl von 6.400 auf 7.600 bis 8.000 Touren angehoben, die Launch-Control-Startdrehzahl um 500 auf nun 2.900 Umdrehungen erhöht. Abgasseitig kommt eine von MTM entwickelte Edelstahlanlage zum Einsatz, beginnend ab den Turboladern. Nach 300-Zellen-Metallkats und OPFs emittiert der aufgeblasene V8 seine Rückstände durch ein im Querschnitt vergrößertes Rohrsystem. Zur Soundoptimierung setzt MTM eine kennfeldgeregelte Klappensteuerung ein.
Ungetüm mit großem Upgrade
Was das Fahrwerk betrifft, profitiert MTM in dieser Generation natürlich enorm von der hervorragenden Ausgangsbasis. Der Serien-RS6 ist nicht nur dank der neuen Hinterradlenkung ein fahrdynamisches Ausnahmetalent. Bei MTM wird mit höhenverstellbaren Gewindefedern für das Serienluftfahrwerk eine Tieferlegung von etwa 30 Millimetern durchgesetzt. Außerdem schraubt man hauseigene 22-Zöller mit 285/30er Semislicks unter das Dickschiff. Keine Bange, 22-Zoll gibt es bereits ab Werk, hier droht also kein Kollaps in den serienmäßig verbreiterten Radhäusern.
Und, merkt man Unterschiede? Oh, und wie! Schon beim Entern überrascht der RS6 mit Zustiegsproblemen wie bei einem Rennwagen. Bis man sich blessurfrei in die kompromisslos eng geschnittenen Recaro-Vollschalen gezwängt hat, bedarf es Routine. Danke Roland, dass Du zumindest auf Hosenträgergurte verzichtet hast. Aber klar, mit den zu erwartenden Fliehkräften will perfekter Seitenhalt in allen Lagen garantiert sein.
Schmeißen wir die Fuhre per Startknopf an und erleben die inzwischen typisch digitale Begrüßungszeremonie an den Bildschirmen, die RS-Kunden auf das vorbereitet, was da kommt.
Die Beschleunigung ist, da berichten wir sicherlich nichts neues, Comic-mäßig brutal. Obwohl MTM ein weitgehend flaches Drehmoment-Plateau zwischen 3.950 und 5.980 Touren anführt, scheint sich der absurde Schub in zwei eigenständigen, kurz aufeinander folgenden Stufen zu entfesseln: Stufe Eins beeindruckt, Stufe Zwei raubt den Atem – als würde der Achtender kurz durchatmen müssen, bevor er einem dann unbarmherzig die Faust in den Rücken rammt. Um die erlebte Beschleunigung in Zahlen auszudrücken, bemühen wir die Messanlage. Leichter Schlupf an den Hinterrädern beim Beschleunigen aus dem Stand – wann hat man das je bei einem Auto mit Quattro-Allrad erlebt? Wir werten das jedenfalls als guten Indikator. In 3,1 Sekunden katapultiert der MTM-Audi auf Tempo 100. Damit verfehlt er seinen Sollwert zwar um drei Zehntel, lässt den Serien-RS dennoch mit einer halben Sekunden hinter sich. Gut, wir hatten 13 Grad im Freien, bei höheren Temperaturen greifen die Pneus noch bissiger in den Asphalt. Sein Potenzial scheint sich ab 120 km/h ohnehin noch besser zu entfalten, so dass Mayers Waffe bei 200 dem Original fast drei Sekunden abnimmt. Heftig ist auch der Wert von 1,4 Sekunden (Serie 2,1) beim simulierten Überholvorgang von 80 auf 120 km/h. Präsent im Hintergrund dabei ist ein sehr charismatisches Grollen. Natürlich V8-like, aber irgendwie düsterer, wütender dringen die Geräusche der Abgasanlage ins Cockpit. Wenn man will bis Tempo 350 – nur im Dynamik-Modus oder einem der RS-Modi.
Raketenstart zum Aufwärmen
Zum bassigen Klang mit Sprotzeln und Knurren mischt sich unter Volllast ein gut vernehmbares Pfeifen der modifizierten Turbolader.
Aufgrund der bereits beachtlichen fahrdynamischen Vorstellung des Serienfahrzeugs fallen die Unterschiede im Handling eher klein aus. Das MTM-Derivat fährt insgesamt eine Spur satter und zeigt in der Kurve noch weniger Karosseriebewegung als der Serien-RS6, aber erwarten Sie hier bitte kein komplett neues Auto. Dass dem so ist, darf man getrost positiv bewerten. Denn auch hier ist es erstaunlich, wie kompakt, schnörkellos und behende sich ein bald 2,2-Tonnen-Koloss bewegen kann. Die Lenkung zeigt sich modusabhängig leicht und gefühlvoll. Erfreulich ist auch, dass das Schraubfahrwerk noch ein wenig Restkomfort bereit hält. Die optionalen Keramik-Bremsen von Audi haben keine Probleme, die geballte Kraft gefühlvoll aber sicher zu zügeln.
Beim Stichwort „in Zaum halten“ kommen wir auf den Verbrauch. Siebzehn Liter im Testschnitt überraschen kaum. Den Serien-RS6 haben wir mit 13,2 Liter bewegt. Einen Liter mehr verbrauchte die MTM-Bestie bei Schleichfahrt. Vollgas-Etappen quittiert er dagegen mit Werten über der 20er-Marke. Tja, Leistung gibt es eben nicht umsonst. Auch der tief greifende Technik-Umbau verlangt seinen Tribut. Mit rund 40.000 Euro ist man dabei, wenn auf Zubehör wie Räder, Fahrwerk und Sitze verzichtet wird. Die zweijährige MTM-Garantie von 1.110 Euro auf das Hardcore-Tuning wäre in jedem Fall eine Empfehlung wert.
Test kompakt
Der Audi RS6 genießt längst Kultstatus. Davon profitiert nicht zuletzt die Tuning-Branche, die den Edellaster gern weiter optimiert. Das gipfelt aktuell im Überhammer von MTM mit 1.001 PS, dem man besser mit Respekt begegnet. So unglaublich sich das anhört: Der Kombi bleibt dennoch alltagstauglich.